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Nicht zu unterschätzen ist auch das fortschreitende Alter. All diese Erfolge des Umfeldes werden uns in einer Zeit präsentiert, in der die »magische 30« näher rückt. Der 30. Geburtstag kann gewaltigen Druck erzeugen, bis zu diesem Zeitpunkt bereits nennenswerte persönliche Erfolge erzielt zu haben. Je näher der Tag rückt und je weniger die Realität dem Ideal von Karriere, Hochzeit, Haus und Kind entspricht, umso größer wird die Panik. An sich kann ich diesem traditionellen Modell nicht mehr viel abgewinnen, weil es meiner Meinung nach nicht mehr zeitgemäß ist. Aber wer kann sich schon wirklich frei davon machen, wenn man von allen Seiten auf den bald anstehenden 30. Geburtstag angesprochen wird?
Externer Druck und Vergleiche führen schließlich dazu, dass wir hohe Erwartungen an uns entwickeln. Werden diese nicht erfüllt, blicken wir zunehmend verunsichert in die Zukunft. War das Leben mit Anfang 20 so schön vorgeplant, sieht die Realität fünf Jahre später oft ganz anders aus. Auf einmal haben wir noch immer nicht unsere große Liebe kennengelernt, finden trotz erfolgreich absolviertem Studium nicht den entsprechenden Job oder können uns all die Dinge nicht leisten, die wir so gerne hätten.
Die Sinnkrise
Dass die Sinnkrise von Millennials ein weit verbreitetes Phänomen ist, belegen mittlerweile diverse Studien. Einige von ihnen haben ihr sogar in Anlehnung an die bekannte Midlife-Crisis den Namen Quarterlife-Crisis verpasst. Ob die Sinnkrise in den Zwanzigern ähnlich einnehmend ist wie die Krise um den 50. Geburtstag, kann und möchte ich nicht beurteilen. Fest steht allerdings, dass sich viele von uns in einer Situation voller Zweifel wiederfinden.
Laut einer Umfrage vom Online-Netzwerk LinkedIn bedeutet das konkret, dass eine solche Krise bei bis zu 75 Prozent der Millennials auftreten kann. Dazu wurden 2017 ca. 6.000 Personen zwischen 25 und 33 Jahren befragt. Die Ergebnisse dieser Umfrage möchte ich an dieser Stelle gerne präsentieren:
80% fühlten sich unter Druck gesetzt, bis zum 30. Lebensjahr Erfolg zu haben
59% verspürten Unsicherheit über die nächsten Schritte (beruflich & privat)
54% waren frustriert über die Karrieremöglichkeiten
49% hatten das Gefühl, nicht genug zu verdienen
48% waren verunsichert durch Vergleiche mit anderen
44% fühlten sich in einer Sackgasse
43% waren der Ansicht, bis jetzt zu wenig gereist zu sein
35% verspürten Druck, zu heiraten und Kinder zu kriegen
33% fühlten sich, als hätten sie persönliche Ziele nicht erreicht
Je nach Ausprägung kann sich aus diesen Gedanken ein stark verzerrter Blick auf die eigenen Lebensumstände entwickeln, der von fehlendem Selbstvertrauen und einer angespannten Grundstimmung begleitet wird. Wie lange diese Empfindungen anhalten, ist völlig individuell. Sie können nur für ein paar Tage oder für Wochen und Monate den Alltag bestimmen. Teilweise kann sich eine Sinnkrise auch mehrere Jahre hinziehen, in denen regelmäßig Phasen voller Unsicherheit und Zweifel auftreten.
Auch wenn in früheren Generationen die Aufmerksamkeit für ein solches Thema nicht so ausgeprägt war, ist die Sinnkrise in den Zwanzigern ein charakteristisches Merkmal der Millennials. Klassische Auswirkungen einer solchen Krise lassen sich dabei auch in der Social-Media-Welt recht gut beobachten.
In Instagram-Feeds von Millennials sind zahlreiche Beiträge zu finden, die auf ironische Art und Weise die Lebensumstände und das eigene Gefühlsleben illustrieren. Recht oft befassen sich diese mit dem eigenen Single-Leben, finanziellen Sorgen, der Ahnungslosigkeit in Bezug auf die eigene Karriere oder mit übermäßigem Alkoholkonsum, um all das kurzzeitig verdrängen zu können. Ich möchte diesem Internetphänomen nicht zu viel Aufmerksamkeit schenken, doch finde ich es interessant, dass dadurch scheinbar eine Möglichkeit gesucht wird, die eigenen Unsicherheiten mit anderen zu teilen und ihnen auf eine ironische Art zu begegnen, um sich weniger schlecht zu fühlen.
Durch die Corona-Krise ist es durchaus wahrscheinlich, dass sich die Quantität und auch die Intensität von persönlichen Sinnkrisen innerhalb der Millennials nochmals verstärken wird. Genau wie alle anderen Generationen müssen wir die neuen Herausforderungen meistern, vor die uns die Pandemie gestellt hat. Dabei sind wir aber gleichzeitig noch mit den bereits vorhandenen Problemen der Mittzwanziger konfrontiert, die dadurch noch mehr Bedeutung erlangen könnten. Die Suche nach einem Job ist noch einmal schwerer geworden. Gesellschaft und Urlaube, um aus dem Gedankenchaos zu entfliehen, sind nicht mehr so unbeschwert möglich wie noch im Sommer 2019.
Das Thema der Sinnkrise oder auch Quarterlife-Crisis wird somit aller Voraussicht nach in den nächsten Jahren noch deutlich präsenter, sodass immer mehr Millennials vor der Aufgabe stehen werden, sich mit einer solchen Phase auseinanderzusetzen.
Kapitel 2
Nach den Hintergrundinformationen zu den Millennials möchte ich nun noch einen Vertreter dieser Generation etwas genauer vorstellen: mich.
Die Idee des eigenen Buches kam mir im Sommer 2020. Damals hatte ich gerade meinen Master erfolgreich absolviert und befand mich von Montag bis Freitag in einem Eight-to-five-Job. Auch wenn die Wochenendaktivitäten aufgrund von Corona stark beeinträchtigt waren, gab es durchaus andere Möglichkeiten, sich die Zeit zu vertreiben. Was also brachte mich dazu, meine Freizeit zu opfern und mich stundenlang vor den Laptop zu setzen?
Davon werde ich auf den folgenden Seiten ebenso berichten wie von meiner eigenen Geschichte. Mein Buch soll keine Autobiografie sein, in der ich kleinschrittig meine bisherigen 27 Jahre wiedergebe. Dafür war mein Alltag dann doch meistens sehr durchschnittlich. Die vorgestellten Ansätze leben aber von meinen persönlichen Erfahrungen. Um diese zu verstehen und entsprechend einordnen zu können, sollten vorab einige Stationen aus meinem Leben bekannt sein.
Dazu werfe ich einen kurzen Blick auf meine Jugendzeit, auf die Schul- und Studienzeit, prägende Momente und Gefahrensituationen, die Gründe für meinen Umzug nach Hamburg, die Auslöser meiner Sinnkrise und schließlich die Schritte, die mich dazu gebracht haben, diese Krise beenden zu wollen. Ich bin mir darüber im Klaren, dass dadurch sehr viel Persönliches in diesem Buch steckt. Meiner Ansicht nach kann aber genau das dabei helfen, sich intensiv mit diesem Thema auseinanderzusetzen und vielversprechende Schlüsse für den eigenen Alltag zu ziehen.
DIE GRÜNDE FÜR DIESES BUCH
Kreativität
Ich kann nicht von mir behaupten, dass es schon immer mein Traum war, ein eigenes Buch zu verfassen. Allerdings war ich in meinem Umfeld schon früh dafür bekannt, gute Texte schreiben zu können. Oft bekam ich Lob für die passende Formulierung von Mails, Nachrichten oder Geburtstagskarten. Im Studium schrieb ich gerne Hausarbeiten und merkte, dass ich mich bei wissenschaftlichen Texten teilweise minutenlang mit der Formulierung einzelner Sätze beschäftigen konnte, bis sie mir schließlich passend erschienen. Auch während der Anfertigung meiner Masterarbeit blitzten zwischendurch Momente auf, in denen ich fast schon Spaß am Schreiben hatte. Jedoch hatte ich nie die Absicht, diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
Ein wichtiger Grund für meinen kleinen Ausflug in die Autorenwelt war daher die Erkenntnis über die eigene Kreativität. Ich glaube nicht, dass sie von jetzt auf gleich einfach so da war, zumindest komme ich rückblickend zu diesem Schluss. Wahrscheinlich hatte ich sie schon immer in mir, was mir in dieser Zeit durch verschiedenste Umstände erst so richtig bewusst wurde.
Ich weiß nicht, inwieweit ich mit 27 Jahren ohnehin einen neuen Zugang zu meiner Kreativität gefunden hätte oder ob der Corona-Lockdown einen großen Anteil daran hatte. Auf jeden Fall wurde dieser Prozess durch Social Distancing beschleunigt, weil ich mich über einen längeren Zeitraum viel intensiver mit mir und meinen Gedanken beschäftigen konnte. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, meine wahren Interessen zu erkennen und entsprechend auszuleben. Das Ergebnis war ein kreatives Projekt, was ich mir kurz zuvor selbst nicht zugetraut hätte.
Vielleicht dauerte es auch deshalb so lange, weil ich nicht in mein eigenes Weltbild eines Kreativen passte. Mein privates aber vor allem berufliches Umfeld wird bestätigen können, dass ich generell ein Fan von Struktur und Ordnung bin und es damit auch gerne mal übertreibe. Ein Kreativer war für mich jemand, der wie ein zerstreuter Professor in seinem eigenen Chaos lebt und seine Ideen wirr und ohne offensichtliche Struktur auf Schmierzetteln aufschreibt. Mittlerweile weiß ich, dass sich strukturiertes Arbeiten und Kreativität keinesfalls ausschließen.
Mitteilungsbedürfnis
Natürlich steckte auch ein gewisses Mitteilungsbedürfnis hinter meiner Absicht, ein Buch zu schreiben. Möglicherweise war es der Versuch, all das loszuwerden, was mir auf der Seele brannte und wofür ich Tage gebraucht hätte, um es meinem Umfeld in dieser Ausführlichkeit erzählen zu können. Kurz bevor ich mich dem Schreiben widmete, merkte ich, dass ich zunehmend Spaß daran bekam, inspirierende Gespräche zu führen. Dabei verspürte ich einen immer stärkeren Drang, meine eigenen Erfahrungen zu teilen.
Der erste große Ausbruch meines Mitteilungsbedürfnisses kam dann etwa einen Monat vor meinem Entschluss, ein Buch zu schreiben. Im Juni 2020 hatte ich gerade zum ersten Mal seit Monaten ein Wochenende in der Heimat verbracht und befand mich nun auf der Autobahn von Köln nach Hamburg. Um die Fahrzeit möglichst angenehm zu gestalten, hörte ich eine Folge des erfolgreichen Podcasts Gemischtes Hack. Da ich die aktuelle Episode bereits auf dem Hinweg gehört hatte, griff ich zu einer Folge, die einige Monate alt war. In der Kategorie »Fünf schnelle Fragen an…« stellte Felix Lobrecht folgende Frage an Tommi Schmitt: »Was hast du in der Shutdown-Zeit bisher über dich gelernt?«
Ohne es aktiv zu forcieren, schossen mir unzählige Gedanken durch den Kopf, wie ich auf diese Frage antworten würde. Intuitiv drückte ich auf Pause, um meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Auf einmal stellte ich mir vor, ich würde zusammen mit Felix und Tommi den Podcast aufnehmen und müsste nun eine Antwort geben. Das tat ich dann auch. Ich sprach es nicht laut aus, aber ich brachte meine Gedanken so strukturiert zusammen, dass sie eine ausführliche Antwort bildeten. Es vergingen fast 20 Minuten, bis ich meine imaginäre Antwort beendet hatte und den Podcast fortsetzte.
In den nächsten Minuten folgte ich dem Podcast nur flüchtig, denn ich versuchte, meine Intention für dieses ungewohnte Verhalten zu erkennen. So etwas hatte ich noch nie bewusst wahrgenommen und dementsprechend überrascht war ich von mir selbst. »Was war das denn gerade?«, ging es mir durch den Kopf, während ich mich allmählich der Hansestadt näherte. Irgendwie merkte ich, dass da etwas in mir schlummerte, was es zu wecken galt.
Dieses Gefühl verfolgte mich die nächsten Tage und ich überlegte mir täglich neue Fragen, die ich in einem Podcast beantworten würde. Irgendwann wurde es inhaltlich so viel, dass ich mich an den Schreibtisch setzte, um meine Gedanken am Laptop festzuhalten. Als ich fertig war, hatte ich bereits drei Seiten geschrieben. Ich speicherte den Entwurf, ohne zu wissen, was daraus einmal werden sollte.
Das eigene Projekt
Etwa zur gleichen Zeit begannen um mich herum immer mehr Freunde und Bekannte, ihre eigenen Projekte zu starten. Ein eigener VW-Bus hier, eine Instagram-Seite für Fotografie dort. Menschen in meinem Umfeld fanden ihre Leidenschaft und konnten sich einem persönlichen Projekt widmen, während ich mich weiter auf der Suche nach Ähnlichem befand.
Dies sollte sich allerdings schlagartig ändern, als es Anfang Juli 2020 mit meiner Familie auf die dänische Ostseeinsel Bornholm ging. Bis dahin hatte ich mehrere Monate mit der Anfertigung meiner Masterarbeit verbracht, meine Asienreise Corona-bedingt absagen müssen und kurz vor dem Urlaub mit großem Stress auf der Arbeit zu kämpfen. Dazu machten mir die Folgen der Corona-Einschränkungen mehr und mehr zu schaffen. Dieser Urlaub kam daher genau zur richtigen Zeit. Allen Besonderheiten zum Trotz gestaltete sich die Zeit auf der Insel sehr erholsam und ich konnte die letzten Monate endlich hinter mir lassen.
Mein Podcast-Erlebnis hatte mich dazu gebracht, meinen Laptop mitzunehmen, um an dem Entwurf weiterzuarbeiten. Ich strukturierte die ungeordnet gesammelten Gedanken und fügte neue Inhalte hinzu. Mir fiel auf, dass ich deutlich kreativer war als noch zuhause in Deutschland. Schnell hatte ich eine grobe Gliederung und mein Entwurf erstreckte sich bereits über 30 Seiten. Noch immer wusste ich nicht so ganz, wohin mich diese Texte bringen sollten. Doch allmählich bekam ich eine Ahnung, was die logische Konsequenz von meinem Entwurf war.
Nach sechs Tagen trat ich die Heimreise an, während der Rest der Familie noch etwas länger auf der Insel blieb. Schon auf der Überfahrt realisierte ich, wie aufgetankt und erholt ich mich fühlte. Ich war in einem regelrechten Rausch an Kreativität und Tatendrang, sodass mich ein Gefühl des Aufbruchs überkam. Zuhause angekommen wollte ich den Rausch allerdings nicht einfach so für meinen gewohnten Alltag »verschenken«. Es entwickelte sich der Wunsch, diese Energie für etwas ganz Persönliches und bestenfalls Selbstverwirklichendes zu verwenden.
Nach meinem Master hatte sich eine innere Leere breitgemacht, da meine berufliche Entwicklung unter anderem durch Corona ins Stocken geraten war. Ich sah in einem eigenen Projekt die Chance, diese Leere zu füllen und 2020 doch noch für etwas zu nutzen. Ich wollte dieses seltsame Jahr nicht so ohne Weiteres als verlorenes Jahr abhaken. Noch am selben Abend setzte ich mich wieder an den Laptop und schrieb weitere fünf Seiten mit Ideen auf.
Von nun an kreisten meine Gedanken von morgens bis abends um meinen Entwurf. Aus allen Alltagssituationen versuchte ich, Inspiration für mein Werk zu gewinnen. Gerade in der Anfangszeit des Schreibens wollte ich keine noch so kleine Idee verpassen. Mein Vollzeitjob kam mir zu dieser Zeit fast schon in die Quere. Am liebsten hätte ich mich mehrere Monate ausschließlich dem Schreiben hingegeben. An den Wochenenden im Sommer saß ich gelegentlich schon ab 7:30 Uhr am Schreibtisch, um meine kreativste Phase des Tages bestmöglich ausnutzen zu können.
Täglich kamen neue Passagen und Seiten hinzu und ich musste mich ernsthaft damit befassen, dass ich gerade dabei war, mein eigenes Buch zu schreiben. Schon längst handelte es sich nicht mehr nur um ein paar Ideen, sondern um ein eigenes Projekt. Mein ganz persönliches Projekt. Auf einmal hatte ich ein großes Ziel vor Augen. Ich erstellte einen ersten Coverentwurf, druckte ihn aus und befestigte ihn mit Büroklammern auf einem Buch aus meinem Regal. »So könnte dein Buch einmal aussehen«, sagte ich zu mir und konnte mir ein breites Lächeln nicht verkneifen.
Nach und nach entwickelte sich aus der wachsenden Überzeugung zu meinem Projekt die Vision, das Buch meiner Familie zu Weihnachten zu schenken. Somit hatte ich auch meinen Zeitplan und es verschwanden letzte Zweifel. Ich versank jeden Tag tiefer in der Welt des Schreibens und mein Buch füllte sich mit Leben.
Zu diesem Zeitpunkt war die Veröffentlichung noch gar kein Thema. Durch das Schreiben wollte ich eigentlich nur ein paar Erinnerungen an mich selbst festhalten. Daraus wurde eine Art Therapie in Form eines Projektes, in das ich sehr viel Herzblut stecken konnte. Die Idee der Veröffentlichung kam mir erst nach ein paar Wochen. Mit Self-Publishing fand ich eine Möglichkeit, meine Geschichte zu teilen und dabei weiterhin die volle Kontrolle über die Inhalte zu behalten. Ich wollte mir in gewisser Weise selbst beweisen, ein solches Projekt eigenständig auf die Beine stellen zu können, und verzichtete daher bewusst auf professionelle Hilfe beim Cover und bei der Korrektur. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass dieses Buch nicht mit der Absicht entstanden ist, in einer Bestsellerliste zu landen oder finanzielle Freiheiten zu bringen. Es ist einfach nur das Ergebnis einer länger andauernden Suche nach einem kreativen Projekt.
Ein Beispiel sein
Aber natürlich war und ist es mein Wunsch, dass dieses Buch einige Menschen erreicht. Nachdem ich mich ein Jahr mit meiner eigenen Entwicklung befasst hatte, verspürte ich zunehmend Interesse daran, anderen meine Erfahrungen weiterzugeben. Dabei stieß ich immer häufiger auf sehr offene Ohren und positives Feedback zu meinen Geschichten. Gleichzeitig begannen vereinzelt Freunde damit, aktiv ihr Handeln zu hinterfragen, und ich bekam den Eindruck, dass dies vielen Millennials so ginge.
Es beschäftigte mich, dass diese privilegierte Generation teilweise Probleme damit hat, das eigene Leben zu ordnen. Dass von außen betrachtet alle erfolgreich ihren Weg gehen, der allerdings bei vielen von Unsicherheit und großem Druck begleitet wird. Ich hatte das Gefühl, ein gutes Beispiel zu sein, wie man eine solche Krise hinter sich lassen kann, um gestärkt daraus hervorzugehen.
Als ich das Buch schrieb, wohnte ich bereits seit über zwei Jahren in Hamburg. Obwohl die Stadt in Teilen als sehr alternativ gilt und obwohl Persönlichkeitsentwicklung schnell mit Spiritualität in Verbindung gebracht wird, führte ich kein alternatives Leben. Ich machte im Grunde das, was ein 27-Jähriger aus behüteten Verhältnissen heutzutage so macht und versank täglich in der von Corona beeinträchtigten Durchschnittlichkeit. Das betone ich deshalb so explizit, weil für Veränderungen oftmals eine weitreichende Umstellung der eigenen Gewohnheiten erwartet wird. Das ist meiner Meinung nach allerdings nicht nötig. Bestimmte Lebensumstände können in einer Phase voller Zweifel zwar alles andere als förderlich sein, vieles von all dem passiert aber einzig und allein im Kopf und genau das möchte ich durch meine persönlichen Erfahrungen vermitteln.
Auch wenn ich sehr stolz auf mich und meine Entwicklung bin, möchte ich nicht behaupten, dass ich es seit meinem Fokus auf die Persönlichkeitsentwicklung zu etwas Großem geschafft habe oder ein unfehlbarer Mensch geworden bin. Ich bin überzeugt von meinen Erfahrungen als alltagstaugliches Beispiel und glaube an die Wirksamkeit der Ansätze. Aber ich setze nicht voraus, dass sie auch automatisch in dieser Form bei allen anderen funktionieren. Es gibt viele Wege, um eine Sinnkrise zu beenden. Der Ausflug in die Persönlichkeitsentwicklung kann einer davon sein.
Nicht nur mit den Inhalten, auch mit dem Buch an sich möchte ich ein wenig zum Nachdenken anregen. Es ist ein kleiner Beweis dafür, dass sich erfüllende Tätigkeiten nicht nur da finden lassen, wo wir sie vermuten. Manchmal begegnen sie uns auch, wenn wir einmal unsere Zweifel zur Seite schieben und einfach anfangen das zu tun, wofür wir brennen. Ich werde im Verlauf des Buches nicht müde darin, meine persönliche Bedeutung von Lost in Privilege immer wieder zum Ausdruck zu bringen. Einfach, weil ich eine solche Begeisterung noch nie für eine Tätigkeit empfunden habe. Sie dient mir als Bestätigung, seit Sommer 2019 einen Weg eingeschlagen zu haben, der mir ganz neue Möglichkeiten offenbaren kann.
Gemeinsam mit meinen persönlichen Erfahrungen und Meinungen, mit den Ansätzen der Persönlichkeitsentwicklung und den Praxistipps zu jedem Thema möchte ich damit zum Nachdenken anzuregen und im besten Fall zur Nachahmung animieren.
MEINE GESCHICHTE
In Kölle jebore
Das Licht der Welt erblickte ich 1993 in Köln. Bis heute bin ich meinen Eltern sehr dankbar dafür, dass sie sich bei meiner Geburt gegen unsere Heimatstadt und für die Domstadt entschieden. Die Tatsache, dass ich ne kölsche Jung bin, hebt meinen ohnehin übertriebenen Lokalpatriotismus nochmal auf eine andere Ebene.
Doch genau genommen habe ich noch nie in meinem Leben in Köln gewohnt. Die ersten 23 Jahre verbrachte ich bis auf ein paar Ausnahmen in einer nahegelegenen Kleinstadt. Dort herrschten hervorragende Bedingungen, um eine Familie zu gründen, und so blicke ich heute auf eine behütete Kindheit zurück. Ich wuchs in einer ruhigen Reihenhaussiedlung auf, ging in den Kindergarten, später in die Grundschule und spielte beim städtischen Fußballverein. In allen Bereichen fand ich problemlos Freunde und konnte mich zu jeder Zeit über ein funktionierendes Sozialleben freuen.
Schon früh hatte ich das Privileg, mindestens einmal im Jahr mit meiner Familie in den Urlaub zu fahren. Dabei ging es meistens im Sommer für drei Wochen auf die dänische Ostseeinsel Bornholm, die dadurch wie ein zweites Zuhause und zu einem paradiesischen Zufluchtsort wurde. Im Alter von 20 Jahren hatte ich bereits über ein Jahr meines Lebens auf dieser Insel verbracht. Eine Anreisemöglichkeit ist bis heute die Fährverbindung vom deutschen Kurort Travemünde ins schwedische Trelleborg, von wo aus es nach einer kurzen Autofahrt zu einem anderen Hafen weiter nach Bornholm geht. Die Orte Bornholm und Travemünde spielen eine wichtige Rolle im Zusammenhang mit meiner Sinnkrise und werden im weiteren Verlauf das ein oder andere Mal auftauchen.
Nach der Grundschule folgte ich meinem vier Jahre älteren Bruder und ging auf das erzbischöfliche Gymnasium der Stadt. Die Zeit knüpfte nahtlos an meine behütete Kindheit an, da der Schulalltag nicht mit dem einer städtischen Schule zu vergleichen war. Rückblickend bin ich sehr froh, dass ich bis zur achten Klasse weiterhin im Fußballverein angemeldet war, um auch das Leben außerhalb der Schule zu kennen. Auf einer Schule, auf der es fast keine Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund gab, auf der vor dem Unterricht gebetet werden sollte und auf der es selten bis nie Gewaltprobleme gab, konnte man durchaus davon ausgehen, dass dies auch auf die gesamte Gesellschaft übertragbar war. Heute würde man wahrscheinlich von einer Filter Bubble sprechen, in der eine völlig eigene Realität herrschte.
Ich möchte aber nicht sagen, dass ich die Wahl der Schule bereue. Auch wenn ich die religiösen Werte nur bedingt lebte, fühlte ich mich sehr wohl und genoss eine sehr gute Schulausbildung. Gleichzeitig fand ich auf dem Gymnasium enge Freunde, die mich bis heute begleiten. Bevor ich allerdings mein Abitur erfolgreich abschloss, musste ich noch die große Hürde der Pubertät überstehen. Diese sollte sich als äußerst aufwühlende Zeit herausstellen, in der ich mich mehr und mehr in einem Gedankenchaos verlor.
Die Jugendkrise
Dieses Gedankenchaos sorgte letztlich dafür, dass ich zum Ende meiner Jugend mehrere Jahre mit psychischen Problemen zu kämpfen hatte. Ich muss gestehen, dass ich ein wenig gezögert habe, ob ich dieses Kapitel mit aufnehmen soll. In Deutschland gelten Depressionen und psychische Probleme im Allgemeinen traurigerweise auch heute noch als Tabuthema, obwohl aktuellen Studien zur Folge bis zu neun Prozent der deutschen Bevölkerung jährlich an Depressionen erkrankt sind. Die Dunkelziffer dürfte noch weit höher liegen. Auch gebe ich dadurch sehr persönliche Informationen von mir preis.
Aber es hätte sich falsch angefühlt, diesen Teil von mir zu verschweigen, zumal ich mich dafür auch nicht schäme. Im Gegenteil. Ich bin stolz darauf, diese Zeit überstanden zu haben, und zähle sie mittlerweile zu den wichtigsten und prägendsten Abschnitten meines Lebens. Das Teilen meiner Geschichte soll außerdem Betroffene ermutigen, sich deshalb nicht zu verstecken oder gar schlecht zu fühlen. Ich möchte einen kleinen Beitrag dazu leisten, dass dieses wichtige Thema die berechtigte Aufmerksamkeit erhält, weshalb ich kurz auf meine Erfahrungen eingehen werde.
Alles begann im Alter von etwa 16 Jahren. Ich war ein perfektes Beispiel dafür, dass äußere Umstände nicht immer ausschlaggebend für innere Zufriedenheit und Glück sind. Ich konnte weiter ein privilegiertes Leben führen, hatte finanzielle und soziale Absicherung, schrieb gute Noten und lebte von außen betrachtet ein klassisches Teenagerleben. Dennoch konnte ich mich in dieser Zeit nicht auf die positiven Dinge des Lebens konzentrieren und besaß wenig Selbstvertrauen. Natürlich ist es normal, dass in der Pubertät die Gedanken verrücktspielen und dass ein hormongeladener Junge nicht unbedingt mit sich selbst im Reinen ist. Doch entwickelten sich aus meinen pubertären Gedanken schnell immense Selbstzweifel. Ich fühlte mich unwohl in meinem schmächtigen Körper und hatte das Gefühl, alle anderen hatten mehr Glück im Leben. Schon damals sorgten digitale Plattformen wie ICQ und Schüler-VZ für ständiges Vergleichen und verstärkten meine Zweifel.