Die Wunder der weiblichen Sexualität

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Sexuelle Weisheiten
Die verschiedenen okkulten Richtungen sind sich darin einig, dass die Sexualkraft das Fundament für Gesundheit, Kreativität und geistiges Schaffen ist und auch eine wichtige Unterstützung auf dem spirituellen Weg sein kann. In östlichen und westlichen Mysterienschulen wurden Methoden unterrichtet, die es ermöglichten, durch die Sexualkraft magische Kräfte zu entfalten.
Das große Geheimnis besteht darin, die Sexualkraft zu bewahren; sie nicht nach außen fließen zu lassen, damit sie inneren Prozessen zur Verfügung steht. Sie wird ins Innere gelenkt, verfeinert und durch die verschiedenen Zentren in die höheren unsichtbaren Körper geleitet. Die Hauptarbeit hier ist, die dafür benötigten Zentren und Körper auf der richtigen Ebene mit den entsprechenden Methoden zu entwickeln und auszubilden.
Die Sexualkraft im Inneren zu behalten, bedeutet nicht zwingend, Nonne oder Mönch zu werden und zölibatär zu leben. Diese Künste können auch im zweisamen Liebesspiel verwirklicht werden. Einen hohen Energiepegel oder eine Potenzsteigerung zu erreichen, sollte nicht das Ziel solcher Praktiken sein. Deshalb werden diese Praktiken ja sexuelle Weisheiten genannt, weil es Weisheit benötigt, mit diesen Kräften verantwortungsvoll umzugehen. Die Sexualkraft zu bewahren bedeutet für Männer, die Samenkraft im Körper zu halten und nicht zu ejakulieren. Das setzt voraus, den Orgasmus vom Samenerguss zu trennen. Frauen verlieren ihre Sexualkraft nicht unbedingt durch sexuelle Aktivitäten, denn die Essenz weiblicher Sexualkraft wird im Ei gespeichert. Frauen verlieren einen großen Teil ihrer Energie durch Menstruation und Geburten und vor allem durch einen extrovertierten männlichen Lebensstil.
Männliche und weibliche Wege
Der traditionelle Weg des Sexualyoga ist männlich betont, technisch und diszipliniert. Er besteht hauptsächlich aus körperlichem Training, Techniken und Positionen. Für Männer sind Techniken und intensives körperliches Training im Umgang mit ihrer Männlichkeit und der Sexualität sehr hilfreich. Deshalb gibt es so viele Disziplinen, die ihnen dazu verhelfen, die Sexualität unter Kontrolle zu halten oder auch eine außer Kontrolle geratene Sexualkraft in heilende Bahnen zu lenken.
Bei Frauen bewirken ein aktives, männlich betontes, technisches und diszipliniertes Vorgehen genau das Gegenteil. Es verhindert den natürlichen weiblichen Fluss und die daraus entstehenden Heil- und Entwicklungsprozesse. Kontrolle gehört zum männlichen Aspekt. Natürlichkeit und Hingabe sind die Eigenschaften, die die Weiblichkeit nähren.
Frauen und Yoga
Der Yogaweg kann daher niemals der Weg sein, der Frauen in eine neue Weiblichkeit führt. Daran ändert sich auch nichts, wenn es nun Mondyoga oder Ovaryoga, hormonelles, taoistisches oder Yoga für Frauen genannt wird. Und auch dann nicht, wenn Yogalehrerinnen speziell für ihre Klientinnen weibliche Elemente einfließen lassen und die Yogastruktur mit Tanzeinlagen auflockern oder sinnliche Übungen meiner Bücher einfließen lassen. Der Yogaweg hat eine andere Ausrichtung, auch dann, wenn sich eine Yogalehrerin dessen nicht bewusst ist und es lediglich aus Spaß tut, um etwas gemeinsam mit Frauen zu machen oder um etwas Geld zu verdienen.
Im Yogaweg geht es weder um sexuelle Heilung noch um die Entwicklung der weiblichen Sexualität oder weiblichen Spiritualität, noch geht es darum zu lernen, der weiblichen Intuition zu trauen. Es geht nicht darum, neue Wege zu gehen, sondern den alten bewährten Weg zu beschreiten, der mit den Erfahrungen von Tausenden von Yogis gepflastert ist. Der Yogaweg ist in sich sehr kraftvoll. Einer wahrhaftigen praktizierenden Yogini würde es deshalb auch nie in den Sinn kommen, in ihre Yogapraktiken, die ihr unter anderem helfen sollen, die weiblichen Anteile wie Sexualität und Gefühle unter Kontrolle zu halten, andere Übungen einfließen zu lassen, die gerade das Umgekehrte bewirken.
Auf dem neuen weiblichen Weg lernen Frauen heute, mit ihrer neu gewonnenen Freiheit verantwortungsvoll umzugehen. Sich immer wieder in eine vorgegebene Struktur und Haltung zu bringen und sich innerhalb vorgegebener Formen und Abläufe zu bewegen, hindert Frauen daran, ihre eigene Form und Individualität zu finden und Sicherheit im Umgang mit ihrer Freiheit zu gewinnen. Diese Gefahr besteht bei allen Übungssystemen, die eine bestimmte äußere Form anstreben und feste Bewegungsabläufe nutzen. Das Weibliche benötigt Freiheit, damit frau ihre ureigene Individualität entfalten kann. Frauen sind es gewohnt, sich irgendwo einzufühlen und sich äußeren Formen anzupassen. Es wäre sinnvoller, neue weibliche Wege in die Freiheit zu suchen, die Frauen unterstützen, aus alten Gewohnheiten und Formalitäten auszubrechen.
Die Befreiung und Transformation der sexuellen Kraft
Die Befreiung der Sexualkraft ist ein ganzheitlicher Prozess, der sowohl auf körperlich-energetischer als auch auf emotionaler, geistiger und spiritueller Ebene stattfindet. Um zu erfahren, was an der Sexualität so kostbar und heilsam sein kann, ist es notwendig, sie losgelöst von romantischen Vorstellungen, etwaigen Fantasien und emotionalen Verstrickungen zu erleben.
Die Sexualkraft ist die einzige Energie, die sich erregen und vermehren kann. Das macht sie so besonders. Sie intensiviert und vermehrt Lust- und Liebesgefühle – und das Gleiche tut sie auch mit unseren unbewussten Anteilen. Damit du in dir nicht Unbewusstheiten verstärkst, ist deine spirituelle Ausrichtung so zentral. Ist sie nicht gegeben, entwickeln sich deine unbewussten Anteile. Das stärkt deine unbewusste Weiblichkeit, all die Muster und Konditionierungen – doch Heilung heißt Entwicklung deiner neuen bewussten Weiblichkeit. Überlässt du deine Sexualität den unbewussten Kräften, kann daraus leicht ein Albtraum entstehen. Wie viele Liebesbeziehungen versumpfen im Unbewussten und enden in einer Tragödie?
Alchemie der Liebe
Das »alchemistische Geheimrezept« für den Umgang mit der Sexualenergie sind die drei Schätze: Kraft, Liebe, höheres Bewusstsein. Diese drei Schätze in sich zu vereinen, bewirkt große Wunder, daher ihr Name. Sie beschreiben den Weg der Transformation von der grobstofflichen materiellen Essenz bis zur höchsten Seinsebene. Welche Bedeutung haben die drei für uns und unseren Umgang mit der Sexualität?
Kraft
Sexualität repräsentiert die Kraft. Sie beinhaltet die Essenz eines Menschen in Form von Eizellen und Spermien. Sie repräsentiert die Kraft der Kreation, durch die wir uns und unsere Welt immer wieder neu erschaffen. Deshalb wird die Sphäre der Sexualität auch die Maschinerie des Universums genannt. Als Tor zum Unbewussten ist sie die Hüterin der Kraft des Universums. Die sexuelle Kraft hat kein Bewusstsein. Um sie zu nutzen, ist es notwendig, sie dem höheren Bewusstsein anzuschließen.
So ist Sex das kraftvollste Werkzeug der Menschen, doch in ihrem rohen Urzustand ist die sexuelle Kraft so grob und schwer, dass sie im Körper heftige Reaktionen auslöst. Die Erregung wird dann so heftig, dass sie nach außen drängt. Wird sie in dieser Form im Körper zurückgehalten, können daraus körperliche und emotionale Probleme entstehen. Zum Beispiel kann unverfeinerte Sexualenergie, die direkt in die Nieren gelangt, Allergien auslösen. Wenn wir die sexuellen Kräfte wecken wollen, müssen die entsprechenden Kanäle, Zentren und unsichtbaren Körper entwickelt sein, damit sie die Kraft im Inneren halten können. Das Lebenszentrum, das du bereits bei den Übungen im Kapitel 3 kennengelernt hast, ist ein wichtiger Teil davon. Der kleine Energiekreislauf (siehe Seite 290) ist unter anderem eine wirksame Methode zur Verfeinerung von Energien. Aber es gehört noch einiges mehr dazu.
Liebe
Fast alle Menschen wünschen sich, mehr Lebenskraft zur Verfügung zu haben, aber ein Mehr an Energie ist nicht für alle positiv. Durch den höheren Energiepegel werden nämlich plötzlich die negativen Emotionen zum Leben erweckt, die ein energieloser Mensch elegant umschiffen kann. In einem erhöhten Energiefeld machen sich auch all die inneren Spannungen und Konflikte bemerkbar. Diese ungeliebten Gäste tauchen so lange auf, bis wir sie verarbeitet und uns so für immer von ihnen verabschiedet haben.
Liebe spielt dabei eine wesentliche Rolle. Sie ist das wichtige Verbindungsstück von der körperlich-energetischen Ebene zur spirituellen. Der zweite Schatz ist eigentlich weniger ein Geheimnis als vielmehr eine Kunst, nämlich die, den Körper und die Energie zu verfeinern, zu reinigen und negative Emotionen zu transformieren. Das schafft Platz für die Liebe.
Höheres Bewusstsein
Das dritte Geheimnis besteht darin, den Geist von Sinnesverzerrungen und verwirrten Gedanken zu reinigen und zu befreien. So kann er klar, offen und flexibel werden und sich auf die Verbindung mit einem höheren Bewusstsein vorbereiten. Meditation ist das Heilmittel, damit die Sexualität bewusst gelebt werden kann.
Die drei Schätze
Durch das Zusammenwirken der drei Schätze wird die göttliche Magie, das große Wunder möglich. Sex ohne Bewusstsein endet im Sumpf der Emotionen. Liebe und Bewusstsein ohne Kraft können sich nicht manifestieren. Sex und Bewusstsein können sich ohne Liebe nicht vereinen, weil sie das Bindeglied ist. Sex und Liebe sind sicherlich sehr kuschelig und nett, aber ohne höheres Bewusstsein bleibt diese Kombination ohne Perspektive.
Schwächen und Nebenwirkungen
Der transformierende Umgang mit der Sexualenergie erfordert Sorgfalt und Sensibilität. Eine ganzheitliche Vorgehensweise ist wichtig, weil jeder Mensch andere Stärken und Schwächen hat und es daher einen individuellen Einstieg braucht. Für den Ausgleich und die gezielte Heilung der Sexualität gibt es kein allgemeingültiges Rezept, jeder muss seine eigenen Schwächen kennenlernen und seinen Weg in die Ganzheit finden. Ohne die eigenen Schwächen zu kennen, nützt es nicht viel, mit tollen Übungen die Sexualenergie zu manipulieren, wie das in unzähligen Ratgebern beschrieben wird. Aus Unwissenheit werden die Menschen dazu angeregt, ihre Schwächen zu überspielen und zu kompensieren, anstatt erst mal die wahren Ursachen für Probleme aufzuspüren.
Der menschliche Energiehaushalt ist eine sehr komplexe und differenzierte Einheit. Daher kann ich nur raten: Lerne deine Schwächen kennen und lade sie ein, Teil deiner neuen Ganzheit zu werden. Als Teil eines größeren Ganzen erhalten deine Schwachstellen die Kraft, sich zu entwickeln.
Wenn die sexuelle Energie ungekonnt manipuliert wird, kann sie in Organe, Energiezentren oder gar ins Gehirn dringen und negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Überhitzungserscheinungen wie innere Unruhe und Schlaflosigkeit und anderes können zu einem energetischen oder emotionalen Ungleichgewicht führen. Über einen längeren Zeitraum hinweg können solche Disharmonien sogar psychische oder körperliche Krankheiten bewirken und große Probleme auf der Persönlichkeitsebene verursachen. Dass Menschen im Umgang mit ihrer sexuellen Entwicklung nicht auf diese Alarmzeichen hingewiesen und sensibilisiert werden, bedeutet nicht, dass es sie nicht gibt. Die Umwandlung und Heilung der Sexualkraft sollte von verschiedenen Körper- und Energieübungen, emotionaler Heilung und vor allem von Meditation, einer entsprechenden Ernährung und einem angemessenen Lebensstil begleitet werden, damit der Körper ganzheitlich und gründlich auf das höhere Energieniveau vorbereitet wird.
5. Fundament einer erfüllten Sexualität
Kleine und große Wunder
Es ist immer wieder erstaunlich zu erfahren, was Frauen und Männer sich von ihrer Sexualität erhoffen. Die Erwartungen an sexuelle Beziehungen übertreffen alle anderen Lebensbereiche haushoch, obwohl die tatsächlich gelebten sexuellen Momente einen relativ kleinen Teil des Lebens ausmachen. Rechne selbst einmal aus, wie viele Minuten pro Monat du sexuell aktiv bist und wie viele davon du tatsächlich als orgastisches Highlight erlebst. Vergleiche damit einmal die Zeit, die du für deinen Haushalt beanspruchst oder zum Kochen und Essen, zum Fernsehen oder Lesen, zum Arbeiten oder Schlafen.
Selten begibt sich jemand in eine Beratungsstelle oder Therapie, weil Putzen und Bügeln einen Konflikt auslösen oder als frustrierend empfunden werden. Obwohl diese Lebensbereiche den Umfang eines »normalen« Sexlebens weit überschreiten. Die Sehnsucht nach Erfüllung beim Putzen hat nicht den gleichen Stellenwert wie die Sehnsucht nach Erfüllung in der Sexualität (obwohl Reinigung im Zusammenhang mit Sex eine sehr wichtige Funktion ausübt, wie du noch sehen wirst).
Was unter sexueller Erfüllung verstanden wird, macht oft den Anschein, dass die Hoffnung auf sexuelle Erfüllung gleichbedeutend ist mit einer Sehnsucht nach Erlösung, die eher einen spirituellen Charakter hat. Vielleicht ist es eine tiefe Sehnsucht nach der heiligen inneren Hochzeit?
Sex ist vielseitig und kann große und kleine Wunder vollbringen. Deshalb ist er so beliebt. Als Kuschelsex übernimmt er beispielsweise die Funktion eines Trostpflästerchens, um eigene Wunden und Schwächen nicht zu spüren. Sex kann das Leben abenteuerlich und lebendig machen und ermöglicht es uns, den monotonen Alltag etwas abwechslungsreicher zu gestalten. Sex macht Spaß, verleiht Selbstvertrauen und Selbstbestätigung. Sex ist geil, erotisch, sinnlich und verbindet Menschen miteinander. Sex kann Intimität schaffen, Sex ist ein schöner Zeitvertreib und auch ein beliebtes Mittel zum Stressabbau. Im Fernsehen hörte ich eine sogenannte Tantralehrerin einmal sagen, sie habe fast täglich Sex, um sich zu fühlen. Im Stil von: Ich habe Sex, also bin ich. Viele Menschen sind sexuell sehr bescheiden und geben sich mit solch kleinen Wundern zufrieden.
Die kleinen Wunder sind allen Menschen zugänglich, die großen Wunder zu erfahren, erfordert persönlichen Einsatz. Erst müssen im Inneren die Voraussetzungen geschaffen werden, damit etwas Größeres geschehen kann. Das erfordert den Mut, die persönlichen Unsicherheiten, Schwächen und Begrenzungen zu erkennen und sich weiterzuentwickeln. Solange unsere Sexualität von unbewussten Anteilen gesteuert und Sex lediglich unbewusst eingesetzt wird, um kleine Wunder zu erleben, können die großen Wunder nicht geschehen.
Was ist normal?
Im Zusammenhang mit sexueller Erfüllung taucht immer wieder die Frage auf, was eigentlich normal sei. Erstaunlich viele Menschen – Frauen wie Männer – kommen zu mir in die Sexualberatung, weil sie sich darüber informieren möchten, ob ihre Sexualität beziehungsweise ihre Gefühle und Neigungen der Norm entsprechen.
Ja, normal ist, was der Norm entspricht – und das ist nicht unbedingt erstrebenswert. Die Sexualität der meisten Menschen ist unbewusst und fremdbestimmt. Das entspricht der Norm. Die Norm ist die sicherste Liebestöterin überhaupt, sie killt Lebendigkeit, Individualität und Kreativität. Diese aber verleihen der Sexualität gerade ihre Würze. Was allgemein als normal betrachtet wird, können du oder ich durchaus als gestört empfinden.
Die sexuelle Norm wird vom kollektiven Bewusstsein geprägt, und dieses ist von den moralischen Grundsätzen der Religion sowie der Überbetonung des männlichen Prinzips beeinflusst. Heute wird die Norm zudem stark von den Medien und der Werbung manipuliert. Es ist unsere Aufgabe, die Sexualität aus den Klauen des Kollektivs und der sogenannten Normen zu befreien.
Die Erfüllung
Doch bleiben wir noch etwas bei der Norm. Ihr zufolge gilt der Orgasmus, am besten noch der von beiden Partnern gemeinsam erlebte, als die sexuelle Erfüllung – ebenso wie der Samenerguss als Höhepunkt des männlichen Orgasmus gilt. Und irgendwie stimmt das ja auch. Der eigentliche Sinn und Zweck der Sexualität ist die Fortpflanzung, und mit dem Samenerguss ist die Mission der Arterhaltung für eine bestimmte Zeit erfüllt. Wie aber kann eine Sexualität, die entleert, erfüllend sein? Ein Zustand der Erfüllung ist gekennzeichnet durch innere Fülle und Wohlgefühl: Wie aber kann man einen erfüllten Zustand erreichen, der durch Stimulation eingeleitet wird und in einer Entleerung von Lebenssäften gipfelt? Absichtlich spreche ich hier nicht von sexueller Befriedigung, sondern von sexueller Erfüllung. Befriedigung und Erfüllung haben unterschiedliche Qualitäten. Sexuelle Erfüllung wird durch weibliche Qualitäten geprägt und wirkt nachhaltig nährend und heilend. Unter Befriedigung versteht man eher eine lustvolle und kurzfristige Spannungsentladung. Der sexuelle Hunger wird gestillt. Die interessante Frage lautet nun, ob es tatsächlich eine sexuelle Erfüllung gibt? Und wenn ja, wie ist sie? Beginnen wir mit den eigenen Empfindungen und Vorstellungen. Nimm dein Tagebuch und setz dich mit folgenden Fragen auseinander:
TAGEBUCH
Sexuelle Erfüllung
Ich möchte dich bitten, diese Fragen auf dich wirken zu lassen und in Ruhe zu beantworten. Nur so kannst du dir eine eigene Meinung zu diesem Thema bilden.
♥Was bedeutet für dich sexuelle Erfüllung?
♥Wie erfüllend ist deine Sexualität? (Nimm dir für die Auseinandersetzung mit dieser Frage genug Zeit.)
♥Erinnere dich an eine Situation, in der du Erfüllung erfahren hast. Der Moment kann etwas mit Sexualität zu tun haben, muss aber nicht.
Erfüllung einladen
Sexuelle Erfüllung wird nicht allein durch die Gunst der kleinen Liebeskerlchen Amor und Eros verursacht. Wir selbst können viel dazu beitragen, unsere Chancen auf ein Erfüllungserlebnis zu erhöhen, indem wir ein einladendes Klima schaffen. In die Sexualberatung kommen häufig beruflich erfolgreiche Menschen, die ihre Sexualität »verbessern« wollen. Viele dieser Menschen haben gemein, dass sie sehr viel ihrer Energie und Zeit in die Karriere gesteckt haben, weshalb sie in ihrem Beruf auch erfolgreich sind. Ihre Sexualität hingegen erleben sie als unbefriedigend. Wie könnte das auch anders sein, sie wurde weder gefördert noch entwickelt. In der Sexualität gilt wie auch auf anderen Gebieten: Von nichts kommt nichts. Je mehr Zeit und Energie wir in die Entwicklung der Sexualität investieren, desto mehr wird möglich. Die weibliche Sexualität steht und fällt mit den weiblichen Qualitäten einer Frau. Engagierte extrovertierte Frauen müssen lernen, ihre weiblichen Anteile zu nähren und zu stärken, um gute Voraussetzungen für eine nährend erfüllende Sexualität zu schaffen.
Wären Menschen bereit, so viel in ihre Sexualität zu investieren wie in ihren Beruf, hätte ihr Sexualleben eine völlig andere Qualität. Die vorherrschende Erwartung an einen sexuellen Höhepunkt lässt sich mit einem Fußballtor vergleichen. Um eines zu schießen, reicht das Interesse an Fußball allein nicht aus. Der Fußballer braucht Talent, ein ausgeprägtes Ballgefühl, einen gesunden Körper, intensives Training und ein gutes Zusammenspiel mit anderen. In der Sexualität möchte man Höhepunkte erreichen, allerdings ohne jegliche Vorbereitung. Quasi aus dem Nichts heraus will man mal schnell am Feierabend zwischen Tagesschau und Krimi den orgastischen Höhenflug erleben.
Die Unterdrückte Macht
Dass es durch bewussten Umgang mit der Sexualität möglich werden kann, Unabhängigkeit, Intelligenz und Kraft zu entwickeln, blieb den verschiedenen Kulturen und Religionen nicht verborgen. Speziell Frauen wurde und wird der natürliche Zugang zu ihrer Kraft versperrt, da man sie so besser unter Kontrolle halten kann. Die Unterdrückung der Sexualkraft mit allen Mitteln – Gesetzen, Moral und Religion – erhält die Machtstrukturen. Nicht zuletzt geraten Frauen durch ihre Mutterrolle in finanzielle und emotionale Abhängigkeiten. So wird ihnen der Ausbruch aus der bestehenden Norm und die Entwicklung neuer Werte noch zusätzlich erschwert.
Durch Gebote und Gesetze wurde die Sexualität im Laufe der Jahrhunderte zu einer Tabuzone, sodass sie in Heimlichkeit und Dunkelheit gedrängt wurde. Die vom gesellschaftlichen Leben abgespaltene Stellung der Sexualität ist weltweit im Kollektiv verankert. So erklärt sich, dass es vielen Menschen peinlich ist, über ihre Sexualität zu sprechen. In keinem Bereich wird so viel gemogelt und gelogen. Und den Menschen, die das tun, fällt es häufig gar nicht auf, weil es sich im Unbewussten abspielt. Das Kollektiv sollte daher dringend mit neuen Informationen gespeist werden. Wir brauchen mehr Klarheit und Transparenz in der Sexualität, und dafür bedarf es der unermüdlichen Bemühung jedes Einzelnen.
Abgespalten und unerfüllt
Obwohl wir in einer Zeit der Sexualisierung leben, wird Sex aus dem Alltag verdrängt. Man hört selten, wie Nachbarn Liebe machen. Man sieht sie nie dabei, und man spricht auch kaum über die eigene Sexualität, nicht einmal mit dem Menschen, mit dem man eine intime Liebesbeziehung pflegt. Frau Meier beschwert sich bei der Nachbarin über das schlechte Wetter, nicht aber über den schlechten Sex mit ihrem Mann.
Die Abspaltung der Sexualität von den anderen Ebenen ist eine der Hauptursachen dafür, dass Sex als unerfüllt empfunden wird. Schon als Kinder haben wir gelernt, bestimmte Bereiche aus dem bewussten Erleben in den Bereich des Unbewussten zu verdrängen. Schon da fielen wir aus der Ganzheit in einen Zustand der inneren Zerrissenheit. Große Bereiche unserer Persönlichkeit unterstehen deshalb nicht unserem bewussten Erleben und Wirken. Diese von uns nicht bewusst besetzten Teile unserer Persönlichkeit werden fremdbestimmt und machen uns manipulierbar. Über diese Teile werden wir wie Marionetten gelenkt und gelebt. Sich auf allen Ebenen bewusst in die Gegenwart einzubringen, ist ein wichtiges Ziel der ganzheitlichen sexuellen Heilung. Eine gute Integrationsübung ist die auf Seite 67 beschriebene Zentrierung. Sie hilft dir, Sexualität als ganzer Mensch und auf allen Ebenen gleichzeitig zu erleben.
Sexualität vernetzen
Um die Sexualität in ihrer Ganzheit und Fülle zu erleben, ist es notwendig, die einzelnen Ebenen und Körper, mit denen jeder Mensch ausgestattet ist, zunächst zu entwickeln und dann bewusst miteinander zu verbinden. Jede einzelne Ebene ist wie ein Baustein. Die verschiedenen Bauklötze ergeben zusammen ein solides Fundament, auf dem du deine Erfahrungen aufbauen und vertiefen kannst.
Das höhere Bewusstsein
Dass die allerwichtigste Zutat im Umgang mit deiner sexuellen Entwicklung dein höheres Bewusstsein ist, darüber haben wir bereits gesprochen und auch gesagt, dass diese Ebene nichts mit deinem Verstand und deinen Gedanken zu tun hat. Es ist die Flamme des Bewusstseins, die es dir ermöglicht, in der Dunkelheit zu sehen und dein Unbewusstes zu erforschen. Dafür gibt es keinen Ersatz und keine Technik. Das Einzige, was da wirklich hilft, ist, in Stille zu sitzen, dein Herz zu öffnen und das höhere Bewusstsein zu bitten, dein Wesen zu erhellen. Das mag für einige etwas kitschig klingen. Aber das höhere Bewusstsein kann sich dir nur zeigen, wenn du es einlädst und bereit bist, dafür Platz zu schaffen und dich im Einklang mit den spirituellen Gesetzen zu entwickeln. Je mehr du dein Wesen reinigst und verfeinerst, desto besser kannst du dich mit der spirituellen Ebene verbinden. Ein offenes, freies Herz ist ein wichtiger Schlüssel, mit dem höheren Bewusstsein in Kontakt zu treten. Die Opfergabe, die das höhere Bewusstsein von dir verlangt, bevor es sich zeigt, ist deine Wahrhaftigkeit.
Verstehen
Sich im Zusammenhang mit der Sexualität bloß am Bauchgefühl und den Instinkten zu orientieren, ist unklug. Entwickle ein Verständnis für die verschiedenen Lebensvorgänge, damit du weißt und verstehst, worum es geht. Geistige und mentale Funktionen werden auf dem Weg der ganzheitlichen Heilung nicht ausgeschaltet, sondern mit einbezogen. Der Zustand der Verwirrung und der Unklarheit, in dem sich fast alle ständig befinden, schafft immer wieder großes Chaos und viel Leid. Sämtliche Vorstellungen, Fantasien, Träume, Erinnerungen und Verhaltensmuster prägen, beschränken und belasten unsere Sexualität. Schule deinen Verstand, deine Konzentration und dein Bewusstsein und befreie sie von unnötigem Ballast, sodass du dich der Wirklichkeit öffnen kannst. Meditation hilft dir, deinen Verstand zu klären, damit dein Weg in die große Einheit von Verständnis und Klarheit begleitet wird.





