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Esso saß scheinbar völlig unbeteiligt daneben und sortierte die winzigen Schuppen an den Tentakelenden, bis sie ordentlich in einer Reihe standen.
Shakespeares Augenlid zuckte nervös und er fuhr sich mit der Hand durch die fettigen Haarsträhnen.
Kira beschloss, mit dem Versteckspiel aufzuhören. »Ich selbst bin der Pilot. Ich fliege seit fünfzehn Jahren unfallfrei kreuz und quer durch die Galaxis. Drei Jahre bediente ich die Raumfähre zwischen MX 183 und MX 756. Zurzeit besitze ich leider nur ein etwas altersschwaches Raumschiff.«
Sie grinste, aber ihr Gegenüber ging nicht darauf ein. Also fuhr sie achselzuckend fort. »Ich würde mich heftig freuen, wenn ich mal einen moderneren Flitzer fliegen dürfte. Es wäre mir wirklich ein ausgesprochenes Vergnügen. Für einen angemessenen Lohn natürlich.«
Er winkte ab. »Geld spielt keine Rolle. Wichtig ist nur, dass der Raumgleiter weitgehend ohne Kratzer und vor allem ohne Überfälle ans Ziel gelangt. Die Zeit läuft uns weg, wir müssen uns unbedingt beeilen.«
Er tauschte mit seinem Krakenbegleiter einen viel sagenden Blick aus. Dabei stellte Kira fest, dass der Krake, der im Übrigen fünf Arme und ebenso viele Beine besaß, einen nach menschlichen Maßstäben vertrauenerweckend warmherzigen Augenausdruck besaß. Arthur Shakespeare wandte sich wieder an Kira.
»Wegen dieses Zeitdrucks engagieren wir Sie. Wir hätten zugegebenermaßen gerne eine kleine Auswahl an Piloten gehabt, aber wir müssen uns schnellstmöglich entscheiden. Sie haben den Job.«
Sie wusste nicht so recht, ob sie beleidigt sein sollte, weil ihr eben recht deutlich gesagt worden war, dass man sie nicht auf Anhieb für die überaus fähige Pilotin hielt, die sie ihrer Meinung nach war, oder ob sie sich freuen sollte, dass sie den Job ohne große Umschweife erhalten hatte. Etwas verwirrt kippte sie den Rest ihres Drinks hinunter. »Wann soll es losgehen?«
Ihr Gegenüber schaut auf sein Chronometer. »In genau sechzehn terrestrischen Stunden und vierzehn Minuten. Dabei bleibt's, es mag biegen oder brechen!«
Kira verbarg mühsam ihre Überraschung. Das versprach ein Hals-über-Kopf-Unternehmen zu werden. Andererseits wäre es ein guter Job mit guter Bezahlung. Sie presste die Lippen aufeinander.
In Shakespeares Augen blitzte es belustigt auf. »Was ist los? Ist Ihnen gerade eine Laus über die Leber gelaufen?«
Für einen Moment hatte Kira ein krabbelndes Insekt vor Augen, das gerade auf einer frischen, blutigen Leber spazieren ging. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein. Es geht nur alles ein bisschen schnell. Aber ich werde mich bereit machen. Welche Startrampe?«
»B12. Seien Sie bitte pünktlich. Sie wissen jetzt alles über uns, was Sie unbedingt wissen müssen. Wir sind leider gezwungen, uns blindlings auf Ihre hoffentlich vorhandenen Fähigkeiten zu verlassen. Vorher möchten wir aber doch noch gerne Ihren Namen erfahren.«
Verflixt, jetzt wurde sie auch noch rot. Welch ein Glück, dass die Beleuchtung so miserabel war! »Kira Vendredo. Mein Vater gehörte zu den Elitepiloten der Raumflotte und ich versuche, in seine Fußstapfen zu treten.«
Warum nur rutschte ihr dieser Satz immer wieder heraus? Das interessierte doch niemanden und außerdem ging es keinen etwas an. Sie hätte sich selbst ohrfeigen können.
Aber Arthur lächelte zum ersten Mal. »Er ist hoffentlich glücklich, eine so erfolgreiche Tochter bekommen zu haben.«
Sie erwiderte sein Lächeln, obwohl ihr traurig zumute war. »Er hat es leider nie erfahren. Kurz vor meiner Geburt geriet er in ein Gefecht und kam ums Leben.«
Arthur strich sich die strähnigen Haare aus der Stirn. »Das tut mir leid. So schnell verdunkelt sich des Glückes Schein!«
Er stand auf, sein Begleiter ebenfalls. Kira sprang auf und warf dabei fast den Stuhl um.
»Ich erwarte Sie in sechzehn Stunden auf Startrampe B12. Verlasst Euch auf meine Redlichkeit!« Er reichte der befremdet dreinschauenden Kira kurz die Hand, anschließend sah sie sich gezwungen, einen Tentakel zu drücken. Der fühlte sich aber warm und fest und gar nicht unangenehm an.
»Gxis baldaux«, ertönte eine tiefe, samtige Stimme mit leichtem Akzent. »Unsere Mission wird hoffentlich ohne Schwierigkeiten zu erfüllen sein.«
Kira war für einen Moment völlig entgeistert, dann fing sie sich und klappte ihren Mund wieder zu: Mit Extraterrestriern erlebte man eben häufig Überraschungen. Solch eine wohltönende Stimme hatte Kira noch nie von einem ihresgleichen vernommen. Dagegen klang Shakespeare geradezu langweilig, obwohl seine Ausdrucksweise ab und zu mehr als seltsam war.
Die beiden verließen die Kneipe, nicht ohne sich vorher vom Wirt zu verabschieden. Auch Kira vollführte die schlangenähnliche Abschiedsgeste mit dem rechten Arm und murmelte »Gxis revido«.
Draußen schloss sie geblendet die Augen. Sie sah zwar nichts, aber die penetrante Stimme, die auf sie einredete, erkannte sie sofort.
»Hey Baby, du hast dich bestimmt für mein Rundum-Sorglos-Versicherungspaket entschieden. Du kannst sofort unterschreiben. Das Geld kannst du dann innerhalb der nächsten zwei Wochen auftreiben.«
»Lass mich in Ruhe, du nervige künstliche Intelligenz!« In Kiras Schläfen begann ein leiser warnender Schmerz zu pochen. Sie sah sich um: Die Straße war bis auf zwei torkelnde Gestalten in einiger Entfernung leer. Sie würde auf sich selbst gestellt sein, sollte der Robot zum Angriff übergehen. Sie spannte ihre Beinmuskeln an und war bereit, los zu sprinten, als der Roboter plötzlich den Kopf hängen ließ und dreinblickte, als ob sämtliches Öl aus seinen Gelenkverbindungen gelaufen wäre.
»Ich bin ein Versager! Keiner mag mich! Ich bin der letzte Schrott!«
Verdutzt blieb Kira nach drei Schritten wie angewurzelt stehen. Obwohl sie sich dagegen sträubte, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Wie hätte sie ahnen können, dass Versicherungsroboter solch eine sensible Psyche besaßen? Vielleicht brauchte sie doch eine Rundum-Versicherung?
Aber der Roboter schien gar keine Antwort mehr zu erwarten, sondern fuhr mit seinem Gejammer fort. »Ich bin als Versicherungsroboter untauglich! Eine Schande für meinen Konstrukteur! Niemand wird einen Roboter in meinem Alter mehr einstellen! Ich gehöre zum alten Eisen! Meine Existenz ist verpfuscht! Mir bleibt nur noch eins zu tun: Ich werde mich jetzt auf der Stelle abschalten.« Beim verzweifelten Versuch, seine Funktionen auszuschalten, blieb er in einer Deaktivierungsschleife hängen und winkte ununterbrochen mit dem rechten Arm einem imaginären Gegenüber zu.
Kira überlegte kurz, ob sie ihn einfach so stehen lassen sollte. Aber womöglich hatte er bereits Daten über sie gespeichert, und es war besser, wenn sie ihre Spuren ein wenig verwischen würde. Daher nahm sie ihren Mikroschraubenzieher aus dem Multifunktions-Überlebenskit zur Hand, deaktivierte das Energieversorgungssystem des nervigen Roboters und durchtrennte zur Sicherheit noch zusätzlich ein paar Leitungen.
Kapitel 3
Ph'flz
Löcher, Schwarze
Wie jeder weiß, ist ein Schwarzes Loch ein Bereich im Raum, in dem die Gravitation so stark ist, dass selbst elektromagnetische Wellen wie z. B. Licht den Bereich nicht verlassen können und dieser daher schwarz erscheint. Schwarze Löcher sehen nur von weitem faszinierend aus, unter anderem, weil die durch die hohe Gravitation angezogene Materie vor dem Sturz in ein solches Loch so heiß wird, dass dieses von außen hell leuchtend erscheint. Ein atemberaubender Anblick! Vermeiden Sie es trotzdem, zu nah an ein Schwarzes Loch heranzufliegen, selbst wenn Sie sich unwiderstehlich angezogen fühlen. Der Anblick lässt Sie sonst nie wieder los.
Ph'flz öffnete träge drei seiner fünf Augen.
Langsam schob sich die kleine heiße Sonne über den Horizont und kämpfte sich wie jeden Morgen mit ihren Lichtfingern durch den dichten Nebel. Die beiden kleinen Trabanten hatten sich davorgeschoben und bildeten dunkle Flecken vor der gleißenden Scheibe. Ehos glitten durch die gelbliche wasserdampfgesättigte Atmosphäre.
Ph'flz saugte tief Luft durch seine Atemritze und pumpte einen Teil davon in seine Saugnäpfe. Mit einem eleganten Salto kam er auf seinen drei Pseudobeinen zu stehen. Um die Saugnäpfe herum befand sich jeweils ein Kranz aus zahlreichen Tentakeln, auf denen er rasch und mühelos davonglitt.
Er musste an diesem Morgen zur Versammlung des Ältestenrates. Vor drei Sonnenumläufen war er als jüngstes Mitglied in den Rat gewählt worden. Im Alter von dreihundertfünfundachtzig Sonnenumläufen! Da von jedem Ratsmitglied nur noch ein Klon existieren durfte, wurden seine vier anderen Klone daraufhin eliminiert.
Ph'flz pflückte auf dem Weg im Vorübergleiten ein paar Universalernährer, die seine Geschmackssensoren in dem Nahrungsaufnahmeschlitz unter den in Form eines unregelmäßigen Fünfecks angeordneten Augen erfreuten.
Auf dem Rücken spürte er das Picken der Grewos, die sich um den besten Platz um seine drei Ausscheidungsöffnungen stritten. Besorgt schaute Ph'flz zum Himmel. Normalerweise wechselten Sonne und Regenschauer einander ständig ab, aber heute war die Atmosphäre unangenehm trocken. Die Luftfeuchtigkeit war sicher unter neunundsiebzig Prozent gesunken.
Er erhöhte seine Gleitgeschwindigkeit und begann, sein Gungimop zu polieren, das er geschickt mit den Bauchtentakeln festhielt. Ein makelloses Gungimop, das die Sonnenstrahlen perfekt reflektierte, würde ihn an das Ziel seiner Wünsche bringen: Man würde ihn für die ehrenvolle Aufgabe ausersehen.
Viele Sonnenumläufe lang hatte er Zeit und Mühe in die Vervollkommnung der Gungimopscheibe gesteckt, die jeder Bewohner von Aoiah erhielt, wenn seine Metamorphose abgeschlossen war. In nährstoffarmen Jahren dauerte die Metamorphose natürlich länger.
Ph'flz erinnerte sich: Bei ihm dauerte sie besonders lange. Seine fünf Erziehungsbegleiter waren schon an ihm verzweifelt und dachten, er würde für immer im Wurmstadium verharren und nur Jahr für Jahr Tausende neuer Wurmlarven ausbrüten. Aber er brauchte eben für alles etwas länger als seine Genossen. Deshalb war es nicht das letzte Mal, dass er seine Erzieher schier zum Wahnsinn trieb.
Er schrubbte ein wenig fester die Metallscheibe beim Gedanken daran, dass er zum Beispiel erst nach sage und schreibe siebzehn Sonnenumläufen sämtliche Algorithmen des großen Mathematikers Ho Hon fehlerfrei aufsagen konnte. Mawan, seinem Lieblingserzieher, hingen die Kopftentakel damals schon bedrohlich schlaff herunter – nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie ihm abgefallen wären.
Sein Gungimop glänzte wie eine Sprechblase, die das Fraktal für »Fortpflanzungserlaubnis« abbildete. Trotzdem wischte er weiter daran herum.
Hoffentlich würden sie ihn diesmal zum Überbringer erwählen! Schon so lange war dies sein sehnlichster Wunsch. Er musste nur aufpassen, dass er vor lauter Eifer nicht seine Farbe wechselte. Das würde ihn als Nichtswürdigen abstempeln und seinen sofortigen Hinauswurf aus der Ratsgemeinschaft zur Folge haben. Und dann würde er nie die Gelegenheit bekommen, Aoiah zu verlassen, um auf einen der Planeten zu gelangen, von denen Mawan so viel erzählt hatte.
Während er den ersten Platzregen des jungen Morgens über sich rinnen spürte, kamen ihm die Zeilen der berühmten Dichterhorde in den Sinn:
Verbruzzelt nebelt es hinter der Fluppe,
frisch röbelt mein Gungimop empor.
Kaskaden beißen in sämende Suppe,
der Fundus matscht bereulich sein Ohr.
Endlich erreichte er den Ratswürfel. Es sollte Glück bringen, durch das mittlere Loch der Fünf-Augen-Seite einzufliegen.
Also bat Ph'flz einen Eho, der auf Kundschaft wartete, ihn gegen drei Universos hochzutragen. Ehos waren unwahrscheinlich arrogant, aber bei drei Universos wurden selbst sie freundlich und trugen beinahe jeden ohne wilde Flugkunststücke, die seine Tentakel zum Flattern gebracht hätten, nach oben.
Im Ratswürfel herrschte gedämpftes Licht, in dem Hunderte von Sprechblasen schillerten. Unablässig lösten sich die Blasen von den Schultern der anwesenden Ratsmitglieder und stiegen auf, während auf ihnen die unterschiedlichsten Fraktale aufleuchteten. Die Muster waren aus der Sicht anderer Wesen wunderschön.
Ph'flz' extraplanetarische Freunde überschlugen sich förmlich vor Begeisterung, wobei aber das letzte Treffen eine sehr unglückliche Wendung genommen hatte.
Gemeinsam mit ein paar Arkturianern, zwei Amöboiden aus dem Gebiet um Sirius und einem Terrestrier hatte er einem Mittagessen der Putzkolonne zugesehen, wobei eine lebhafte Unterhaltung über den Vorteil der kleinen gestreiften Müllfresser gegenüber den großen gepunkteten Wischlappen im Gange war.
Der Terrestrier gab den fraktalen Mustern lauter Namen, über die sich die anderen vor Lachen ausschütteten, wobei die Amöboiden ihre Scheinfüßchen gleich dutzenden Armen und Beinen in Wellen aus dem Protoplasma ausstülpten. Das lag daran, dass das Wort »Apfelmännchen« in deren Sprache etwas ungemein Unanständiges bezeichnete, was wiederum kein Terrestrier verstehen konnte. Der Übersetzungscomputer zeigte nur »Error« an, was an der veralteten Version 345.2 der Software lag, wo doch inzwischen bereits die Beta-Version von 387.5 erschienen war. Während Ph'flz noch überlegte, wie viele Schwierigkeiten sich ergaben, wenn man sich auf das Funktionieren technischer Geräte verlassen musste, nahm das Unheil seinen Lauf.
Der Vorschlag des Terrestriers, sich lieber auf Esperanto zu unterhalten, was schließlich jede halbwegs gebildete Lebensform verstehen könne, hatte die Amöboiden tödlich beleidigt, worauf sie den Terrestrier kurzerhand verspeisten.
Ph'flz machte sich immer noch große Vorwürfe, dass er nicht rechtzeitig die gefährliche Situation erkannt und den Streit geschlichtet hatte.
Im Ratswürfel war eine erregte Debatte im Gange, das erkannte Ph'flz sofort an den Grün- und Gelbtönen der Muster. Die meisten Blasen stiegen entsprechend des Nachdrucks, mit dem sie ausgestoßen wurden, bis fast an die Decke, von der unablässig ein feiner Nebel sprühte, wodurch im Würfelinneren die angenehme Luftfeuchtigkeit von nahezu hundert Prozent herrschte.
Dort oben zerplatzte jede der Fraktalblasen, wie er aus der Zeit seines Lernens wusste, mit einem leisen »Plopp«, das jedoch nur von Lebewesen mit sehr empfindlichen Hörorganen wahrgenommen werden konnte. Zu diesen zählte Ph'flz jedoch nicht: Seiner Spezies fehlte ein Gehörsinn.
Ph'flz ließ sich auf dem Luftkissenpolster neben Mawan nieder, der zur Begrüßung einen großen Schleimpfropf absonderte. Sofort stürzten sich dutzende geflügelter, winzig kleiner Schleimfresser auf diesen Leckerbissen, um ein Festmahl zu halten.
Eben wurde die Diskussion beendet und nur eine einsame Seifenblase stieg noch auf. Eine Seifenblase? Wer hatte sich diese halblegale Droge beschafft? Hunderte Augen richteten sich auf den Seifenjunkie, der leicht ausfindig gemacht werden konnte, da er ein verdächtiges Luxusseifen-Lavendelaroma verströmte.
Er wurde umgehend von zwei der unauffällig über ihren Köpfen kreisenden Aufseher aus der Versammlung entfernt und zum Entzug in eine Trockenzelle verfrachtet, wo er auf eine Drogenersatztherapie mit seifenfreien Detergentien gesetzt werden würde.
Nun wurden feierlich die neuesten Beschlüsse des Ältestenrates bekannt gegeben. Der Älteste ließ platschend mehrere Schleimpfropfen von der Redner-Empore ins Publikum fallen.
Ein Fraktalblasensturm war die Folge.
Nachdem auch die letzte Blase zerplatzt war, wurde der Älteste sehr ernst. Ein Ratsmitglied sollte sich sofort auf den Weg nach Delta Centauri zur nächsten Sitzung des Intergalaktischen Präsidialrates machen und dort über die geplante Invasion der Mo'har auf einem bewohnten Nachbarplaneten berichten, der sich doch immerhin in gerade einmal fünfundsiebzig Lichtjahren Entfernung von Ph'flz' Heimatplaneten befand.
»Der Ärmste«, dachte Ph'flz bei sich, nicht ohne seine Gedanken in »Wie angenehm« zu verschlüsseln. Die telepathischen Fähigkeiten seiner Spezies, die ihm auch eine blasenfreie Verständigung ermöglichten, brachten nicht nur Vorteile. Allen Ratsmitgliedern war bekannt, dass sich die Raumfahrtflotte ihres Planeten in einem äußerst maroden Zustand befand und ein Befehl zu einer derart weiten Reise einem Selbstmordkommando gleichkam. Man würde daher jemanden auswählen, der als relativ entbehrlich erachtet wurde.
Gedankenverloren sah Ph'flz die Fraktalblasen mit seinem Namen aufsteigen. Sein Name! Vor Schreck hingen seine Kopftentakel schlaff herunter und beinahe wäre ihm sein Gungimop entglitten. Er war der Auserwählte Überbringer der Botschaft! Natürlich, er war der Jüngste und Unerfahrenste, auf ihn konnte man am leichtesten verzichten!
Mawan spuckte ihn aufmunternd an.
Nur mit Mühe brachte Ph'flz sich so weit unter Kontrolle, dass er ein paar von der Farbe blau dominierte Dankesblasen aus den Schulteröffnungen absondern konnte.
Aber offenbar erwartete auch keiner eine längere Rede von ihm. Die Tentakelkränze der anderen Ratsmitglieder standen allerdings in auffälligem Fünfundvierzig-Grad-Winkel vom Rumpf ab, was ihre grenzenlose Erleichterung ausdrückte. Diese Feiglinge!
Der Älteste richtete ein paar Dankesblasen an Ph'flz, als er plötzlich durch einen Boten unterbrochen wurde.
Alle aktivierten wie auf Kommando ihr telepathisches Sinnesorgan und Sekunden später brach ein Tumult los. In wilder Panik versuchten die ehrwürdigen Versammelten, als Erste einen Eho zu erwischen, um aus dem Ratswürfel zu entkommen.
Mawan hatte Ph'flz zurückgehalten, der völlig verwirrt losstürmen wollte, obwohl er den Grund für die Massenhysterie überhaupt nicht verstanden hatte. Zum Glück, denn etliche seiner Landsleute verloren ihr Leben, als sie sich zu mehreren einen armen Eho schnappten, der mitsamt seiner Last in die Tiefe stürzte.
»Wir haben noch Zeit«, übermittelte Mawan gedanklich an Ph'flz. »Bis zur Ankunft der Großen Flut wirst du dich schon im Weltraum befinden.«
»Die Große Flut! Oh ewige Trockenheit! Aber die Große Flut soll doch erst in fünfzig Sonnenumläufen kommen!«, stieß Ph'flz hervor. »Dann, wenn die vier Monde in einer Linie in Richtung zur Sonne stehen. Und das ist alle 4786 Jahre einmal der Fall!«
»Ganz richtig«, kam ruhig Mawans Antwort. »Aber du weißt doch, wie es mit den Astronomen auf unserem Planeten bestellt ist. Überall Lohnkürzungen und Entlassungen. Wegen der Sparmaßnahmen und Reformen wurden viele hochkarätige Wissenschaftler arbeitslos oder wanderten auf Nachbarplaneten aus, wo fähige Leute gesucht werden und die Bezahlung stimmt.
Leider sind nur ein paar miserable unkündbare Astronomen übrig geblieben, die ihren Lebensunterhalt mit Sternenkunde-Kursen für Erziehungsbegleiter oder mit Werbung für den Anbau gentechnisch veränderter Universalernährer aufbessern. Leider haben sich diese Dummköpfe um fünfzig Sonnenumläufe verrechnet, so dass uns die Große Flut völlig unvorbereitet trifft. Für Evakuierungsmaßnahmen bleibt kaum noch Zeit.«
»Wie kannst du das so ruhig denken! Das ist doch ganz furchtbar!« Ph'flz tat der Kopf weh, so intensiv war sein Gedankensturm.
»Das war uns von den Sternen so vorherbestimmt«, gab Mawan unbeeindruckt zurück. »Aber nun zu dir. Wir nehmen meinen Privat-Eho – er ist sehr kräftig und wird uns beide tragen können – und reisen unverzüglich zum Raumhafen Baikorun.
Schau, da kommt er ja schon angeflogen! Dort wirst du in Begleitung meines alten Freundes Duke Swampwalker auf deine Mission gehen. Er sieht etwas seltsam aus, weil er vom Planeten Terra stammt, aber er ist der beste Pilot, den ich kenne.« Mawan versuchte, den Nachgedanken »leider kenne ich nur zwei« zu verschlüsseln, was ihm nicht ganz gelang.
Ph'flz ergab sich in sein Schicksal, kletterte hinter Mawan auf das muskulöse Geschöpf und klemmte den Gungimop unter die Bauchtentakel.
Der Eho flog zwar recht unkoordiniert und hatte sichtlich Mühe, den Kurs zu halten, aber er war ein erfahrener Flieger und zäh.
Mitten durch herrlich feuchte dunkle Regenwolken ging der Flug, was die beiden Passagiere für das Durchgerütteltwerden entschädigte. Zwischen den Wolkenbänken sahen sie die Landschaft unter sich hinweggleiten. Von Kupfersalzen rote Felsformationen im Dunst von Sandstürmen, über denen der Regen bereits verdunstete, bevor er das Gestein erreichte, wechselten mit ausgedehnten graugrünen Sumpfgebieten ab, in denen Treiberpflanzen träge vor sich hin dösten, um dann blitzschnell ein in die Reichweite der gefürchteten dicht behaarten Lianen geratenes Opfer zu umschlingen.
Ph'flz' Tentakel flatterten wild, während er sich das Schicksal eines so gefangenen Lebewesens ausmalte: Es wurde unerbittlich festgehalten und mittels eines in den Körper injizierten Verdauungssekretes aufgelöst, bis die Treiberpflanze nur noch ihr Saugrohr hineinzustechen und es auszuschlürfen brauchte.
Einzig anhand der aufsteigenden Gasblasen rings um die räuberische Pflanze konnte man erkennen, dass sie gerade mit Verdauen beschäftigt und daher für kurze Zeit friedlich gesonnen war. Wie Ph'flz aus Mawans Erzählungen wusste, konnten dann die berühmten, viel bewunderten Ernter es wagen, unter Einsatz ihres Lebens die feinen Lianenhaare abzurasieren, die auf Nachbarplaneten exportiert wurden, wo daraus unter anderem kostbare Webteppiche hergestellt wurden.
Ab und zu tauchte auch eine der stets streng quadratisch angelegten Siedlungen von Ph'flz' Spezies mit den gürtelartig sie umgebenden Schlafwäldern auf.
Dazwischen lagen die Zonen des Friedens mit ihren Dreierformationen von Bäumen: Ph'flz' Genossen, die das Stadium der Ewigen Weisheit erlangt hatten.
Weiter ging der rasante Flug über riesige Felder mit kultiviertem Universalernährer. Sie wogten beim Niedergang eines der unzähligen Regenschauer, ein Anblick, der in Ph'flz jedes Mal ein wohliges Gefühl auslöste. So schön war sein Heimatplanet! Würde die Große Flut dies alles zerstören? Er hatte aus Erzählungen gehört, dass beim letzten Mal vor 4786 Jahren drei Viertel der Kontinente überspült und sämtliche Siedlungen zerstört worden waren.
Im Gegensatz zu heute waren aber alle rechtzeitig gewarnt worden und die meisten hatten sich in höher gelegenen Regionen in Sicherheit bringen können. Warum nur konnte Mawan bei der drohenden Katastrophe so ruhig bleiben?
Dem Weltraumflughafen sah man bereits aus der Ehoperspektive an, dass seine besten Zeiten schon lange der Vergangenheit angehörten. Nur ein ehemaliges Nebengebäude wurde noch instand gehalten, der Rest war dem Zerfall preisgegeben.
Ein einsames Raumschiff stand verloren auf der Startrampe und schien darauf zu warten, diesen wenig ermutigenden Ort verlassen zu dürfen.
Mawan reichte dem Eho ein Bündel Universos und bedeutete ihm, dass er den gleichen Betrag für den Rücktransport erhalten würde. Einstweilen sollte er sich eine Ration Futter aus der Kantine abholen.
Dann machte er sich zusammen mit Ph'flz auf die Suche nach Duke Swampwalker. Sie fanden ihn in der heruntergekommenen Raumhafenbar, wo er sich gerade einen Kosmischen Eingeweidebeißer in die Mundöffnung goss.
Seine vollkommen tentakellose Gestalt erstaunte Ph'flz. Seltsamerweise schien er sich nicht zu freuen, dass ihm kleine Feuchtigkeitströpfchen das Gesicht herunterrieselten, denn er wischte pausenlos mit einem stinkenden Lappen über seine mit braunen Sprenkeln übersäte Haut. Die Stoffumhüllung des Terrestriers war offenkundig aus einem Material hergestellt, das ihn trocken halten sollte, denn es stiegen feine Dampfwölkchen von dem Stoff auf.
Ph'flz stieß einen Schwall wasserdampfgesättigter Luft aus seiner Atemöffnung: Auf dem Planeten Terra herrschte verkehrte Welt! Wie konnte man sich außerdem mit nur zwei Armen und Beinen begnügen?
Und welch hässliches Gestrüpp wuchs diesem Typ aus dem Kopf? Sogar ober- und unterhalb der Mundöffnung standen ekelhafte gelbbraune Keratinbüschel.
Ph'flz' Verdauungstrakt geriet vor Abscheu in Aufruhr, und seine Tentakel senkten sich zusehends. Zischend entwich erneut Luft aus seiner Atemritze und er schwankte leicht hin und her, da hierdurch die Spannung in seinen Saugnäpfen nachließ.
»Ich grüße dich, Duke Swampwalker«, begann Mawan feierlich und ließ einen Schleimpfropf auf den Boden platschen. Er setzte nur seine telepathischen Fähigkeiten ein, offenbar verstand der Erdling keine Fraktalsprache. »Ich vertraue dir das Leben des von mir erzogenen Ph'flz an, den du zum Intergalaktischen Rat bringen wirst. Er ist Überbringer einer wichtigen Botschaft.«




