Gestalten eucharistischer Anbetung

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Selbstverständlich hat auch das gesprochene Wort seinen Platz in Foucaulds Spiritualität: Hier sollte vor allem das Danken einen besonderen Platz einnehmen, unter dieser Prämisse aber auch die Bitte. Von der Notwendigkeit des bittenden Gebetes ist Foucauld fest überzeugt. Jeder Bitte wird Gott auf die eine oder andere, für den Menschen nicht immer gleich erkennbare Art und Weise nachkommen. Gerade vor den großen scheinbar unmöglichen Bitten soll sich der Betende nicht scheuen, denn sie werden der Größe Gottes nur umso gerechter55. Wird eine Bitte augenscheinlich nicht erfüllt, dann lediglich, weil Gott besseren Wissens über das eigene Wohlergehen ist und einen anderen Weg geht als jenen, den der Bittende vermutet. Durch seine persönlichen Meditationen, die er auf Anraten seines Beichtvaters Abbé Huvelin während seiner Gebetszeiten in ein Schulheft einträgt, lassen sich bedeutende Schlüsse für das Verstehen von Foucaulds Spiritualität ziehen: Diese dienten – wie er selbst sagt – in erster Linie dazu, „bei der Sache“ zu bleiben und sich bei seiner Betrachtung des Allerheiligsten nicht aus der Sammlung treiben zu lassen. Gleichzeitig wird hier manifest, wie Foucauld seinen jugendlichen Agnostizismus überwunden hat. In der Reflexion wird das Gebet zu Gott zugleich zum Gebet über Gott: nicht um Gott auf das eigene Denken zu reduzieren, sondern um ihn mittels der Sprache zu verlebendigen und somit verkündigend beizutragen zu seiner Sichtbarmachung in der Welt. Anbetung verbleibt nicht zwischen dem Ich des Anbetenden und dem Du des Angebeteten, sondern wird zu Theologie; zu einem Reden über Gott, das sich vom Inneren des Anbetenden in das Außen der Welt kehrt.
Folgende Kurzbiographie soll den Zusammenhang der Spiritualität Foucaulds mit seinem Lebensweg erklären. Damit die biografischen Ausführungen der systematischen Analyse dienlich sind, habe ich die verschiedenen Aspekte seiner in der eucharistischen Anbetung gründenden Spiritualität einzelnen Phasen seiner Biografie zugeordnet. So kann die Verankerung der Frömmigkeit im Leben Foucaulds deutlich werden; womit natürlich nicht gesagt ist, dass die besagten Aspekte nur in jeweils einem Lebensabschnitt seine Frömmigkeit charakterisieren.
1.1 Ein kurzer Überblick: Sein Leben vor und nach der Bekehrung
Charles de Foucauld wird am 15. September des Jahres 1858 in Straßburg geboren. Er ist das erste von zwei Kindern des Ehepaars Foucauld. Seine Schwester Marie wird drei Jahre später – am 13. August 1861 – geboren. Der Name Foucauld, aber auch der Mädchenname seiner Mutter – de Morlet – haben beide eine weitreichende Geschichte und nicht unbedeutende Persönlichkeiten in Kirche und Militär hervorgebracht. Charles Familie ist etabliert, wohlhabend und von einem ausgeprägten Patriotismus zum französischen Staat geprägt. Dennoch bleibt Charles Kindheit nicht lange eine unbeschwerte: Früh erkrankt sein Vater an der damals noch unheilbaren Tuberkulose, verlässt der Ansteckung wegen seine Familie und zieht zu seiner Schwester nach Paris. Kurze Zeit später stirbt Charles Mutter an den Folgen einer Fehlgeburt. Der Tod seines Vaters lässt nicht lange auf sich warten. Im Jahre 1864 sind Charles und seine Schwester Vollwaisen, finden aber in einer fürsorglichen und liebevollen Weise einen Platz im Hause des Großvaters de Morlet. Später wird sich zeigen, dass Charles niemals die letzten Worte seiner Mutter vergaß: „Mein Gott, dein Wille geschehe, nicht meiner“.
Doch seinen eigenen Kinderglauben kann Charles schon früh nicht mehr halten, geschweige denn weiterentwickeln; seinem erheblichen Gesprächsbedarf in Sachen Glaube und Religion wird kaum einer gerecht. Die einzige Person, zu der er schon sehr früh ein inniges Vertrauen fasst, ist seine Cousine Marie Moitessier, die spätere Vicomtesse de Bondy. Das einzigartige und vertraute Verhältnis zu ihr wird Charles sein Leben lang nicht verlieren.
1870 müssen die Morlets in Folge des verlorenen Krieges gegen Deutschland das Elsass verlassen und flüchten nach Nancy. Der Verlust der bisherigen Heimat und die Niederlage des Vaterlandes sind ein weiterer Schlag, den Charles zu bewältigen hat. In Nancy geht Charles 1872 zwar zur Ersten Heiligen Kommunion, dennoch fühlt er sich als Jugendlicher mehr und mehr von der agnostischen Atmosphäre seiner Zeit angezogen. Wenngleich er seine Achtung vor dem Glauben bewahrt56, kann er für sich selbst dort keine Heimat mehr finden. Es ist für Charles vor allem die Frage nach der Wahrheit des christlichen Glaubens, auf die er keine Antwort findet. Zunehmend wird Charles de Foucauld zu einem Freigeist, der beginnt, sich von der soliden Lebensart seiner Familie abzusetzen. Unumstritten macht ihm die Heirat seiner Cousine Marie mit dem Vicomte Olivier de Bondy zu schaffen, denn er fürchtet einen Bruch in ihrer beider besonderen Freundschaft. 1874 macht er das Abitur 1, ein Jahr später, das er auf der Kadettenschule Sainte-Geneviève in der Rue des Postes verbracht hat, das Abitur 2 mit der Note sehr gut. Dort möchte er seine Ausbildung auch fortsetzen, wird jedoch 1876 der Schule verwiesen. Im Rückblick auf diese Zeit beurteilt er sich selbst äußerst streng und hebt seine damalige schwierige Art hervor57. Noch im selben Jahr tritt er gemäß der Familientradition de Morlet in die Militärschule Saint-Cyr bei Versailles ein und verpflichtet sich im Oktober zu fünf Jahren Dienst. Die kommenden zwei Jahre führt Charles de Foucauld ein eher laues als streng militärisches Leben. Er bringt den Vorgängen in der Militärschule eine ausgesprochene Teilnahmslosigkeit entgegen, demonstriert, wo er nur kann, Desinteresse und verfällt in eine ungesunde Essens- und Trinklust. Das Ganze verschlimmert sich noch, als Charles im Februar 1878 seinen Großvater, den Oberst de Morlet, begraben muss und somit einen weiteren der wenigen Vertrauten verliert. Alles, was das Militär eigentlich als solches auszeichnet, wird von Charles mit außerordentlicher Missachtung gepflegt: Disziplin, Reinlichkeit, Tadellosigkeit. Am 15. September des Todesjahres von Oberst de Morlet erhält Charles seine Mündigkeit und kann nun über seine gesamte Erbschaft verfügen. Und dies tut er auch! Er verschleudert geradezu das Familienvermögen. Die Eigenschaft des Geizes ist ihm vollkommen fremd, er organisiert rauschende Feste für seine Kameraden, ist ihnen gegenüber in jeder Hinsicht spendierfreudig und scheint in keiner Weise an seinem finanziellen Vermögen zu hängen. Er verkehrt mit in den Augen der französischen Gesellschaft sehr zweifelhaften Damen und ergeht sich in Dekadenz und Luxus. Dies spiegelt nicht nur sein Verhalten, sondern auch seine Gestalt paradehaft wider: Charles de Foucauld ist alles andere als ein schlanker Mann. Er genießt die Welt in vollen Zügen und muss bis auf die treue Cousine Marie die Unterstützung seiner Familie einbüßen.
Schon damals ist seine Lebensführung von einer enormen Radikalität gekennzeichnet, die sich in gewandelter Form durch sein ganzes Leben hindurchziehen wird. Zu seiner Militärzeit jedoch ist es in erster Linie die endlose Langeweile am Leben, die ihn zu allerlei Ausschweifungen treibt58. Zugleich ist diese Zeit allerdings auch eine des Schließens von Freundschaften, die ein Leben lang andauern sollen. So zum Beispiel jene mit Morès, Lyautey, Laperrine und Motylinski, die ihm auch nach seiner Bekehrung verbunden bleiben. Trotz seiner unsoliden Art zu leben ist Charles de Foucauld unter seinen Kameraden beliebt; und das nicht nur, weil er sein Geld großzügig für sie ausgibt.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1878 tritt er für die Dauer eines Jahres in die Kavallerieschule von Saumur ein, wo er in der Abschlussprüfung den letzten Platz belegt, und ist anschließend bis 1880 in den Garnisonen Sézanne und Pont-à-Mousson stationiert. Ende 1880 wird sein Regiment nach Algerien verlegt. Wider aller Vernunft nimmt Charles seine Geliebte, eine junge Halbweltdame namens Mimi, mit nach Nordafrika und gibt sie als seine Frau, die Vicomtesse de Foucauld, aus. Natürlich fliegt dieser Schwindel über kurz oder lang auf und Charles wird vor die Wahl gestellt: Entweder die Armee oder diese Frau. Charles macht seinem Mut und seiner Unberechenbarkeit alle Ehre, entscheidet sich für Mimi und wird in die Reserve versetzt59. Daraufhin lebt er mit Mimi in der Schweiz, doch ist dieser Entschluss nicht von langer Dauer. Als er von schweren Gefechten anlässlich des Aufstandes bei Bu Amama hört, in die sein Regiment verwickelt ist, kann er den Gedanken, seine Kameraden im Stich gelassen zu haben, nicht mehr ertragen, und kehrt nach einem erfolgreichen Gesuch um Wiedereinsetzung, ebenso entschlossen, wie er das Militär verlassen hat, nach Algerien zurück.
In dem von den Franzosen besetzten Kolonialgebiet begegnet Charles de Foucauld erstmalig dem Glauben der Muslime. Dieser und vor allem die gelebte Frömmigkeit der Muslime beeindrucken ihn zutiefst. Zum ersten Mal seit seiner Jugendzeit wird er wieder vor die Frage nach Gott gestellt. Daneben prägt ihn nachhaltig die Landschaft der Wüste, deren Leere und Einsamkeit nichts von dem großen Glanz des materialistischen Frankreichs übrig lässt. Seine Kameraden nehmen erste Änderungen an ihrem Freund Charles wahr: Er wird ernsthafter, nachdenklicher und pflichtbewusster.
Zu Beginn des Jahres 1882 verabschiedet sich Charles von der Armee und widmet sich mit Feuereifer einer neuen Idee, der sich seine Familie nur sehr widerwillig beugt, und auch nur unter der Bedingung, seine Vormundschaft zu übernehmen. Die Familie hat Angst, Charles könne das Familienvermögen nun gänzlich an den Mann bringen und stellt ihm nunmehr lediglich 350 Francs monatlich zur Verfügung. An der Ausführung seiner Idee hindert ihn dies jedoch nicht; und so begibt er sich 1883 auf eine Forschungsreise durch Marokko60. Als Jude verkleidet, um so behördlichen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen, reist er in bescheidenen Verhältnissen als erster Europäer durch das ihn so faszinierende Land und studiert dessen Kultur, Ethnologie und Ethnografie aufs Genaueste, kartographiert weite Teile des noch unerschlossenen Gebietes und eignet sich die arabische Sprache an. Während dieser langen und entbehrungsreichen Expedition zeigt sich erstmals das enorme Durchhaltevermögen des Charles de Foucauld. Für seine wertvollen Forschungsergebnisse erhält Foucauld 1885 nach ihrer Veröffentlichung die höchste Auszeichnung der Französischen Geographischen Gesellschaft.
Das folgende Jahr ist für Charles ein Jahr der Unruhe, der Suche. Nach seiner Reise hatte sich Charles kurzzeitig mit einer jungen Katholikin verlobt, deren Familie in Nordafrika lebte. Diese Verlobung lässt er aber auf Anraten seiner Familie, vor allem auf das Drängen seiner Cousine Marie hin, wieder lösen. Seine Schwester heiratet in der Zwischenzeit Raymond de Blic, mit dem er später ein freundschaftliches Verhältnis haben wird.
Foucauld reist zwischen Frankreich und Afrika, wo er seine Forschungen fortführt, hin und her. In Afrika sucht er erneut nach Begegnungen mit dem Islam und beginnt, ihn mit dem Christentum zu vergleichen61. Sein Interesse am christlichen Glauben ist wieder aufgeflammt. Obwohl noch immer ohne Glauben, setzt er sich wieder mit ihm auseinander. Er bewundert den Glauben seiner Cousine; und diese wiederum versteht es, Charles klug und behutsam – mit ihrem eigenen Glaubensleben als Beispiel – erneut an den christlichen Glauben heranzuführen62. Ausschlaggebend ist hier besonders ein sechswöchiger Aufenthalt im Juli 1884 auf dem Landsitz der Moitessiers, der etwas, das Charles verloren glaubte, wiedererweckt63. Er beginnt zu beten: „Mein Gott, wenn Du wirklich da bist, gib, daß ich dich erkenne!“64.
Ende Oktober 1886 findet sein rastloser Geist endlich sein Ziel: am Tag seiner zugleich unspektakulären und spektakulären Bekehrung. Im Hause seiner Cousine hatte Charles einige Zeit zuvor Abbé Huvelin von der Kirche Saint-Augustin in Paris kennengelernt. Er fasst Vertrauen zu diesem ruhigen und verständigen Seelsorger, der sich Charles in keiner Weise aufdrängt, und möchte alle Fragen, die ihm auf der Seele brennen, mit diesem erörtern und diskutieren. Aus diesem Grunde besucht Charles Abbé Huvelin in seiner Kirche, doch dieser lässt sich auf keine Diskussionen ein, sondern bewegt Charles de Foucauld zur Beichte und zur Kommunion. Von diesem Augenblick an verändert sich das Leben Charles de Foucaulds vollkommen. So wird Charles in einem späteren Brief an Henri de Castries sagen: „Sobald ich glaubte, daß es einen Gott gibt, begriff ich, daß ich nur noch für ihn leben könne“65. Was zu Charles Bekehrung führte, waren keine großen Worte der Überzeugung, sondern der einfache gelebte und praktizierte Glaube, das, was ihn auch an den Muslimen schon so sehr fasziniert hatte66.
Im Hinblick auf die Thematik dieser Arbeit sei an dieser Stelle auf den beachtenswerten Umstand hingewiesen, dass nach all der Zeit, in der Charles de Foucauld Gott das erste Mal wieder begegnet, dies in der Eucharistie geschieht.
Die Wandlung, die sich nun in dem Menschen Charles vollzogen hatte, macht sich sogleich bemerkbar und zeigt ihre Konsequenzen. Zum einen wählt sich Charles Abbé Huvelin zu seinem Seelenführer, dem er von nun an alle wichtigen Entscheidungen zunächst vorlegen wird, zum anderen entschließt er sich, in einen Orden einzutreten. Bei all diesen anfänglichen Schritten hin in ein geistliches Leben wird Charles de Foucauld vor allem begleitet von einem Satz Abbé Huvelins, der ihn Zeit seines Lebens nie mehr verlassen wird: „Unser Heiland hat so sehr den letzten Platz eingenommen, dass nie jemand ihn hat streitig machen können“67. Huvelin warnt ihn jedoch vor übereilten Entschlüssen und rät ihm zu einer Pilgerfahrt ins Heilige Land. Dort besucht er alle heiligen Stätten und verbringt Weihnachten 1888 in Bethlehem. Nach seiner Rückkehr im Februar 1889 hat sich an seinem Entschluss nichts geändert, und nach einigen Exerzitien in französischen Klöstern tritt er am 16. Januar 1890 nach schmerzlicher Trennung von seiner Familie68 in das Trappistenkloster Notre-Dame des Neiges69 ein. Schon bald aber vermisst er hier die von ihm ersehnte Einfachheit und Strenge, so dass er im Juni in das Trappistenkloster Akbès in Syrien übersiedelt, das er für sich als besser geeignet ansieht. Charles schließt nun mit seinem weltlichen Leben gänzlich ab und tritt sowohl als Mitglied der Geographischen Gesellschaft als auch als Reserveoffizier zurück, seinen ganzen Besitz überträgt er seiner Schwester. 1892 legt er die einfachen Gelübde ab. Auf Geheiß der Ordensoberen beginnt Charles mit dem Theologiestudium, um Priester zu werden, widersetzt sich diesem Beschluss aber letztendlich und verlässt nach Einverständnis von Huvelin und des Generalabtes der Trappisten den Orden und wird von seinen einfachen Gelübden dispensiert. Charles de Foucauld fühlt sich zu einem Leben der Nachfolge des einfachen Lebens Jesu in Nazareth berufen und entfaltet erste Pläne hinsichtlich einer eigenen Ordensgründung vom Heiligsten Herzen. Er legt seine privaten Gelübde der Keuschheit, Armut und Besitzlosigkeit ab und lebt von 1897 an als Hausknecht der Klarissen in Nazareth in ärmlichsten Verhältnissen. Bis 1900 lebt er dort das verborgene Leben Jesu von Nazareth, ohne jedoch seinen innigen Wunsch nach einem eigenen Orden aus dem Blick zu verlieren. In der Zeit bis 1900 unternimmt er mehrere Reisen nach Jerusalem, plant den Berg der Seligpreisungen zu kaufen, lässt diesen Plan wieder fallen und entscheidet sich schließlich – mit Hilfe der Überzeugungskraft der Klarissen-Äbtissin – doch noch dazu, die Priesterweihe zu empfangen. Charles glaubt, auf diese Weise Jesus am besten verherrlichen zu können70. Zur Vorbereitung kehrt er nach Frankreich zurück und wird im Juni 1901 zum Priester geweiht. Kurz darauf lässt Charles de Foucauld sich im algerischen Beni Abbès nahe der marokkanischen Grenze nieder, um Jesus dort bekannt zu machen, wo man nichts von ihm weiß. Dort möchte er eine Bruderschaft errichten und baut so eine weitläufige Eremitage, da er fest mit künftigen Brüdern rechnet. Hier verfasst er ebenfalls seine Regel für die kleinen Brüder und Schwestern vom Heiligsten Herzen Jesu. Daneben fasst er konkrete Pläne für eine Missionierung der nordafrikanischen Wüste und begegnet erstmalig den Greueln der Sklaverei, gegen die er sein Leben lang einen erbitterten Kampf führen wird.
Im Jahre 1905 siedelt Charles de Foucauld ein letztes Mal um und baut sich im Hoggar nahe Tamanrasset eine kleine Niederlassung. Mitten unter dem Berbervolk der Tuareg führt der katholische Priester und Mönch ein Leben nach dem Evangelium. Er lernt ihre Sprache, von der er sagt, sie sei der Zugang zum Herzen dieses Volkes71, und arbeitet an einem Wörterbuch für Französisch-Tuareg und Tuareg-Französisch sowie an einer Sammlung von Gedichten und Liedern der Tuareg.
Charles de Foucauld unternimmt vom Hoggar aus noch zwei Reisen nach Frankreich, um für seine Bruderschaft zu werben, kehrt aber immer wieder allein zurück. Niemand schafft es, sein strenges Leben der Armut und des Verzichts auf sich zu nehmen.
1910 stirbt sein langjähriger Seelenführer Abbé Huvelin; und als nur ein paar Jahre später der Erste Weltkrieg ausbricht, bleibt auch das Gebiet des Hoggar nicht unberührt von den Ereignissen, die den Rest der Welt erschüttern. Es kommt zu Aufständen und Kämpfen. Dennoch will Charles die Tuareg gerade in dieser Situation nicht verlassen. Trotz des kleinen Forts, in das er sich zurückgezogen hat, kommt es am 1. Dezember 1916 zu einem Überfall auf Charles de Foucauld, bei dem ihm – mehr durch ein böses Unglück als durch willentliche Absicht – von einem der Räuber in den Kopf geschossen wird. Charles de Foucauld stirbt auf der Stelle im Alter von 58 Jahren.
1.2 Aspekte eucharistischer Frömmigkeit und deren Sitz im Leben von Charles de Foucauld
Am 16. Januar 1890 tritt Charles de Foucauld in das Trappistenkloster Notre-Dame des Neiges ein und erhält den Namen Bruder Marie-Albéric. Schon im August 1888 hatte er mit seiner Cousine Marie ein Trappistenkloster besucht, und es waren besonders die Einfachheit und Armut der Mönche, die ihn angezogen hatten. Während der darauffolgenden Exerzitien und auf seiner Pilgerreise durch Jerusalem nehmen die Vorstellungen von Charles über sein künftiges Leben konkretere Formen an: Es ist das verborgene Leben Jesu in Nazareth, das ihn festhält. Foucaulds Verlangen, den Weg der Nachahmung Jesu vor allem in der Armut zu verwirklichen, führt dazu, sich für den Orden der Trappisten zu entscheiden, der in seiner Armut und Strenge andere Orden übertrifft.
Auf die Frage des Warum – denn zweifellos bedeutet die Trennung von seiner Familie und seinen Freunden ein großes Opfer für Charles – kann er nur antworten: „Aus Liebe, aus reiner Liebe“72.
1.2.1 Bruder Marie-Albéric bei den Trappisten (1890-1897)
Foucaulds Leben bei den Trappisten ist nach einem klösterlichen Rhythmus von Gebet und einfacher Handarbeit geordnet. Doch schon bald erfüllt das Kloster in Frankreich nicht mehr seinen Wunsch nach unbedingter Armut und Strenge, so dass er in die Niederlassung der Trappisten in Akbès in Syrien wechselt. Die politische Situation dort ist äußerst unstabil. Immer wieder kommt es zu gewaltsamen Verfolgungen der armenischen Christen durch die Türken. Brandschatzungen, Plünderungen und Morde beherrschen das Umfeld des Trappistenklosters und rufen Charles de Foucauld auch in eine besondere Verantwortung der Nächstenliebe.
Foucaulds Art der Nachahmung der Existenz Jesu ist in dieser ersten Phase seines Daseins als Mönch vorrangig eine wortgetreue, betrachtende und kontemplative.
1.2.1.1 Demut: Verähnlichung mit dem bis in die Unscheinbarkeit der einzelnen Hostie hinabsteigenden Sohn
Es ist besonders jener Satz Huvelins, Jesus habe so sehr den letzten Platz eingenommen, dass dieser ihm von niemandem mehr streitig gemacht werden könne, der das Fundament der Spiritualität Charles de Foucaulds bildet. Diese Spiritualität aber ist von Beginn an vor allem in der eucharistischen Anbetung verankert und führt zu einer inneren Haltung der Demut, die Foucauld wie eine notwendige Konsequenz aus der Erfahrung des eucharistischen Brotes erscheint. Was er zum Zeitpunkt seiner Bekehrung schon anfanghaft erfuhr, erfährt er im Laufe der Zeit immer deutlicher: Der Gott, der ihm in der heiligen Eucharistie begegnet, ist niemand anderes als der menschgewordene und erniedrigte Sohn Gottes. Dieser gedemütigte Jesus ist es, dessen Nachfolge Foucauld verwirklichen möchte.
In diesem Zusammenhang ist eine Predigt Huvelins von nicht geringer Bedeutung, deren Inhalt Charles sicherlich mit beeinflusst haben wird73. In ihr charakterisiert Huvelin die Eucharistie als das Geheimnis des Schenkens und weist darauf hin, dass dieses einzigartige Geschenk Gottes seinen inneren Grund darin hat, den Menschen selbst – also den Beschenkten – zu befähigen, sich selbst zum Geschenk an Gott und die Mitmenschen zu machen. Der Mensch ist so nicht dazu angehalten, nur etwas von sich zu schenken, sondern ganz und gar sich selbst. Huvelin lädt zur beständigen Betrachtung dieses Geschenkes ein: Denn wenn Jesus sich immer wieder dem Menschen schenkt, wenn er immer wieder diesen Weg des Abstiegs auf sich nimmt, wie können wir diesen Weg dann nicht wagen? In der Eucharistie – so Huvelin – ist Jesus bleibend gegenwärtig und lehrt uns die eigene Hingabe an Gott. Niemals wird der Mensch den Grad an Erniedrigung erreichen, den Jesus erlangte, aber er muss ihm stets als Anspruch und Ziel innewohnen und ihn dazu treiben, es immer wieder erneut zu versuchen. Den Opfergeist, die Selbstverleugnung, die Erniedrigung nennt Huvelin unbedingte Voraussetzungen, um Gutes zu tun.
In diesem Verständnis seines Seelenführers lässt sich viel für Charles de Foucauld Grundlegendes wiederfinden. Das erste und größte Opfer, das Charles in diesem Sinne interpretiert, ist die Trennung von seiner Familie: „Das Opfer ist nichts anderes als der höchste Liebeserweis“74. Was er mit diesem Opfer getan hat, ist nichts anderes, als auf das Geschenk Gottes in der Gnade der Eucharistie zu antworten und sich selbst zu schenken. Der lateinische Begriff hostia bedeutet ja nichts anderes als das Opfer, und indem Foucauld sich auf das Opfer der Eucharistie, also auf den in der Hostie gegenwärtigen und hingegebenen Christus, einlässt, erlangt er auch den Opfergeist des im Brote vorhandenen Christus. Der Verzicht auf die Seinen ist somit der erste verwirklichende Schritt einer Haltung, die ihren Grund und ihre Quelle in der eucharistischen Anbetung findet: der Demut.
Es ist die Zeit bei den Trappisten, in der der Tabernakel – so Jean-Francois Six – der Ort der großen Vertrautheit mit Jesus wird75, der ihm die völlige Hingabe an Gott ermöglicht. Immer wieder sucht er die Nähe des Allerheiligsten und verbringt viele Stunden im Schweigen, den gedemütigten Jesus betrachtend. Im eucharistischen Brot erkennt Charles de Foucauld Jesus als denjenigen, der sich ganz klein gemacht hat. Er, der mächtige Sohn Gottes, ist so unscheinbar wie ein Stück Brot und ist gerade so das der Welt geschenkte Heil. Der Abstieg, den Christus unüberbietbar in der Inkarnation vollzogen hat, findet immer wieder von Neuem in der Eucharistie statt. Unscheinbar und klein nimmt Jesus dort den letzten Platz ein und gibt sich dem Menschen hin zu dessen Heilung. Foucauld lässt sich in der eucharistischen Anbetung auf die Kleinheit Jesu im Brote ein, zugleich aber bedeutet gerade dieses unscheinbare Stück Brot für Charles eine unüberbietbare, gegenwärtige Nähe Gottes. Es ist also letztendlich die Kleinheit, die Verborgenheit, in der sich die ganze Größe Gottes offenbart. Diese Verborgenheit Jesu wird zum Ursprung und zum Ziel der Demut Foucaulds. Aus der Erkenntnis der Erniedrigung Jesu heraus wird Foucauld befähigt, selbst demütig zu sein, sich klein zu machen, sich zu erniedrigen76.
Eine kritische Beobachtung könnte vermuten, Charles de Foucauld offenbare hier ein gestörtes Verhältnis zum eigenen Sein, zur eigenen Person. Doch muss gerade aus den gewonnenen Schlussfolgerungen heraus konstatiert werden, dass die Haltung Foucaulds eben nicht aus einer Angst vor sich selbst, den eigenen Fähigkeiten oder einem anderweitig gestörten Selbstbewusstsein resultiert, sondern aus dem tiefen Glauben entspringt, es dem, von dem man sich unbedingt geliebt fühlt, gleich zu tun; sich zu bemühen, ihm immer ähnlicher zu werden, da man schuldig ist, das zu geben, was man selbst empfängt: „Laßt uns Gott lieben, weil Er uns zuerst geliebt hat…Ihn, der so schön, so liebenswert ist, der sich selber vollauf genügt und sich doch herabgelassen hat, uns […] eine solche Liebeserklärung zu machen…Beantworten wir diese Liebeserklärung, wenden wir die darin enthaltene Lehre an, indem wir, Ihn nachahmend, unsere Liebe erklären“77.








