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Sein Kopf wurde wieder klar und er schaute sich um: Hier standen sie alle, die Raumschiffe, Schlüssel zu fremden Welten, wo die Antworten auf seine brennenden Fragen zu finden waren.
Zum Greifen nah und trotzdem unerreichbar erschienen sie ihm. Der Mut verließ ihn, und in seiner Verzweiflung blieb er einfach stehen. Gerade war er einer tödlichen Gefahr entronnen, aber sicher lauerte die nächste bereits auf ihn.
Welchen Sinn hatte es, weiter ziellos in den Hangarhallen herumzuirren? Einen Weg zurück gab es nicht mehr, abgesehen davon, dass er ganz sicher nicht sterben wollte für jemanden, der ihm nicht einmal für sein selbstloses Opfer dankte. Aber wie sollte er ein Raumschiff in seine Gewalt bringen und wohin sollte er fliehen? Die Inspektoren hatten seine Spur aufgenommen und würden ihn finden, egal in welchem verborgenen Winkel dieses Planeten er sich vor ihnen versteckte.
Ihm wurde bewusst, dass er schon eine Weile vor einem fast winzig zu nennenden schwarzen Raumgleiter stand, den er anstarrte, ohne dass sein Gehirn die visuellen Informationen aufnahm. Dicht hinter ihm ertönte eine leicht quäkende Stimme, die ihn zusammenzucken ließ.
»Hey, gut, dass Sie schon etwas früher gekommen sind. Sie können sofort für die Registrierung der Zugangsdaten mitkommen. Na, wie fühlt man sich so vor dem ersten Probeflug nach der Flugschulprüfung?«
Zum Glück funktionierte sein Verstand nach kurzem Aussetzer und er entgegnete geistesgegenwärtig: »Ich ... ich freue mich darauf.«
Nach wenigen Minuten war die Registrierung komplett. Seine Handinnenflächen würden als Schlüssel für den kleinen Raumgleiter dienen und nur auf ihn würden die Sensoren des Steuerungscomputers reagieren.
»Na denn, guten Flug. Eigentlich wären Sie erst nach dem nächsten Staubwindzyklus dran gewesen. Wollen Sie gleich los oder lieber noch einen Mondumlauf warten? Dann soll nämlich weniger Staub in der Atmosphäre sein und der Blick von oben auf unseren Planeten ungetrübt. Sogar die inneren Ringe könnten Sie dann gut erkennen.«
Spätestens nach dem Abflauen des Staubwindes würde Kassandras Schwindel auffliegen! Schlagartig wurde ihm bewusst, dass sich soeben das Tor in die Freiheit für eine kurze Zeitspanne geöffnet hatte. Lautlos sprach er ein kurzes Dankgebet dafür, dass sie heute vergessen hatten, ihm die Droge zu geben.
»Ich fliege jetzt gleich, dann habe ich es hinter mir«, antwortete er mit fester Stimme dem Mann neben ihm.
»Wie Sie wollen. Kommen Sie heil zurück!«
Kassandra presste seine vor Aufregung vibrierenden Handflächen gegen das Hologramm seines Ringplaneten auf der ansonsten makellos schwarzen Oberfläche des Gleiters.
Gehorsam öffnete sich die Einstiegsluke und schloss sich lautlos hinter ihm, nachdem er sich in das Innere gezwängt hatte.
Als Erstes holte er vom Kontrollzentrum die Starterlaubnis. Langsam setzte sich sein Raumfahrzeug in Bewegung und glitt durch die Schleuse zur Startrampe.
»Herzlich willkommen an Bord der Flexis!«, begrüßte ihn unerwartet eine melodiöse weibliche Stimme. Vor Schreck fuhr Kassandra zusammen.
»Mein Name ist G5R4, aber ich würde es außerordentlich schätzen, wenn Sie mich Brunhilde nennen würden. Ich werde Ihren Aufenthalt im Weltraum so angenehm wie möglich gestalten und Ihnen jeden Wunsch erfüllen. Was kann ich für Sie tun?« Der Dienstroboter hatte sich direkt vor Kassandras Nase auseinandergefaltet und funkelte nun erwartungsvoll mit den Leuchtdioden.
»Dass wir so schnell wie möglich von diesem Planeten verschwinden«, knurrte Kassandra nervös. Rasch gab er mit zitternden Klauen an der Konsole die Koordinaten einer weit entfernten Galaxie ein. Ein Glück, dass er im Fernunterricht immer gut aufgepasst hatte.
»Definitiv kein signifikantes Problem«, gurrte der Robot zärtlich. »Ich werde den Hauptcomputer veranlassen, nach dem Start so bald wie möglich das nächstgelegene Wurmloch zu durchtunneln.«
Ein kurz aufflackerndes blaues Lämpchen im Schulterbereich der dürren, aus Metallstäben bestehenden Konstruktion zeigte die erfolgreiche Datenübertragung an die Zentralsteuerungseinheit an.
Kassandra schlüpfte ungeschickt in den ungewohnten Leichtfaser-Raumanzug, während der Countdown startete.
Als er sich festschnallte, brach im Kontrollzentrum Verwirrung aus, wie aus dem Stimmendurcheinander aus seinen Kopfhörern unschwer zu erkennen war.
Bei »drei« erhielt er den Befehl, den Startvorgang umgehend abzubrechen. Ihm war, als hörte er aus Brunhildes Richtung ein leises Kichern, aber sicher lag das nur an seinen zum Zerreißen angespannten Nerven.
Kapitel 2
Kira
Sprachen
Die Sprache ist eine wichtige Kommunikationsform. Die bewusste Kommunikation wird durch Lautsprache, Gebärdensprache und Schriftsprache vollzogen, die unbewusste z. B. durch Körpersprache. Im Universum existieren unzählige Sprachen, bei deren Auflistungsversuchen schon mancher wahnsinnig wurde. Zum Glück wurde das Problem eines Sprachwirrwarrs mit Hilfe einer künstlich geschaffenen Plansprache gelöst. In diesem Sinne: Lernu Esperanton! Estas strange, sed tiu lingvo farigxis la pley grava de la universo! – Lernt Esperanto! Es ist seltsam, aber diese Sprache wurde die wichtigste des Universums! Diese fast vergessene Kunstsprache Terras, die am Anfang unseres Jahrtausends nur noch von einer Handvoll Menschen (höchstens drei Millionen) verstanden wurde, holten die Invasoren von Cygnus Tau aus der Mottenkiste. Sie hielten Esperanto fälschlicherweise für die Sprache der Eingeweihten Heiligen Zamenhofs. Außerdem löste der wunderbare Klang bei ihrem Obersten Röbbler einen Heiterkeitsanfall aus und heilte ihn so von einer schweren Depression. Seitdem breitet sich Esperanto unaufhaltsam in den Galaxien des Universums aus und wird inzwischen von mehreren Tausend Lebensformen für die Verständigung genutzt.
Schon wieder umwarb sie einer dieser lästigen Versicherungsroboter.
Dauernd versuchten sie, Kira eine absolut konkurrenzlos billige Raumschiff-Rundum-Sorglos-Versicherung aufzuschwätzen.
Für Kiras alte »Schrottmöhre«, wie sie ihr Raumschiff mehr oder weniger liebevoll nannte! Dabei war es aber das zuverlässigste, das sie je besessen hatte, einschließlich des hyperschnellen Gleiters aus der Deneb-Serie von Star-Riders. Die Produktion war damals eingestellt worden, weil einfach zu viele Gleiter nach dem Durchtunneln eines Wurmlochs nur noch mit Teilen der Besatzung oder gar nicht mehr aufgetaucht waren.
In den Anfangszeiten galaktischer Raum-Zeit-Reisen hatte man angenommen, dass ein Flug von der Erde zur Wega genauso einfach gelingen würde wie der Katzensprung von Berlin nach Tokio.
Die Stabilität der Wurmlöcher hatte aber lange gewaltig zu wünschen übrig gelassen und letzte Probleme waren immer noch nicht ganz behoben.
Kira hatte in informierten Kreisen munkeln gehört, dass die verschwundenen Gleiter in der ewigen Gefangenschaft Schwarzer Löcher gelandet waren, einmal mit, ein andermal ohne die bedauernswerten Wesen, die gerade unglücklicherweise in dem betroffenen Raumschiff unterwegs gewesen waren, wobei sich Letztere manchmal an den absolut unglaublichsten Orten wiederfanden.
Nachdem es auch den berühmten Astrosänger B'o-len aus der Nähe von Atair erwischt hatte, konnte nichts mehr vertuscht werden. Die Firma Star-Riders wurde kurz vor der Pleite noch rasch von Intergalactic Vehicles aufgekauft, wie es nach Kiras Erfahrung heute allenthalben üblich war, und stellte danach nur noch Windeln mit integrierter Schlafliedfunktion und drei Alarmmelodien je nach Dringlichkeit des Windelwechsels her.
Obwohl Kira immer rascher lief – sie war schon etwas außer Puste, weil sie ihr tägliches Konditionstraining sträflich vernachlässigte, denn sie hatte sich, was Sport anging, immer durchgemogelt –, holte sie dieser geschwätzige Roboter bald ein.
Nun ja, mit fünfunddreißig sollte sie vielleicht doch langsam beginnen, etwas für ihre körperliche Leistungsfähigkeit zu tun.
Ihr Arzt hielt Kira bei jedem Besuch einen Vortrag über den unaufhaltsamen physischen Verfall der Terrestrier jenseits der dreißig. Der hatte gut reden, seine Art war mit dreißig gerade erst im zweiten Larvenstadium angelangt.
Kira war zwar nicht auf Terra geboren worden, war aber doch unbestreitbar ein Nachkomme dieser plumpen, auf einen Sauerstoffgehalt der Luft von 20,8 % angewiesenen Erdlinge.
Sie schaute angestrengt zur Seite und tat so, als ob sie dem Gespräch der beiden Androiden zuhören würde, die sie gerade überholte. Die beiden unterhielten sich gerade über die letzten Übergriffe der Weganer auf den Stützpunkt ihrer Flotte auf irgendeinem kleinen grauen Mond irgendeines Planeten in einer verflixt weit von Wega entfernten Galaxie.
Natürlich nützte es nichts. Der Blechmann ignorierte wie alle Versicherungsroboter sämtliche Regeln der Höflichkeit und plapperte ohne Gruß und einleitende Floskeln wie zum Beispiel »Guten Tag, wie geht es Ihrer Versicherung?« gleich drauflos.
»Yeah Baby, unser Rundum-Sorglos-Versicherungspaket ist unschlagbar preiswert, glaub mir. Wir versichern sogar Vandalismus, du verstehst, alle deine Kumpels sind bekifft und haben sich bis zum Dematerialisieren volllaufen lassen, und dann hauen sie alles kurz und klein.
Natürlich ist auch die Haftpflicht inbegriffen, falls du anschließend im Vollrausch aus Versehen ein paar Raumschiffe zerbeulen solltest. Du wirst es echt nicht bereuen, Baby! Und solltest du – ssssst«, er machte mit seinem Metallarm eine wegwerfende Bewegung, »mal in einem Wurmloch verbleiben, werden zumindest deine Familienangehörigen Freudentänze aufführen.
Dann gibt's für die ein Fünftel vom derzeitigen Wert deines Raumschiffes cash auf die Hand. Da bist du platt, was, Baby?«
Ein dermaßen stümperhaft umprogrammierter Roboter war Kira bisher selten begegnet. Sie schüttelte den Kopf, unschlüssig, ob sie verärgert oder belustigt reagieren sollte.
Ihr war bekannt, dass es mit der Filmindustrie seit Jahren bergab ging, und immer mehr Robots, die vor Bluescreens die Hauptrollen in den so genannten Echtfilmen übernommen hatten, nachdem das Publikum der ausschließlich per Computer erstellten Filme überdrüssig geworden war, wurden kurzerhand auf nützlichere Tätigkeiten umprogrammiert. Manchmal waren die Programmierer allerdings überfordert und es ließ sich nichts Brauchbares mehr aus den metallenen Lebewesenkopien herstellen.
Nicht nur die Filmindustrie hatte diese Probleme: Kira hatte Gerüchte gehört, dass ein Umfunktionieren von Politikerdoubles nahezu aussichtslos war. Dies lag wahrscheinlich daran, dass für diese Aufgabe Ausschussware verwendet wurde, die von Anfang an Schäden hatte wie defekte Fremdsprachenchips, Totalausfall der Toleranzimitation und nicht deaktivierbare Endlosschleifen aneinandergereihter Parolen.
Wie sich Kira entsann, fielen bei dem letzten Präsidenten der Drei Vereinigten Kontinente hauptsächlich das männlich-markante Aussehen und, was fast noch wichtiger war, das Dauergrinsen auf. Erst als die Staatengemeinschaft wirtschaftlich fast in den Ruin getrieben worden war und sich zuletzt gar ein Bürgerkrieg auszuweiten drohte, eliminierte man diesen Katastrophenpräsidenten – beinahe zu spät.
Der Cowboy-Versicherungsvertreter-Verschnitt nuschelte mit stark holonischem Akzent. Seit sich vor vielen Jahrzehnten das Esperanto als Universalverständigungssprache endgültig durchgesetzt hatte, waren im Hinterkopf implantierte Übersetzungschips überflüssig geworden. Durch falsche Übersetzung ausgelöste verheerende Vernichtungsfeldzüge, weil zum Beispiel »lasst uns ein Bier zapfen« mit »ihr seid der größte Mist, der je verzapft wurde« verwechselt worden war, gehörten der Vergangenheit an, über die Kira nur noch in der Anekdotenglosse des Milchstraßenspiegels las.
»Nein danke, Space-Cowboy, ich brauche keinerlei Versicherung. Erstens hat mein Raumschiff nur noch Sammlerwert und zweitens habe ich keine Familie.«
»Nur meine beiden Koloniekinder auf Terra, die ich zweimal im Jahr besuche«, fuhr sie in Gedanken fort. »Und von Mutter kommen seit vielen Jahren nur noch unregelmäßig Lebenszeichen. Manchmal meldet sie sich zehn Monate lang nicht, um dann überraschend aus den Tiefen des Weltalls aufzutauchen und mich mit dem Klatsch und Tratsch sämtlicher Spiralgalaxien zu überschütten.«
Laut sagte sie: »Und wenn ich ein anderes Raumschiff aus Versehen zerschrotten sollte, wird sicher mein reicher Onkel einspringen. Der sitzt im Intergalaktischen Präsidialrat und weiß gar nicht, was er mit seinem Geld anfangen soll, so viel bringt ihm sein Posten ein.«
Kira hatte gehört, dass es früher genauso gewesen war: Einem Politiker wurden die Millionen nur so hinterher geworfen, selbst wenn er der unfähigste Trottel unter seiner Sonne war. Auch auf Terra hatte man das so gehandhabt.
Sie fand, dass man stattdessen grundsätzlich so verfahren sollte wie auf einem kleinen Planeten inmitten eines offenen Sternhaufens in der Nähe von NGC 2264, wo unfähige Regenten ohne große Umstände zu Dünger verarbeitet wurden.
Dem Volk hatte das leider nicht viel genützt, da mit einer Invasion durch Bewohner der Nachbargalaxie eine Seuche eingeschleppt wurde, die beinahe sämtliche Bewohner des Planeten dahinraffte. Nur ein paar blieben am Leben, die gerade auf der einzigen Raumstation die Geburt des fünftausendsiebenhundertzweiunddreißigsten Nachkommen ihres Regenten feierten.
Oder war es die Entdeckung der fünftausendsiebenhundertzweiunddreißigsten Supernova im linken oberen Himmelsquadranten gewesen?
Kira zuckte unwillkürlich mit den Schultern. Egal, jedenfalls umkreisten die unsanft aus ihrem Vollrausch Erwachten einige tausend Jahre ihren Heimatplaneten, bevor sie von mitleidigen Regonen an Bord einer Raumfähre genommen wurden.
Kiras aufdringlicher Begleiter ließ sich nicht entmutigen. Im Gegenteil, sie hatte ihm unbeabsichtigt ein Stichwort geliefert, an das er eifrig anknüpfte.
»Aber Kleines, alle Mitglieder des Intergalaktischen Präsidialrates sind bei uns versichert. Du wirst es kaum glauben, aber sowohl Sach- als auch Personenschäden sind bei jedem bis zu einer Summe von fünf Millionen Universos gedeckt. Da bleibt dir die Spucke weg, was? Diese Versicherung ist gar nicht teuer – tausend Universos im Jahr und du bist dabei!«
Er versuchte, ihr zur Bekräftigung auf die Schulter zu hauen. Es gelang ihr nicht, ganz auszuweichen, und der rechte Oberarm bekam einen Teil der Wucht einer Roboterpranke zu spüren.
Sie schaute sich rasch um, während sie ihren lädierten Arm mit der linken Hand umklammerte. Sollte sie ihn mit einem Photonenimpuls ihres Multifunktions-Überlebenskits für eine Weile außer Gefecht setzen? Sie hatte den Kit bisher nur benutzt, um sich die Fußnägel zu schneiden oder Weinflaschen zu öffnen. Selbst den integrierten Kamm hatte sie bisher nicht gebraucht, bei ihrer Kurzhaarfrisur reichte es, morgens einmal mit den Fingern durch den Igel zu fahren.
Sie entschied, dass sie keinen Wert darauf legen würde, einen vergleichenden Essay über Gefängnisse auf den verschiedenen Planeten dieser Galaxie zu schreiben. Nein, Flucht vor diesem nervtötenden Robot war die beste Lösung.
Inzwischen hatten beide ein gutes Stück Straße zurückgelegt und kamen an der Paradies-Bar vorbei. Entgegen ihrem Namen war die Bar eine üble Spelunke, aber sie hatte einen gravierenden Vorteil: Roboter mussten draußen bleiben.
Also schlüpfte Kira kurz entschlossen, nachdem der in einen braunen Kapuzenmantel gehüllte schattenartige Wächter kurz ihre zelluläre Identität überprüft hatte, durch die Eingangstür.
Drinnen mussten sich ihre Augen erst einmal an das Halbdunkel gewöhnen. Sie atmete auf: Außer ihr waren nur drei extraterrestrische Typen und der Barkeeper zu entdecken.
Um die Wahrheit zu sagen: Kira ging äußerst ungern in Kneipen. Das lag nicht daran, dass sie zu schüchtern war, sondern dass sie in mindestens drei Galaxien polizeilich gesucht wurde.
Jedes Mal war sie in eine harmlos erscheinende Sache hineingeraten, die plötzlich Eigendynamik bekommen und dazu geführt hatte, dass sie sich zum Beispiel im Hochsicherheitstrakt des Staatsgefängnisses von L'turion bei Aldebaran inzwischen recht gut auskannte. Zum Glück konnte man nach l'turionischer Rechtsprechung wegen Handels mit fehlerhaften Bordcomputern nicht zum Tode verurteilt werden.
Mit Hilfe ihres Mikromanipulators konnte Kira damals nach fünf Wochen Isolationshaft in das zentrale Datenverwaltungssystem des Hochsicherheitstrakts eindringen und ihre gespeicherten Daten von »2000 Umdrehungen des Heimatplaneten Inhaftierung«, die sie natürlich nicht überlebt hätte (die Dummköpfe hatten Terra mit Tiran, einem Planeten am anderen Ende des Universums, verwechselt), in »sofortige Freilassung« umändern. Glücklicherweise hatte es ohne weitere Probleme geklappt.
Kira begrüßte die Kneipengäste mit einem betont forschen »Saluton!« und einer Geste, die auf allen Planeten verstanden wurde, indem sie die Handflächen nach oben wendete und gleichzeitig den Kopf senkte.
Die Typen reagierten nicht, aber der Wirt erwiderte ihre Geste.
Kira bestellte einen alkoholfreien Twister, sie wollte lieber einen klaren Kopf behalten. Das Zeug hatte es auch so in sich. Man spürte es förmlich in den Eingeweiden prickeln, wenn man die grüne Flüssigkeit mit den türkisblauen Schlieren herunterschüttete.
Ihr Glas hatte Kira in Rekordzeit halb ausgetrunken, während sie versuchte, von dem Gespräch der drei anderen schon leicht angetrunkenen Gäste einige Brocken zu verstehen.
Die Sprache der mit fischähnlichen Köpfen auf unförmigen, tonnenartigen Körpern ausgestatteten Typen konnte sie mit Hilfe ihres in ihr Chronometer am linken Handgelenk eingebauten Dolmetscherchips, den die meisten für einen harmlosen diamantenbesetzten Armreifen hielten, zwar mühelos übersetzen, aber die drei wisperten so leise, dass die Signalerfassung Probleme bereitete.
Kira gab bald auf und hing stattdessen trüben Gedanken nach. Manchmal packte auch Menschen wie sie, die ihre Gefühle recht gut unter Kontrolle hatten, die Sehnsucht nach einem Wesen, das eine Frau verstand und abends zu Hause mit einem zarten Steak mit Zwiebelringen und Kartoffelbrei auf sie wartete.
Leider waren Weltraumreisende oft einsam, und ab und zu überfiel auch Kira eine tränenreiche Traurigkeit, die sie am nächsten Morgen aussehen ließ wie einen zehn Tage in Nährlösung gequollenen Mondfisch.
Plötzlich stockte das Gespräch der drei und sie glubschten in Richtung Tür.
Kira wandte sich um, denn gehört hatte sie eigentlich nichts. Nahezu lautlos waren zwei neue Gäste in die Kneipe hereingekommen.
Der eine erinnerte Kira an einen Riesenkraken mit Geierschnabel. Die Lebensform wirkte auf Anhieb unsympathisch, aber sie hatte sich schon mehr als einmal gewaltig getäuscht, was das tatsächliche Wesen einer für menschliche Augen bizarr oder sogar ekelerregend aussehenden Kreatur anging.
Der andere war – Kira staunte – ein Terrestrier wie sie selbst: Ziemlich groß gewachsen, dunkle ungepflegte Haare, wie sie vor hundertzehn Erdenjahren modern gewesen waren, und legere Kleidung. Eine mit fremden Schriftzeichen bestickte Weste über einem zerknitterten, rotblau karierten Flanellhemd fiel ihr ins Auge. Sie hatte eine leichte Schwäche für mit fremden Schriftzeichen bestickte Westen, aber diese hier sah sehr schmuddelig aus.
Nachdem der Mann sich kurz umgeschaut und den üblichen Gruß entrichtet hatte, blieb sein Blick einen Augenblick lang an Kira hängen. Sie fühlte ein merkwürdiges Kribbeln im Bauch, was aber sicher daran lag, dass der Twister wieder ans Tageslicht wollte.
Der Fremde bestellte für sich und seinen Kumpan Whiskey aus ökologisch unbedenklichem Anbau. Mit seinen schon leicht ergrauten Haaren, die schon länger nicht mehr mit Wasser und Shampoo in Berührung gekommen waren, und den Dreitagebartstoppeln, die alles andere als erotisch wirkten, gehörte er zu dem Typ Mann, den Kira insgeheim »fossiler Weltraumpirat« getauft hatte. Sie wäre gerne einem Kontakt mit ihm aus dem Weg gegangen, aber er redete sie ohne Umschweife an.
»Bonan vesperon! Kennen Sie vielleicht einen guten Piloten, der ein Raumschiff nach Delta Centauri überführen könnte?«
Schon wieder wurde Kira einfach angequatscht. Konnte man sie heute nicht mit Belanglosigkeiten in Ruhe lassen und mit ihr stattdessen ausführliche Gespräche über den Sinn des Lebens im Allgemeinen und der Liebe im Besonderen führen, die ihre arme leidende Seele wieder aufbauen würden?
Sie seufzte innerlich, aber da sie höflich war und außerdem ein kleines bisschen neugierig, antwortete sie. »Klar kenne ich einen guten Piloten, der für entsprechendes Geld ein Raumschiff egal wohin überführen würde. Aber wer sind Sie überhaupt?«
Mit einem Blick auf die sie anstarrenden drei Fischköpfe, die unverhohlen herüberglotzten und, ohne dass es Ihnen im Geringsten peinlich war, zuhörten, murmelte Kiras Gegenüber: »Gehen wir dort hinten an den Tisch in der Ecke. Es muss ja nicht jeder mithören.«
Sie nahm ihren Twister und folgte ihm und seinem Krakengefährten an den weit hinten gelegenen Tisch.
Er setzte sich so, dass er das Geschehen am Tresen im Blick behielt. »Es klingt vielleicht seltsam, aber wir sind in geheimer Mission für die Geronin von Perseus unterwegs. Wie Sie sicher wissen, ist die Geronin Mitglied des Intergalaktischen Präsidialrates.«
Kira nickte, obgleich sie sich nur dunkel an die Geronin erinnerte: Ein wunderhübscher, zart gemeißelter Kopf mit langen weißen, seidig schimmernden Haaren auf einem plumpen Körpersack. Sie lebte mit irgendwelchen Würmern in ihrem Körper zusammen, denen es in letzter Zeit, wie die Nachrichten behaupteten, immer schlechter ging.
Nach Kiras Ansicht war sie allerdings bei weitem nicht das skurrilste Wesen des Präsidialrates: Ein Mitglied lebte als winziger Symbiont in den Leitbündeln eines pflanzenähnlichen Kaktuswesens. Mitteilen konnte es sich mittels Gedankenübertragung an das Kaktuswesen, das sozusagen als Sprecher seines Symbionten fungierte.
Anfangs hatte man daher das Kaktuswesen selbst für eine intelligente Lebensform gehalten. Erst nachdem man die seltsame Gepflogenheit, von Zeit zu Zeit die Symbionten auszuhusten und wieder aufzusaugen, untersucht hatte, entdeckte man die wahren Verhältnisse.
In der Wissenschaftszeitschrift »Populäre naturwissenschaftliche Anmerkungen über Sonderformen des Seins« – kurz PNASS – hatte Kira gelesen, dass der kurzzeitige Aufenthalt außerhalb des Wirtes den Symbionten erlaubte, rasch Sonnenenergie zu tanken, die sie zur Aufrechterhaltung ihres Stoffwechsels benötigten.
Kira fand solche wissenschaftlichen Erkenntnisse immer furchtbar interessant und verwendete sie auf Partys gerne als Gesprächsthema, wenn ihr sonst nichts mehr einfiel. Leider teilten die wenigsten ihre Begeisterung, denn wie sie feststellte, kamen ihr die Gesprächspartner bei ihren Erläuterungen meist schnell abhanden, und Kira fand sie später in angeregter Unterhaltung mit irgendeinem Trottel, der beispielsweise Anekdoten aus dem Sportlerleben seines Großvaters zum Besten gab.
»Warum das Raumschiff nach Delta Centauri überführt werden soll, kann ich Ihnen beim besten Willen nicht verraten – ich weiß es selbst nicht. Daran sehen Sie, dass es sich um einen Akt höchster Geheimhaltungsstufe handelt.«
Bei den letzten Worten verzog Kira das Gesicht. Sie mochte es nicht, wenn mit verdeckten Karten gespielt wurde.
»Nun gut, Sie handeln also in geheimem Auftrag. Aber Ihr Name ist doch hoffentlich nicht auch geheim?«
Der Fremde schien sich nicht an ihrem ironischen Unterton zu stören. »Ich heiße Arthur Shakespeare und dies ist mein Begleiter Esso aus dem Horussystem. Wir sind Ingenieure und gehören zur Roten Flotte, von der Sie sicherlich gehört haben.«
Natürlich wusste Kira, um was es sich bei der Roten Flotte handelte! Einige der besten Piloten, Ingenieure und Naturwissenschaftler, die sie kannte, waren bei der Aufnahmeprüfung in diese Eliteeinheit durchgefallen, weil dort eben nur die Besten der Besten aufgenommen werden. Kiras Blick, eben noch spöttisch, wurde fast ehrfürchtig.
»Bitte, können Sie uns beide mit dem Piloten bekannt machen, von dem Sie sprachen?« Bei dieser Frage verknotete Arthur Shakespeare nervös die Finger.




