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43
Die sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergebenden Pflichten können auch einklagbare Ansprüche begründen.
a) Ansprüche gegen den Ehegatten
44
Die Erhebung einer Leistungsklage auf Erfüllung der sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergebenden Pflichten (Eheherstellungsklage) ist seit dem Inkrafttreten des FamFG entfallen, § 120 Abs. 3 FamFG. Ein darauf gerichtetes Urteil war aber schon früher nach § 888 Abs. 3 ZPO a.F. nicht vollstreckbar, soweit es höchstpersönliche Ansprüche betraf. Das Recht der Ehegatten auf Trennung kann indes Gegenstand einer Feststellungsklage sein (negative Herstellungsklage).
45
Betrifft die Herstellung und die Verwirklichung der ehelichen Lebensgemeinschaft dagegen nicht höchstpersönliche Ansprüche, sondern vermögensrechtliche Ansprüche, kommt sowohl ein darauf gerichteter Schadensersatzanspruch als auch eine Vollstreckung z.B. wegen der Mitwirkung bei einer Steuererklärung[24] nach § 120 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 888 Abs. 1 ZPO in Betracht.
Beispiel
Abgabe einer Willenserklärung zur gemeinsamen Veranlagung in einer Steuererklärung, wenn dadurch die Steuerschuld des Ehegatten, der die gemeinsame Veranlagung wünscht, verringert und die Steuerschuld des anderen nicht erhöht wird.
aa) Unterlassungsansprüche
46
Bei einem ehewidrigen Verhalten eines Ehegatten hat der andere Ehegatte einen Unterlassungsanspruch aus § 1353, der allerdings nach § 120 Abs. 1, Abs. 3 FamFG nicht vollstreckbar ist. Eine Beeinträchtigung des ungestörten Fortbestands der Ehe kann auch quasi-negatorische Unterlassungsansprüche nach §§ 823, 1004 Abs. 1, 862 Abs. 1, 812 S. 1 analog begründen. Solche Ansprüche sind indes ebenfalls eine Familiensache i.S.v. § 266 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, die dem Vollstreckungsverbot des § 120 Abs. 3 FamFG unterliegen.
47
Vor Inkrafttreten des FamFG wurde die Vollstreckung eines quasi-negatorischen Unterlassungsanspruches überwiegend wegen des Vollstreckungsverbots des § 888 Abs. 3 ZPO a.F. abgelehnt.[25] Der BGH[26] hat allerdings im Gegensatz zum RG[27] einen im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzbaren Anspruch auf Beseitigung der Störung und Unterlassung künftiger Störungen gegen den anderen Ehegatten gewährt, wenn der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe durch ein ehebrecherisches Verhältnis des anderen Ehegatten beeinträchtigt wird. Es handelte sich dabei um die Fälle, in denen der Ehegatte seine Geliebte in die Wohnung mit aufgenommen hatte. Der räumlich-gegenständliche Bereich der Ehe wurde auch auf Geschäftsräume ausgedehnt, wenn sie ähnlich wie die Ehewohnung zu einem Teil des äußeren gegenständlichen Bereichs der Ehe geworden waren.[28]
bb) Schadensersatzansprüche
48
Bei einem ehewidrigen Verhalten eines Ehegatten sind Schadensersatzansprüche des anderen Ehegatten wegen der Verletzung von höchstpersönlichen Ehepflichten und wegen der Verletzung des räumlich-gegenständlich Bereichs der Ehe nach der h.M.[29] ausgeschlossen.
Beispiel
Der Ehemann erlaubt seiner Geliebten in die Ehewohnung einzuziehen. Die Ehefrau zieht in ein Hotel und macht die Übernachtungskosten gegenüber ihrem Ehemann geltend.
49
Etwas anderes gilt dann, wenn zu dem ehewidrigen Verhalten eine sittenwidrig schädigende Verletzungshandlung des Ehegatten hinzutritt, die zu einer Schadensersatzpflicht nach § 826 führt. Eine solche Schädigung ergibt sich allerdings nicht bereits daraus, dass ein Ehegatte den Ehebruch verschwiegen hat. Denn es besteht keine schadensersatzrechtlich sanktionierte Pflicht, dem anderen Ehegatten einen Ehebruch zu offenbaren.[30]
Beispiel
Ein Fall des § 826 kann vorliegen, wenn die Ehefrau, die bei einem Ehebruch ein Kind empfangen hat, Zweifel des Ehemannes an der Abstammung des Kindes durch unzutreffende Angaben oder durch ausdrückliches Leugnen des Ehebruchs zerstreut, oder wenn sie den Ehemann durch eine arglistige Täuschung oder auf andere Weise, etwa auch durch Drohung, an der Erhebung der Ehelichkeitsanfechtungsklage hindert.[31]
b) Ansprüche gegen den Ehestörer
aa) Unterlassungsansprüche
50
Beschränkt sich das Verhalten eines Dritten auf die ehewidrige Beziehung zu dem Ehegatten – ohne dass in den räumlich gegenständlichen Bereich der Ehe eingegriffen wird – steht dem anderen Ehegatten nach der Rechtsprechung[32] gegen den Dritten kein Unterlassungsanspruch zu. Solche Ansprüche werden verneint, weil dadurch entgegen der Wertung des § 120 Abs. 3 FamFG mittelbar auch gegen den anderen Ehegatten ein Rechtszwang zur ehelichen Lebensgemeinschaft ausgeübt werde.
51
Greift der Ehestörer dagegen in den räumlich gegenständlichen Bereich der Ehe ein, steht dem anderen Ehegatten ein quasi-negatorische Unterlassungsanspruch gegen den Dritten zu, da er insoweit das Persönlichkeitsrecht des anderen Ehegatten verletzt.[33]
bb) Schadensersatzansprüche
52
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs[34] gewähren die §§ 823 ff. gegen den ehestörenden Dritten keine Schadensersatzansprüche aus Delikt. Der BGH stützt dies darauf, dass die Ursachen für die Ehestörung im Verhältnis der Ehegatten zueinander liegen würden, für die dem Dritten keine Verantwortung auferlegt werden könne.
53
Demgegenüber bejaht ein Teil der Literatur[35] gegen den ehestörenden Dritten Schadensersatzansprüche nach § 823 Abs. 1.
54
Die Ansicht des Bundesgerichtshofs verdient den Vorzug, da die eheliche Lebensgemeinschaft im Verhältnis zu Dritten ein absolutes Recht auf Ungestörtheit der Beziehung nicht begründen kann. Allerdings ist der Dritte verpflichtet, die Schäden zu ersetzen, die er durch eine schuldhafte Verletzung der Gesundheit oder anderer in § 823 Abs. 1 geschützte Rechte verursacht. Entsprechendes gilt, wenn ein Verhalten die Voraussetzungen des § 826 erfüllt, indem zu dem ehestörenden Verhalten ein sittenwidrig schädigendes Verhalten hinzutritt und der Dritte dabei mit zumindest bedingten – auf eine Schadenszufügung gerichteten – Vorsatz gehandelt hat.[36]
JURIQ-Klausurtipp
Bei der Klausurbearbeitung ist zwischen den Ansprüchen der Ehegatten untereinander und den Ansprüchen des betrogenen Ehegatten zu dem Dritten zu trennen. Innerhalb der jeweiligen Rechtsverhältnisse sind dann die Ansprüche auf Unterlassung und auf Schadensersatz zu prüfen.
c) Ansprüche wegen eines Ehebruchskindes
55
Hat der betrogene Ehemann und Scheinvater für ein während der Ehe geborenes nichteheliches Kind Unterhalt gezahlt, hat er gegen den Erzeuger des Kindes einen Anspruch aus § 1607 Abs. 3 auf Erstattung der Unterhaltskosten. Einen Anspruch auf Ersatz der Entbindungskosten gewährt der Bundesgerichtshof[37] dem Ehemann über die Rückgriffskondiktion des § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, weil er den Erzeuger von seiner Unterhaltspflicht aus § 1610 befreit hat. Er kann weiter nach §§ 1607 Abs. 3, 1610 Abs. 2 analog den Ersatz der Kosten der Vaterschaftsanfechtung von dem Scheinvater verlangen.[38] Für die Geltendmachung dieser Ansprüche ist indes Voraussetzung, dass nach § 1600d Abs. 4 die Vaterschaft festgestellt ist. Die Rechtsausübungssperre des § 1600d Abs. 4, wonach die Rechtswirkungen der Vaterschaft grundsätzlich zwar erst vom Zeitpunkt ihrer Feststellung an geltend gemacht werden können, kann im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes in besonders gelagerten Einzelfällen zwar auf die Weise durchbrochen werden, dass die Vaterschaft inzident festgestellt wird. Die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes setzt jedoch voraus, dass der Scheinvater zuvor seine Vaterschaft wirksam angefochten hat. Nach Ablauf der dafür gemäß § 1600b geltenden Frist kommt auch die inzidente Feststellung eines anderen Mannes als Vater nicht mehr in Betracht.[39] Der Bundesgerichtshof hat dem Scheinvater ein Auskunftsanspruch gegen die Mutter des Kindes zugebilligt.[40] Weder ein von der Ehefrau begangener Ehebruch noch das bloße Verschweigen der hieraus folgenden möglichen Nichtvaterschaft gegenüber dem Ehemann führt zu einer Schadensersatzpflicht der (geschiedenen) Ehefrau hinsichtlich des von ihm geleisteten Unterhalts für das scheineheliche Kind.[41]
Die Durchbrechung der Rechtsausübungssperre im Regressprozess des Scheinvaters gegen den mutmaßlichen Erzeuger des Kindes setzt jedoch voraus, dass der Scheinvater zuvor seine Vaterschaft wirksam angefochten hat. Nach Ablauf der dafür gemäß § 1600b geltenden Frist kommt auch die inzidente Feststellung eines anderen Mannes als Vater nicht mehr in Betracht (Rn. 32).
1. Teil Familienrecht › C. Die Ehe › III. Schlüsselgewalt, § 1357
III. Schlüsselgewalt, § 1357
56
Mitverpflichtung und -berechtigung nach § 1357
I.Voraussetzungen
1.Kein Ausschluss nach § 1357 Abs. 2
2.Kein Getrenntleben, § 1357 Abs. 3
3.Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
VerbrauchergeschäfteRn. 66
4.Keine Ausnahme aufgrund der Umstände, § 1357 Abs. 1 S. 2
Ärztliche HeilbehandlungenRn. 69
II.Wirkungen
Dingliche Wirkung Rn. 58
GläubigerstellungRn. 60
Ausübung von GestaltungsrechtenRn. 61
Nach § 1357 ist jeder Ehegatte berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Vorrangig dient § 1357 dem Schutz des Rechtsverkehrs.[42] Dritte sollen sich unabhängig davon, welcher Ehegatte das zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs der Familie erforderliche Geschäft abgeschlossen hat, wegen ihrer Forderungen an beide Ehegatten halten können, unabhängig davon, welcher Ehegatte über Einkommen oder Vermögen verfügt.
1. Mitverpflichtung und Mitberechtigung des anderen Ehegatten
57
Durch den Abschluss eines Geschäfts zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, dass sich aus den Umständen etwas anderes ergibt.[43] Im Unterschied zur rechtsgeschäftlichen Vertretung der §§ 164 ff. wird nach § 1357 ein Dritter verpflichtet, obwohl die Willenserklärung nicht in dessen Namen abgegeben wird. Es handelt sich bei § 1357 um eine gesetzliche Mitverpflichtungsermächtigung (Schlüsselgewalt).
58

Die Mitverpflichtung des anderen Ehegatten bezieht sich nach h.M.[44] nur auf obligatorische Ansprüche. Durch Rechtsgeschäfte, die im Rahmen der Schlüsselgewalt abgeschlossen werden, entsteht kein Miteigentum der Ehegatten an dem Kaufgegenstand. Die dingliche Rechtslage bestimmt sich vielmehr nach den sachenrechtlichen Regelungen. Ansonsten wäre die Vorschrift des § 1357 mit den wesentlichen Prinzipien des gesetzlichen Güterstandes (vgl. §§ 1363 Abs. 2, 1364) und mit dem von den Ehegatten vereinbarten Güterrecht nicht zu vereinbaren.[45]
a) Gesamtschuldverhältnis
59
Bei Abschluss eines Geschäfts zur Deckung des angemessenen Lebensbedarfs entsteht zwischen den Ehegatten ein Gesamtschuldverhältnis.[46] Im Rahmen des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 richtet sich die Verteilung im Innenverhältnis nach dem Unterhaltsrecht § 1360a, da zwischen den Ehegatten insoweit etwas anderes „bestimmt“ ist. Die Besonderheit des Gesamtschuldverhältnisses liegt darin, dass die Mithaftung zur Schuld desjenigen, der das Schuldverhältnis abgeschlossen hat, akzessorisch ist. Die sich aus § 1357 Abs. 1 ergebende Gesamtschuld hat Gesamtwirkung, wodurch sich die Mithaftung auch auf Schadensersatzansprüche wegen Vertragsverletzungen erstreckt.[47] In analoger Anwendung des § 417 Abs. 1 S. 1 kann der mithaftende Ehegatte dem Gläubiger sämtliche Gegenrechte seines Ehegatten geltend machen, da es sich um einen gesetzlichen Schuldbeitritt handelt.
b) Gesamtgläubigerschaft
60

Umstritten ist, ob die Ehegatten bei Abschluss eines Geschäfts zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs Mitgläubiger i.S.v. § 432[48] oder Gesamtgläubiger nach § 428 sind.[49] Die Anwendung des § 428 erscheint interessengerechter, da § 432 nach der Gesetzessystematik subsidiär ist.[50] Im Übrigen kann sich durch die Anwendung des § 432 das Schuldverhältnis unterschiedlich rechtlich entwickeln, was durch § 429 Abs. 3 bei der Annahme einer Gesamtgläubigerschaft nicht möglich ist.
Hinweis
Der Ehegatte, der den anderen mit der Erledigung bestimmter Aufgaben betraut, muss sich das in diesem Rahmen erlangte Wissen (§§ 819, 932, 990) des anderen Ehegatten nach § 166 zurechnen lassen.[51]
61

Ungeklärt ist auch die Ausübung von sekundären Gläubigerrechten. Rechtsdurchsetzungshandlungen (Mahnung, Fristsetzung), kann jeder Ehegatte mit Wirkung für den anderen Ehegatten ausüben. Umstritten ist, ob Gestaltungsrechte, die dem Schutz der Privatautonomie oder der Sicherung der Entscheidungsfreiheit dienen (Anfechtung, Rücktritt, Widerruf) nur der kontrahierende Ehegatte mit Wirkung für den anderen Ehegatten ausüben kann. Dafür spricht, dass nach § 143 nur derjenige anfechtungsberechtigt ist, der die Willenserklärung abgegeben hat. Die umfängliche Mitverpflichtung des nicht kontrahierenden Ehegatten nach § 1357 Abs. 1 S.2 umfasst nach h.M.[52] auch das Recht, die Gestaltungsrechte alleine geltend zu machen. Folgt man der Mindermeinung, so kann der andere Ehegatte die Leistung analog §§ 770, 1137 Abs. 1 S. 1, 1211 Abs. 1 S. 1 verweigern, solange der kontrahierende Ehegatte zur Ausübung der Gestaltungsrechte berechtigt ist.[53]
a) Wirksame Ehe
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Für die Annahme einer Mitverpflichtung des anderen Ehegatten muss eine wirksame Ehe bestehen.
JURIQ-Klausurtipp
In einer Klausur ist für den Fall, dass vor der Hochzeit ein Angebot zum Abschluss eines Rechtsgeschäfts gemacht worden ist, genau zu prüfen, in welchem Zeitpunkt das Rechtsgeschäft angenommen worden ist. Die Vorschrift des § 1353 findet keine Anwendung, wenn das Rechtsgeschäft vor der Eingehung der Ehe abgeschlossen worden ist.
63
Auch bei einer aufhebbaren Ehe findet § 1357 Anwendung. Erst mit Rechtskraft des Urteils, das die Ehe aufhebt, ist die Ehe unwirksam § 1313 S. 2.
b) Kein Ausschluss nach §§ 1357 Abs. 2, 1412
64
Interne Beschränkungen der Ehegatten untereinander oder ein Ausschluss der Haftung aus § 1357 Abs. 1 im Innenverhältnis wirken nach außen nur, wenn sie im Güterrechtsregister eingetragen sind, §§ 1357 Abs. 2, 1412.
c) Kein Getrenntleben, § 1357 Abs. 3
65
Nach § 1357 Abs. 3 findet die Vorschrift des § 1357 keine Anwendung, wenn die Ehegatten getrennt i.S.v. § 1567 leben. Nach h.M.[54] liegt ein Getrenntleben der Ehegatten auch dann vor, wenn die Ehegatten noch in einer Wohnung leben, aber einen getrennten Haushalt führen. Dagegen tritt ein Verlust der Schlüsselgewalt nicht dadurch ein, dass die Ehegatten nur vorübergehend getrennt sind. Entscheidend für eine Trennung ist der beiderseitige Wille der Ehegatten, die häusliche Lebensgemeinschaft nicht mehr aufrechterhalten zu wollen.
Beispiel
An einem solchen Willen fehlt es und ein Getrenntleben scheidet aus, wenn ein Ehegatte einen längeren Aufenthalt in einem Sanatorium hat oder bei einer vorübergehenden Tätigkeit eines Ehegatten im Ausland.
d) Rechtsgeschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs
66
Die aus § 1357 sich ergebende Verpflichtungsermächtigung bezieht sich nur auf solche Rechtsgeschäfte, die zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie erforderlich sind. Der Lebensbedarf ist ein Begriff aus dem Unterhaltsrecht (§§ 1360a, 1610). Er erfasst alle Rechtsgeschäfte des unmittelbaren Bedarfs (Ernährung, Kleidung, Miete, Heizkosten etc.) und des persönlichen Bedarfs (Bücher, Genussmittel, Kurzreisen), für die wegen des Umfangs des Rechtsgeschäfts eine vorherige Verständigung der Ehegatten nicht stattfindet.

Angemessen ist die Deckung des Lebensbedarfs, wenn sie nach Art und Umfang den durchschnittlichen Gebrauchsgewohnheiten einer Familie in vergleichbarer sozialer Lage entspricht.
Für die Beurteilung ist der nach außen in Erscheinung getretene Lebenszuschnitt der Familie maßgebend.[55] Rechtsgeschäfte, die den bisherigen Lebensstandard der Familie überschreiten oder die die Lebensbedingungen grundlegend ändern, unterliegen daher nicht der Schlüsselgewalt.

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Beispiel
Kauf eines Eigenheims, Kauf eines Luxusautos oder einer Segelyacht
67
Von der Vorschrift des § 1357 werden auch solche Rechtsgeschäfte nicht erfasst, die in der persönlichen Sphäre eines Ehegatten liegen oder die der Vermögensverwaltung oder der Vermögensanlage dienen.
Beispiel
Abschluss eines Arbeitsvertrags oder Buchung einer Fortbildungsveranstaltung, Abschluss eines Sparvertrages
68

Nach h.M.[56] können auch Rechtsgeschäfte, die den Vorschriften des Verbraucherschutzes (§§ 312 ff., Verbraucherdarlehen nach §§ 491 ff., Finanzierungshilfen nach §§ 506 ff., Ratenlieferungsverträge nach § 510) unterliegen, generell in den Anwendungsbereich von § 1357 Abs. 1 S. 1 fallen. Sofern die sonstigen Voraussetzungen des § 1357 erfüllt sind, werden beide Ehegatten aus einem Ratenlieferungsvertrag über § 1357 berechtigt und verpflichtet. Nach h.M. ist es auch ausreichend, wenn die Formvorschriften des §§ 492, 355 nur gegenüber dem handelnden Ehegatten erfüllt sind und nur ihm gegenüber die Widerrufsbelehrung nach § 355 erfolgt ist. Soweit der nicht handelnde Ehegatte mit verpflichtet worden ist, werden auch ihm gegenüber die Schutzwirkungen der verbraucherschützenden Regelungen zuteil. Ihm steht insbesondere das Widerrufsrecht zu.[57] Für die Fristberechnung muss sich der andere Ehegatte die Kenntnis des handelnden Ehegatten von der Widerrufsbelehrung in entsprechender Anwendung der Vertretungsregelungen zurechnen lassen.[58]
Hinweis
Bei Verbraucherdarlehen und Ratenzahlungsverträgen kann eine Mitverpflichtung des Ehegatten nach § 1357 nicht mehr angenommen werden, soweit die Valuta ein Viertel des monatlichen Einkommens überschreitet.[59]
Der Abschluss einer Vollkaskoversicherung für ein Familienfahrzeug der Ehegatten kann ein Geschäft zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie i.S.v. § 1357 Abs. 1 sein. Gleiches gilt für die Kündigung eines solchen Vertrags.[60]
e) Keine anderen Umstände
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Es dürfen keine für den Vertragspartner erkennbaren Umstände vorliegen, die die Mitverpflichtung und die Mitberechtigung des anderen Ehegatten ausschließen. Das ist der Fall, wenn der handelnde Ehegatte eindeutig klarstellt, dass er der alleinige Vertragspartner sein will. Auch aus objektiven Umständen kann sich ein solcher Ausschluss ergeben. Der Abschluss von ärztlichen Behandlungsverträgen unterliegt der Vorschrift des § 1357, wenn die Heilbehandlung eine medizinisch notwendige Maßnahme betrifft und die Behandlung unaufschiebbar ist.[61] Überschreiten die Behandlungskosten die finanziellen Verhältnisse der Familie, so tritt keine Mitverpflichtung des anderen Ehegatten ein, wenn dies für den Vertragspartner anhand des wirtschaftlichen Erscheinungsbilds der Familie erkennbar ist.
f) Übungsfall Nr. 1
70
„Behandlungskosten“
M und F waren 10 Jahre im Güterstand der Zugewinngemeinschaft verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten waren sehr angespannt, da der M in den letzten Jahren nur geringe Einkünfte aus einer selbständigen Tätigkeit erzielt hat. Die Allgemeine Ortskrankenkasse hatte das mit M bestehende Krankenversicherungsverhältnis gekündigt, nachdem er die Krankenkassenbeiträge nicht mehr zahlen konnte. M musste sich nach der Kündigung des Versicherungsverhältnisse wegen eines Bronchialkarzinoms einer Chemotherapie in einer Klinik unterziehen. Vor der Behandlung schloss er als Selbstzahler einen Behandlungsvertrag mit der Klinik K ab, um absolut notwendige Behandlungsleistungen in Anspruch zu nehmen. Nach Beendigung der Behandlung leistete M die vertraglich vereinbarten Behandlungskosten nicht. Kurze Zeit später verstirbt M und wird von seinen drei Kindern testamentarisch beerbt. Die Klinik K nimmt die F wegen der für den M entstandenen Behandlungskosten in Höhe von 20 000 € in Anspruch.
(Anmerkung: Dem Sachverhalt liegt die Entscheidung des BGH[62] zugrunde.)
71
Lösung
K kann gemäß §§ 611 Abs. 1, 1357 die Behandlungskosten von F als Mitverpflichtete des von M mit K geschlossenen Behandlungsvertrags verlangen.
I. Vertraglicher Anspruch nach § 611
Ein solcher Anspruch setzt zunächst das Bestehen eines Dienstleistungsvertrags zwischen M und K voraus. M schloss mit K einen privatrechtlichen Behandlungsvertrag in Form eines Dienstvertrages gemäß § 611, durch den K einen Anspruch gegen M auf Leistung der vereinbarten Behandlung erwarb. Durch diesen Vertrag ist nur der M zur Zahlung der Behandlungskosten verpflichtet worden. F ist auch nicht im Rahmen einer Stellvertretung durch M bei dem Abschluss des Behandlungsvertrags vertreten worden, da M den Dienstvertrag im eigenen Namen abgeschlossen hat.