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»Herr Baron«, sagte er, »da ich schon die unverhoffte Ehre habe, Ihnen zu begegnen, möchte ich Ihnen reinen Wein einschenken ... Ich will Ihnen Ihre Geheimnisse nicht entlocken, aber ich will Ihnen die meinen anvertrauen, weil ich überzeugt bin, daß ich sie nicht in bessere Hände legen kann. Überdies brauche ich Ihren Rat, ich wollte Sie schon lange darum bitten.« Er öffnete ihm in der Tat sein Innerstes, erzählte ihm, wie er angefangen hatte, verheimlichte auch nicht die finanziellen Schwierigkeiten, die ihm in seinem Triumph zu schaffen machten. Er erwähnte alles: wie er nach und nach Erweiterungen vorgenommen und seine Gewinne immer wieder im Geschäft angelegt hatte, wie seine Angestellten ihm ihre Ersparnisse anvertraut hatten, wie das Haus bei jedem neuen Ausverkauf seine ganze Existenz riskierte, weil das gesamte Kapital sozusagen auf eine Karte gesetzt war. Doch er fragte gar nicht nach Geld, er besaß ein geradezu fanatisches Zutrauen zu seiner Kundschaft. Sein Ehrgeiz strebte viel höher. Er schlug dem Baron eine Zusammenarbeit vor: die Immobilienbank sollte den Riesenpalast stellen, von dem er träumte, während er für sein Teil seinen Unternehmungsgeist und die bereits vorhandene geschäftliche Grundlage dazugeben wollte.
»Was gedenken Sie denn anzufangen mit Ihren Grundstücken und Ihren Häusern?« fragte er in eindringlichem Ton. »Sie haben doch zweifellos einen Plan? Aber ich bin sicher, daß er nicht so viel wert ist wie der meine. Überlegen Sie doch nur! Wir errichten auf den Grundstücken ein Kaufhaus, wir legen die alten Bauten nieder oder lassen sie stehen, je nachdem, wie es für uns günstiger ist, und eröffnen das riesigste Warenhaus von Paris, einen Basar, der Millionen einbringen soll! – Ach, wenn ich es doch ohne Sie fertigbrächte! Aber Sie haben jetzt die ganze Sache in Händen. Wir müssen uns einigen, es wäre Selbstmord, wenn wir es nicht täten.«
»Wie stürmisch Sie sind, lieber Herr Mouret!« sagte der Baron lediglich. »Welch eine Phantasie!«
Er schüttelte den Kopf und lächelte, noch immer unentschieden, ob er Vertrauen für Vertrauen geben sollte. Der Plan der Immobilienbank bestand darin, in der Rue du Dix-Décembre ein Konkurrenzunternehmen zum Grand-Hotel zu errichten, einen Prachtbau, der in seiner zentralen Lage alle Fremden anziehen mußte. Da übrigens das Hotel nur die Randgrundstücke einnehmen sollte, hätte der Baron den Gedanken Mourets trotzdem aufgreifen und wegen der übrigen Häuser, die immerhin noch eine weite Fläche ausmachten, mit ihm verhandeln können. Allein er hatte sich bereits mit zwei anderen Freunden Henriettes eingelassen und war es nun müde, fortwährend den gefälligen Beschützer zu spielen. Überdies war er trotz seines eigenen Tätigkeitsdrangs von dem kaufmännischen Unternehmungsgeist Mourets mehr verblüfft als verlockt. War dieses Riesenkaufhaus nicht ein phantastisches, unkluges Projekt? Lief man nicht dem sicheren Bankrott in die Arme, wenn man den Modewarenhandel so über alle Grenzen hinaus ausdehnen wollte?
»Der Gedanke ist verführerisch«, sagte er, »allein er entspringt einem poetischen Gemüt. Wo wollen Sie die Kundschaft hernehmen, um einen solchen Riesenbau zu füllen?«
Mouret betrachtete ihn einen Augenblick stillschweigend, wie betroffen von seiner Ablehnung. War es möglich? Ein Mann von so ausgeprägtem Geschäftssinn, ein Mann, der das Geld in den verborgensten Tiefen witterte! Mit einer beredten Geste wies er nach den Damen im anstoßenden Salon und rief aus:
»Die Kundschaft? Da ist sie!«
Baron Hartmann betrachtete, Mourets Handbewegung folgend, durch die weit offenstehende Tür die Damen und lauschte mit einem Ohr ihren Gesprächen, während der junge Mann in dem Verlangen, ihn doch noch zu überzeugen, immer beredter wurde. Ein richtig geleitetes Geschäft stehe und falle mit einem fortgesetzten raschen Umschlag des Kapitals, das so häufig wie möglich im Jahr in Waren umgesetzt werden müsse.
»Das ist das ganze Geheimnis, Herr Baron. Es ist sehr einfach, aber man muß darauf kommen. Wir brauchen gar kein riesiges Kapital; unsere einzige Aufgabe ist die: so rasch wie möglich die eingekauften Waren wieder abzustoßen, um sie durch andere zu ersetzen, wodurch sich das Kapital stets von neuem verzinst. Auf diese Weise können wir uns mit einem bescheidenen Gewinn begnügen. Da unsere allgemeinen Unkosten die enorme Summe von sechzehn Prozent ausmachen und wir auf die Artikel nicht mehr als zwanzig Prozent aufschlagen, haben wir nur vier Prozent Gewinn; und doch muß das Millionen einbringen, wenn nur der Warenbestand fortwährend erneuert wird ... Sie begreifen jetzt, nicht wahr? Die Sache ist doch klar.«
Der Baron schüttelte noch immer den Kopf; er, der in der Finanzwelt als kühner Geschäftsmann bekannt war, blieb in dieser Sache zweifelnd und eigensinnig.
»Ich verstehe schon«, sagte er. »Sie verkaufen billig, um viel zu verkaufen, und Sie verkaufen viel, um billig zu verkaufen ... Aber verkaufen müssen Sie, und ich komme auf meine erste Frage zurück: wem werden Sie verkaufen? Wie wollen Sie einen so riesigen Umsatz aufrechterhalten?«
Mouret setzte zu einer Erklärung an, doch ein plötzliches Stimmengewirr aus dem Salon unterbrach ihn. Die Damen waren in eine lebhafte Auseinandersetzung geraten: abermals ging es um Spitzen, ihre Qualität und ihre Preise. Endlich wurden sie wieder leiser, die Stimmen gingen allmählich in ein Geflüster über.
»Glauben Sie mir«, sagte Mouret, als er wieder zu Wort kam, »man kann alles verkaufen, was man will, wenn man nur zu verkaufen versteht! Das ist eben unsere Kunst.«
Mit seinem südlichen Temperament setzte er dem Baron das Wesen des modernen Verkaufs auseinander. Da war vor allem die überwältigende Macht, die von einem riesigen, an einem Punkt konzentrierten Warenangebot ausging; niemals durfte es an etwas fehlen, jeder gewünschte Artikel mußte stets zur Stelle sein, die Kundin wurde von Tisch zu Tisch gezogen, kaufte hier einen Stoff, dort die Zutaten und wieder an einem ändern Tisch einen Mantel, sie kleidete sich ein, stieß abermals auf etwas Unvorhergesehenes und gab dem Wunsch nach allerlei überflüssigen, aber hübschen Dingen nach. Dann pries er die Einrichtung, die Waren für jedermann ersichtlich auszuzeichnen. Heutzutage spiele sich der Konkurrenzkampf sozusagen unter den Augen des Publikums ab, ein Spaziergang vor den Auslagen könne das künftige Preisniveau bestimmen. Man begnüge sich mit einem geringen Gewinn, Betrügereien gebe es nicht mehr; die Zeiten seien vorbei, da man sich an einem Artikel bereichert habe, indem man ihn um das Doppelte seines Werts verkaufte. Flotter Umsatz, ein angemessener Verdienst an allen Waren, geschickt veranstaltete Sonderverkäufe: darin lag das Geheimnis des Erfolgs. War das keine verblüffende Neuerung? Sie hatte den ganzen Markt auf den Kopf gestellt, ganz Paris umgewandelt und entsprach doch der Natur der Frau.
»Ich habe die Frau in meiner Gewalt – um den Rest brauche ich mich nicht zu kümmern!« sagte er in einem offenen Geständnis. Dieser Ausruf schien Baron Hartmann wankend zu machen. Sein Lächeln war nicht mehr spöttisch; er betrachtete den jungen Mann, der ihn durch seine Zuversicht allmählich gewann.
»Still!« sagte er leise in väterlichem Ton, »man könnte Sie hören.«
Doch die Damen sprachen jetzt alle auf einmal und waren dermaßen hingerissen von ihrem Thema, daß sie nicht einmal einander mehr zuhörten.
Flüsternd, als wollte er ihm eines jener Geständnisse machen, wie sie unter Männern zuweilen vorkommen, führte Mouret seine Erklärungen zu Ende. Alles lief auf die Ausbeutung der Frauen hinaus. Die Warenhäuser machten sich die Frauen durch ihre gegenseitige Konkurrenz streitig, verwirrten sie durch ihre Auslagen, lockten sie in die Falle ihrer Gelegenheitskäufe. Sie weckten neue Wünsche in den Frauen, sie bildeten eine ungeheure Versuchung, der jede zum Opfer fiel, ob sie auch anfangs als gute Hausfrau nur billig einzukaufen gedachte: sie wurde unfehlbar durch ihre Koketterie fortgerissen und zum Schluß betört. Wenn in diesen Warenhäusern die Frau als die Königin dastand, angebetet und umschmeichelt in ihren Schwächen, umgeben von aller Zuvorkommenheit, so herrschte sie doch nur als eine Königin der Liebe, deren Untertanen mit ihr ein Spiel treiben und die jede ihrer Launen mit einem Tropfen ihres Blutes bezahlt. Und unter Mourets liebenswürdigem Wesen verbarg sich die Mißachtung des Mannes der Frau gegenüber, die die Dummheit begangen hat, sich ihm hinzugeben.
»Wer die Frauen in der Hand hat«, sagte er leise, mit einem überlegenen Lächeln zu Baron Hartmann, »der kann die ganze Welt verkaufen.«
Jetzt begriff der Baron. Er zwinkerte verständnisinnig mit den Augen und betrachtete Mouret allmählich mit Bewunderung. Unbewußt gebrauchte er denselben Ausdruck wie Bourdoncle, ein Wort, das seine langjährige Erfahrung ihm eingab:
»Sie werden sich an Ihnen rächen.«
Doch Mouret zuckte in vernichtender Mißachtung die Achseln. Alle gehörten sie ja ihm, meinte er, und er lieferte sich keiner aus. Wenn er sein Vermögen und sein Vergnügen aus ihnen herausgeholt hatte, würde er sie sämtlich abschütteln und denen überlassen, die dann noch auf ihre Rechnung kommen könnten.
»Wie ist es, verehrter Baron«, fragte er zum Schluß, »wollen Sie mit mir gehen? Erscheint Ihnen das Grundstücksgeschäft so durchführbar?«
Obgleich halb besiegt, wollte sich der Baron noch immer nicht binden. Er war schon im Begriff, ausweichend zu antworten, als plötzlich ein dringender Ruf der Damen ihn dieser Mühe enthob.
»Herr Mouret, Herr Mouret!« ertönte es aus dem Salon.
Und als dieser, verdrossen über die Störung, so tat, als hörte er nicht, kam Frau von Boves zur Tür des kleinen Salons.
»Man verlangt nach Ihnen, Herr Mouret«, sagte sie. »Es ist gar nicht höflich von Ihnen, sich so in einen Winkel zu verkriechen und von Geschäften zu sprechen.«
Er machte gute Miene zum bösen Spiel, die beiden Herren erhoben sich und begaben sich in den Salon.
»Ich stehe Ihnen ganz zu Diensten, meine Damen«, sagte Mouret mit einem Lächeln auf den Lippen.
Lautes Rufen empfing ihn. Er mußte näher herankommen, die Damen machten ihm Platz in ihrer Mitte. Herr von Boves und Vallagnosc standen am Fenster und unterhielten sich, während Herr Marty, der eben erst gekommen war, offenbar äußerst bestürzt dem Gespräch der Damen über ihre Toilettensorgen folgte.
»Bleibt es dabei, daß der Sonderverkauf am nächsten Montag stattfindet?« fragte Frau Marty.
»Gewiß«, erwiderte Mouret mit schmelzender Stimme, einem Tonfall, den er immer annahm, sowie er mit Frauen sprach.
»Wir gehen nämlich alle hin«, bemerkte Henriette. »Man erzählt sich, daß Sie wahre Wunder vorbereiten.«
»Wunder?« meinte er mit geheuchelter Bescheidenheit. »Ich bin nur bestrebt, mich Ihres Vertrauens würdig zu erweisen.«
Nun drangen sie mit Fragen in ihn. Frau Bourdelais, Frau Guibal und selbst Blanche wollten Näheres wissen.
»Erzählen Sie uns doch etwas darüber«, wiederholte Frau von Boves eindringlich. »Wir sterben vor Neugierde.«
Sie umringten ihn, als Henriette bemerkte, daß er noch keinen Tee bekommen habe. Alle waren untröstlich; ihrer vier auf einmal wollten sie ihn bedienen, nur unter der Bedingung allerdings, daß er ihre Neugierde befriedige. Henriette goß den Tee ein, Frau Marty hielt die Tasse, während Frau von Boves und Frau Bourdelais sich um die Ehre stritten, ihm Zucker zu geben. Er weigerte sich, Platz zu nehmen, und trank seinen Tee stehend; sie nahmen ihn in die Mitte, er war gefangen im engen Kreis ihrer Röcke. Mit leuchtenden Blicken und lächelndem Mund sahen sie zu ihm auf.
»Was ist mit Ihrer Seide, mit Ihrem ›Pariser Glück‹, von dem alle Zeitungen sprechen?« fragte Frau Marty ungeduldig.
»Oh, das ist etwas Außerordentliches!« erwiderte er. »Ein festes und doch überaus schmiegsames Gewebe ... Sie werden ja sehen, meine Damen ... Sie finden den Stoff nur bei uns, denn wir haben das Alleinverkaufsrecht erworben.«
»Wirklich? Eine schöne Seide zu fünf Franken sechzig!« rief Frau Bourdelais begeistert. »Es ist kaum zu glauben!«
Seit das Lob dieser Seide durch die Reklame in alle Winde getragen wurde, nahm sie im Leben der Damen einen bedeutenden Platz ein. Sie sprachen nur davon, und in der geschwätzigen Neugierde, mit der sie den jungen Mann bestürmten, zeigte sich jede einzelne von ihnen in ihrer unverwechselbaren Eigenart: Frau Marty, die in ihrer Leidenschaft fürs Geldausgeben im »Paradies der Damen« wahllos alles zusammenkaufte; Frau Guibal, die stundenlang darin herumspazierte, ohne etwas zu kaufen, schon zufrieden mit der Augenweide; Frau von Boves, die ewig in Geldverlegenheiten war und mit gierigen Blicken die Waren verschlang, die sie sich nicht leisten konnte; Frau Bourdelais mit ihrem bürgerlich vernünftigen und praktischen Sinn, die nur auf die günstigen Angebote losging und auch in den großen Warenhäusern die Besonnenheit und das Geschick der guten Hausfrau zur Geltung brachte; endlich Henriette, die in allen Dingen Wert auf höchste Eleganz legte und im »Paradies der Damen« nur bestimmte Dinge kaufte, wie ihre Handschuhe, Wollwaren und einfachere Wäsche und dergleichen.
»Wir haben noch andere erstaunlich schöne und billige Stoffe«, fuhr Mouret mit seiner einschmeichelnden Stimme fort; »so empfehle ich Ihnen unsere ›Goldhaut‹, einen Taft von unvergleichlichem Glanz; dann Phantasieseiden in reizenden Mustern, die unser Einkäufer mit besonderer Sorgfalt ausgewählt hat; und was die Samte betrifft, so finden Sie bei uns ein reiches Sortiment in allen Farben ... Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß man in diesem Jahr sehr viel Wollstoffe tragen wird.«
Sie unterbrachen ihn nicht mehr. Sie hatten den Kreis um ihn fest geschlossen; mit einem Lächeln auf den halbgeöffneten Lippen standen sie da, das Gesicht gespannt, als strebe ihr ganzes Wesen dem Versucher zu. Er aber fuhr fort, zwischen seinen Sätzen immer wieder einen Schluck Tee zu trinken, und bewahrte die Ruhe eines Eroberers. Angesichts dieser Verführungskunst, die sich selbst zu beherrschen wußte, aber stark genug war, um dermaßen mit den Frauen zu spielen, fühlte Baron Hartmann, der Mouret nicht aus den Augen ließ, seine Bewunderung für den jungen Mann immer mehr wachsen.
Frau Bourdelais, die ihre Besonnenheit bewahrt hatte, meinte nun:
»Nicht wahr, der Resteausverkauf ist am Donnerstag? ... Da will ich lieber warten, denn ich habe alle meine Kleinen anzuziehen.«
Sie wandte sich zu der Dame des Hauses und fragte:
»Läßt du noch immer bei der Sauveur arbeiten?«
»Mein Gott, ja«, erwiderte Henriette. »Die Sauveur ist sehr teuer, aber außer ihr gibt es niemanden in Paris, der ein anständiges Kleid zu machen versteht. Und Herr Mouret mag sagen, was er will: man findet bei ihr die schönsten Muster – Muster, die es sonst nirgends gibt. Ich mag es nicht, wenn ich meine Kleider bei allen Leuten wiederfinde.«
Mouret lächelte geheimnisvoll; dann gab er zu verstehen, daß auch Frau Sauveur ihre Stoffe bei ihm kaufe. Gelegentlich allerdings übernehme sie gewisse Muster, für die sie sich das Alleinverkaufsrecht sichere, direkt vom Fabrikanten; aber ihre schwarzen Seiden beispielsweise beziehe sie ausschließlich beim »Paradies der Damen«. Sie decke sich dort immer wieder erheblich ein und verkaufe ihre Vorräte dann zu doppelten und dreifachen Preisen weiter.
»Ich bin sicher«, schloß er, »daß ihre Leute auch unser ›Pariser Glück‹ aufkaufen werden. Warum sollte sie denn in der Fabrik für den Stoff mehr zahlen als bei mir? Mein Ehrenwort: wir verkaufen die Seide mit Verlust.«
Das war der letzte Schlag, den er gegen die Damen führte. Der Gedanke, etwas unter dem Einkaufspreis zu bekommen, stachelte in ihnen alle Leidenschaften der Frau auf, deren Genuß doppelt ist, wenn sie den Kaufmann zu übervorteilen glaubt. Er wußte, sie würden einem billigen Angebot nicht widerstehen können.
»Bei uns wird alles zu Spottpreisen verkauft!« rief er vergnügt, während er den Fächer von Frau Desforges vom Tischchennahm.
»Sehen Sie diesen Fächer: ich weiß nicht, was er gekostet hat ...«
»Die Chantillyspitze fünfundzwanzig Franken, das Gestell samt der Arbeit zweihundert«, sagte Henriette.
»Schön: die Spitze ist nicht teuer, obwohl Sie bei uns die gleiche für achtzehn Franken bekommen. Was aber die Verarbeitung betrifft, liebe gnädige Frau, so sind Sie abscheulich betrogen worden; ich mache mich anheischig, ein ganz ähnliches Stück um neunzig Franken zu beschaffen.«
»Ich sagte es ja!« rief Frau Bourdelais.
»Neunzig Franken!« murmelte Frau von Boves; »da muß man in der Tat eine Bettlerin sein, um sich das zu versagen.«
Sie nahm den Fächer und betrachtete ihn von neuem, und in ihrem regelmäßigen Gesicht, in ihren großen, schmachtenden Augen spiegelte sich die nur mühsam zurückgehaltene Begierde. Abermals machte der Fächer die Runde unter den Damen. Herr von Boves und Vallagnosc hatten inzwischen das Fenster verlassen. Der Graf war hinter Frau Guibal getreten und starrte mit undurchdringlicher Miene in ihren Ausschnitt. Als er den schmerzlichen Blick auffing, mit dem seine Frau dem Fächer folgte, hielt er es für gut, auch etwas zu dem Thema zu sagen.
»Diese Dinger sind gar zu zerbrechlich«, meinte er.
»Reden wir nicht davon«, warf mit geziert gleichgültiger Miene Frau Guibal ein. »Ich bin es schon überdrüssig geworden, meine Fächer immer wieder reparieren zu lassen.«
Ganz aufgeregt durch diese Unterhaltung, drehte Frau Marty schon seit einer Weile ihre rote Ledertasche fieberhaft auf den Knien hin und her. Sie hatte ihre Einkäufe noch immer nicht gezeigt und brannte darauf, sie auszukramen. Endlich konnte sie sich nicht länger beherrschen; sie vergaß ganz die Anwesenheit ihres Mannes, öffnete die Ledertasche und holte einige Meter schmale, auf einen Karton gerollte Spitzen hervor.
»Das sind die Valenciennes für meine Tochter. Drei Zentimeter breit. Köstlich, nicht wahr? Einen Franken neunzig der Meter.« Die Spitzen wanderten von Hand zu Hand. Die Damen waren ganz hingerissen. Mouret versicherte, daß er diese kleinen Garnituren zum Fabrikpreis abgebe. Frau Marty hatte inzwischen ihre Ledertasche wieder geschlossen, wie um Sachen darin zu verbergen, die man nicht vorzeigt. Als sie aber den Beifall sah, den die Spitzen gefunden hatten, konnte sie dem Verlangen nicht widerstehen, noch etwas hervorzuholen.
»Diese Taschentücher habe ich ebenfalls gekauft. Brüsseler Arbeit, meine Liebe! Rein geschenkt! Zwanzig Franken!«
Und nun erwies sich die Tasche als unerschöpflich. Frau Marty errötete vor Vergnügen, jedes Stück, das sie hervorholte, bereitete ihr sichtlich einen neuen Genuß. Da war vor allem ein Halstuch für dreißig Franken; sie hatte es gar nicht kaufen wollen, allein der Verkäufer hatte ihr geschworen, es sei das letzte und sie kämen nicht mehr nach. Dann tauchte ein Schleier aus Chantillyspitzen auf; ziemlich teuer: fünfzig Franken. Wenn sie ihn nicht tragen sollte, so konnte sie ihrer Tochter etwas daraus machen.
»Mein Gott: Spitzen sind gar so hübsch!« wiederholte sie immerfort mit nervösem Lachen. »Wenn ich einmal dabei bin, möchte ich das ganze Warenhaus leerkaufen.«
»Und was ist das?« fragte Frau von Boves und betrachtete ein großes Stück Gipüre.
»Ach, das habe ich so nebenher gekauft, es sind sechsundzwanzig Meter Besatz, der Meter zu nur einem Franken, was sagen Sie dazu?«
»Sieh an!« bemerkte Frau Bourdelais überrascht. »Was wollen Sie damit anfangen?«
»Das weiß ich noch nicht ... Aber das Muster war so entzückend.«
In diesem Augenblick schaute sie auf und erblickte ihren Mann, der mit versteinertem Antlitz dastand. Jedes neue Stück Spitze war für ihn ein Unglück, verschlang die Früchte langer Arbeitstage, bedeutete die Jagd nach neuen Privatstunden. Als sie das steigende Entsetzen in seinen Blicken las, wollte sie rasch alles wieder einpacken: die Taschentücher, den Schleier, das Halstuch; sie fuchtelte nervös herum und meinte mit verlegenem Lächeln:
»Sie werden es noch dahin bringen, daß mein Mann mich ausschilt ... Dabei versichere ich dir, daß ich sehr vernünftig war. Da gab es eine große, wunderbare Spitze zu fünfhundert Franken je Meter!«
»Warum haben Sie sie denn nicht gekauft?« fragte ruhig Frau Guibal. »Sie haben doch den zuvorkommendsten aller Gatten.«
Herr Marty verneigte sich und erklärte, seine Frau sei in ihren Entscheidungen völlig frei. Allein beim Gedanken an die erwähnte große Spitze überlief ihn ein eiskalter Schauer. Und als er hörte, wie Mouret sagte, die Warenhäuser trügen ein gut Teil zum Wohlstand der mittleren Bürgerkreise bei, warf er ihm einen haßerfüllten Blick zu.
Die Damen betrachteten noch immer die Spitzen und fanden ihr Vergnügen daran. Die Stücke wurden auf- und zugerollt, gingen von Hand zu Hand. Sie überhäuften Mouret mit neuen Fragen. Da es langsam dunkel wurde, mußte er sich von Zeit zu Zeit zu ihnen niederbeugen, um eine Spitze zu begutachten, ein Muster zu erklären. Aber trotz des Entzückens, das er heuchelte, blieb er inmitten des warmen Dufts ihrer Schultern stets ihr Herr. Er schien selbst zur Frau zu werden, sie fühlten sich durchdrungen und hingerissen von dem Zartgefühl, mit dem er ihr innerstes Wesen erfaßte, und überließen sich ganz seiner Verführung.
Henrierte hatte sich zurückgezogen und sprach in der Fensternische leise mit dem Baron.
»Er ist ein reizender Junge!« versicherte Hartmann.
»Nicht wahr?« rief sie mit dem unwillkürlichen Ausdruck einer verliebten Frau.
Er lächelte und betrachtete sie nachsichtig. Es war das erstemal, daß er sie so sehr gefangen fand; zu überlegen, um deswegen gekränkt zu sein, bedauerte er vielmehr, sie in den Händen dieses so galant auftretenden und doch so kühlen Burschen zu sehen. Er fühlte sich verpflichtet, sie zu warnen, und murmelte scherzhaft:
»Nehmen Sie sich in acht, meine Liebe, er wird Sie alle verschlingen.«
Eine eifersüchtige Flamme blitzte in den schönen Augen Henriettes auf; sie begriff ohne Zweifel, daß Mouret sich ihrer nur bedient hatte, um mit dem Baron in Verbindung zu treten, und beschloß, ihn nun erst recht wahnsinnig vor Liebe zu machen.
»Oh«, erwiderte sie und schlug auch ihrerseits einen scherzhaften Ton an, »am Ende frißt doch noch das Lamm den Wolf.« Der Baron ermutigte sie mit einem Kopfnicken. Vielleicht war sie die Frau, die bestimmt war, die übrigen zu rächen.
Mouret hatte unterdessen Vallagnosc noch einmal eingeladen, doch einmal seine Firma zu besichtigen. Nun kam er heran, um sich zu verabschieden. Da hielt ihn der Baron in der Fensternische zurück. Er war endlich der Verführung erlegen, der Anblick des jungen Mannes inmitten dieser Damen hatte ihn überzeugt. Die beiden plauderten einen Augenblick mit gedämpfter Stimme. Dann erklärte der Bankier:
»Gut, ich will die Sache prüfen ... Sie können das Geschäft als abgeschlossen betrachten, wenn Ihr Sonderverkauf am nächsten Montag wirklich ein solcher Erfolg wird, wie Sie hoffen.«
Sie drückten einander die Hand, und Mouret nahm mit entzückter Miene Abschied.
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