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31
Der im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG maßgebliche Zeitraum (30 Kalendertage) ist nicht übertragbar.[43] Soweit ein Personalabbau in mehreren „Wellen“ erfolgt, ist vielmehr entscheidend, ob der Personalabbau auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruht.[44] Maßgebender Anknüpfungspunkt für das Mitbestimmungsrecht ist die unternehmerische Entscheidung, aus der sich ergibt, wie viele Arbeitnehmer voraussichtlich insgesamt entlassen werden. Eine einheitliche Planungsentscheidung kann auch eine stufenweise Durchführung vorsehen. Der Unternehmer, der das Vorliegen einer einheitlichen Betriebsänderung bestreitet, welche die Richtzahlen des § 17 KSchG überschreitet, muss daher darlegen und beweisen, dass verschiedene Maßnahmen nicht Teil einer einheitlichen Unternehmerentscheidung sind. Ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen mehreren Entlassungswellen stellt hierbei nach der Rechtsprechung des BAG ein wesentliches Indiz für eine von Anfang an einheitliche Planung dar.[45] Zwingend ist dies jedoch nicht,[46] denn eine spätere Entlassungswelle kann auch das Ergebnis einer neuen Planung sein. Dies gilt insbesondere, wenn nach der ersten Entlassungswelle neue, vom Arbeitgeber ursprünglich nicht vorgesehene und eingeplante Umstände eingetreten sind.[47] Plant der Arbeitgeber also zunächst nur Entlassungen, die nach ihrer Zahl noch keine Betriebseinschränkung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG darstellen, entstehen keine Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG. Führt der Arbeitgeber zunächst die beabsichtigten Entlassungen durch, die allein noch keine Betriebsänderung darstellen, und fasst er erst danach auf Grund neuer Umstände den Entschluss zu weiteren Entlassungen, sind die Entlassungswellen mitbestimmungsrechtlich nicht zusammenzurechnen.[48]
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Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber vor der tatsächlichen Durchführung der Maßnahme seine Planung ändert und nun weitere Entlassungen beabsichtigt, die unter Zusammenrechnung mit den bereits geplanten, aber noch nicht durchgeführten Entlassungen die Grenzwerte des § 17 Abs. 1 KSchG überschreiten. Es handelt sich dann nach der Rechtsprechung des BAG um einen einheitlichen Vorgang, der zum Zeitpunkt der Planungsänderung die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111 ff. BetrVG auslöst.[49]
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Gegenstand der Mitbestimmung des Betriebsrats ist sowohl hinsichtlich eines Interessenausgleichs als auch eines Sozialplans die vom Arbeitgeber beabsichtigte, noch in der Zukunft liegende Betriebsänderung. Dementsprechend ist in §§ 111 Satz 1, 112 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1, 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG stets von der „geplanten” Betriebsänderung die Rede. Anknüpfungspunkt für die Beteiligungsrechte des Betriebsrats ist die Planung des Arbeitgebers.[50] Maßnahmen, die später erst entschieden werden, können daher nicht nachträglich zu Lasten des Arbeitgebers zur Bejahung einer Betriebsänderung führen. Ebenso wenig genügt die bloße Tatsache, dass die mehreren Entscheidungen letztlich auf ein und dieselbe wirtschaftliche Entwicklung zurückgehen. Dies macht die jeweiligen Entscheidungen noch nicht zu einer einheitlichen Maßnahme.[51]
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In Betrieben mit 20 oder weniger Arbeitnehmern kann auf die Zahlengrenzen des § 17 KSchG nicht ohne Weiteres zurück gegriffen werden, da hiernach wenigstens 20 Arbeitnehmer beschäftigt werden müssen. Im Schrifttum ist diese Frage umstritten. Teilweise wird die Auffassung vertreten, die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG seien fortzuschreiben, so dass eine Betriebsänderung vorliege, wenn 30 % bzw. ein Drittel der Belegschaft entlassen werde. Nach anderer Auffassung ist der Schwellenwert des § 17 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KSchG zu halbieren mit der Folge, dass in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Beschäftigten ein erheblicher Teil der Belegschaft von einer Betriebsänderung betroffen ist, wenn mindestens drei Arbeitnehmer betriebsbedingt ausscheiden. Die Gesetzesbegründung zum Betriebsverfassungsreformgesetz macht jedoch deutlich, dass mit der Anknüpfung des Schwellenwerts in § 111 Satz 1 BetrVG an die Unternehmensgröße an den Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen einer konkreten Betriebsänderung nichts geändert werden sollte. Es war gerade nicht Zweck der Gesetzesänderung, für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben die Anforderungen an eine Betriebsänderung herabzusetzen. Es sollte lediglich verhindert werden, dass sich Unternehmen durch eine organisatorische Aufgliederung in einzelne Betriebseinheiten der Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach § 111 BetrVG entziehen. Hiervon ausgehend sprechen daher die besseren Gründe dafür, auch in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern eine Betriebsänderung durch alleinigen Personalabbau nur dann anzunehmen, wenn hierdurch die Mindestzahl des § 112a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG – sechs Arbeitnehmer – erreicht wird.[52] Das BAG geht dementsprechend folgerichtig davon aus, dass in Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern für eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein müssen.[53]
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Nur dann, wenn dieser Schwellenwert überschritten ist, kann mithin davon ausgegangen werden, dass ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist. Eine Fortsetzung der Richtzahlen des § 17 Abs. 1 KSchG nach unten fortzusetzen, erscheint nicht sachgerecht, da § 111 BetrVG bei personellen Einzelmaßnahmen keine Anwendung finden kann und diese Grenze ansonsten verschwimmt.[54]
d) Bestehen eines Betriebsrats
36
Weitere Voraussetzung für die Beteiligungsrechte gemäß §§ 111 ff. ist grundsätzlich das Bestehen eines Betriebsrats in dem von der Maßnahme betroffenen Betrieb. Soweit es sich um eine betriebs- bzw. unternehmensübergreifende Maßnahme handelt, kann bei betriebsratslosen Betrieben allerdings eine originäre Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates, oder des Konzernbetriebsrates bestehen.[55] Zu beachten ist dabei, dass aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für die Vereinbarung eines Interessenausgleichs nicht zwingend die gesetzliche Zuständigkeit für den Abschluss eines Sozialplans folgt. Dafür ist das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 Abs. 1 BetrVG gesondert zu prüfen. Ob danach ein zwingendes Bedürfnis nach einer zumindest betriebsübergreifenden Regelung besteht, bestimmt auch der Inhalt des Interessenausgleichs (vgl. dazu Rn. 132).[56]
37
Existiert lediglich ein Betriebsrat für einen Betrieb des Gemeinschaftsbetriebs, ist dieser nicht nach §§ 111, 112 BetrVG zu beteiligen, da ihm sonst ein Mitbestimmungsrecht für eine Organisationseinheit zugestanden würde, für die er nicht gewählt worden ist und für die er demgemäß auch nicht über ein Mandat aller zu dieser Organisationseinheit gehörenden Arbeitnehmer verfügt.[57]
38
Wird ein bisher betriebsratsloser Betrieb stillgelegt oder umstrukturiert, so kann ein erst während der Durchführung der Betriebsstillegung gewählter Betriebsrat die Aufstellung eines Sozialplans nicht mehr verlangen.[58] Entscheidender Zeitpunkt für das Bestehen des Betriebsrats ist insoweit der Entschluss des Arbeitgebers, nicht der Beginn der Umsetzung.[59] Dies hat das BAG in seiner Entscheidung vom 28.10.1992 klargestellt und zutreffend darauf hingewiesen, dass Beteiligungsrechte des Betriebsrates und damit die Pflicht des Arbeitgebers, den Betriebsrat zu beteiligen, in dem Moment entstehen, in dem sich derjenige Tatbestand verwirklicht, an den das Beteiligungsrecht anknüpft. Das ist bei den Beteiligungsrechten des Betriebsrates nach den §§ 111 ff. BetrVG die geplante Betriebsänderung. Eine solche geplante Betriebsänderung liegt dann vor, wenn der Arbeitgeber aufgrund abgeschlossener Prüfungen und Vorüberlegungen grundsätzlich zu einer Betriebsänderung entschlossen ist. Von diesem Zeitpunkt an hat er den Betriebsrat zu unterrichten und die so geplante Betriebsänderung mit ihm zu beraten. Besteht zu diesem Zeitpunkt kein Betriebsrat im Betrieb, können auch Beteiligungsrechte des Betriebsrates an der geplanten Betriebsänderung nicht gegeben sein.[60]
39
Das gilt auch dann, wenn dem Arbeitgeber im Zeitpunkt seines Entschlusses bekannt war, dass im Betrieb ein Betriebsrat gewählt werden soll.[61] Darauf, ob die Betriebsänderung bei Konstituierung des Betriebsrates bereits zum Teil umgesetzt wurde und zumindest zum Teil Kündigungen ausgesprochen wurden, kommt es hierbei nicht an. Das LAG Hamm hat in seiner Entscheidung vom 4.10.2010 vielmehr zutreffend festgehalten, dass ein Betriebsrat, der erst nach Abschluss der Planungen des Arbeitgebers und nach Beginn der Durchführung einer Betriebsstilllegung errichtet worden ist, Verhandlungen über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan nicht mehr verlangen kann, auch wenn die Kündigungen der Belegschaft erst zu einem späteren Zeitpunkt ausgesprochen werden.[62]
40
Ein erst nach dem Beginn der Durchführung einer Betriebsänderung gewählter Betriebsrat ist für den Abschluss eines Interessenausgleichs anlässlich dieser Maßnahme im Sinne von § 98 Abs. 1 ArbGG offensichtlich unzuständig. Hinsichtlich eines Sozialplans kann nach dem derzeitigen Stand der Diskussion in Rechtsprechung und Literatur ein Einigungsstellenbestellungsantrag dagegen nicht wegen offensichtlicher Unzuständigkeit der Einigungsstelle zurückgewiesen werden.[63]
41
Führt die Betriebsänderung selbst zur Auflösung des Betriebsrats, etwa bei einer Betriebsaufspaltung oder Betriebsschließung, so werden dadurch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nicht tangiert. Trotz der an sich gegebenen Beendigung der Amtszeit bleibt ein Restmandat (vgl. dazu ausführlich Rn. 357 ff.).[64]
e) Tendenzbetriebe
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Auf Tendenzbetriebe nach § 118 BetrVG, d.h. Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend politischen, koalitionspolitischen, konfessionellen, karitativen, erzieherischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Bestimmungen oder Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung dienen, wie z.B. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage[65], finden die §§ 111 bis 113 BetrVG nur insoweit Anwendung, als sie den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile für die Arbeitnehmer infolge von Betriebsänderungen regeln (§ 118 Abs. 1 Satz 2 BetrVG).[66] Das bedeutet, dass in diesen Betrieben kein Interessenausgleich abgeschlossen werden muss. Allerdings wird die Unterrichtung über die geplante Betriebsänderung hierdurch nicht entbehrlich. Das gilt auch für das Konsultationsverfahren nach § 17 Abs. 2 und 3 KSchG (vgl. dazu ausführlich Rn. 305 ff.).
2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG › 2. Tatbestände des § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG
2. Tatbestände des § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG
43
Die Aufzählung in Satz 3 des § 111 BetrVG ist nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht abschließend.[67] Hierfür spricht der Wortlaut von Satz 3, wonach die dort genannten Maßnahmen nicht als solche gekennzeichnet sind, die „insbesondere“ unter Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG fallen.[68] Aufgrund des recht weiten Anwendungsbereichs des Katalogs in § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG dürfte der Streit aber in der Tat eher theoretischer Natur sein.[69]
44
Der Betriebsbegriff i.S.d. § 111 BetrVG ist der allgemeine Betriebsbegriff des BetrVG, wie er durch die Regelungen in §§ 1, 4 BetrVG konkretisiert wird.
45
Betrieb i.S.d. BetrVG ist nach der ständigen Rechtsprechung des BAG eine organisatorische Einheit, innerhalb derer der Arbeitgeber zusammen mit den von ihm beschäftigten Arbeitnehmern bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt. Dazu müssen die in der Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt und die menschliche Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden.[70] Ein Betriebsteil ist zwar auf den Zweck des Hauptbetriebs ausgerichtet und in dessen Organisation eingegliedert, ihm gegenüber aber organisatorisch abgrenzbar und relativ verselbstständigt. Für die Abgrenzung von Betrieb und Betriebsteil ist der Grad der Verselbstständigung entscheidend, der im Umfang der Leitungsmacht zum Ausdruck kommt. Erstreckt sich die in der organisatorischen Einheit ausgeübte Leitungsmacht auf alle wesentlichen Funktionen des Arbeitgebers in personellen und sozialen Angelegenheiten, handelt es sich um einen eigenständigen Betrieb i.S.v. § 1 BetrVG.[71]
46
Daher gilt auch ein betriebsratsfähiger Betriebsteil i.S.d. § 4 BetrVG als selbstständiger Betrieb i.S.d. § 111 BetrVG, bei dessen Schließung unabhängig von den Zahlen des § 17 KSchG eine „Betriebsstilllegung“ anzunehmen ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Betriebsbegriff bei Betriebsratswahlen verkannt wurde, aber eine fehlerhaft erfolgte Wahl des Betriebsrats nicht angefochten wurde.[72]
a) Betriebsstilllegung
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Unter einer Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber die wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiterzuverfolgen.[73]
48
Die Weiterbeschäftigung einiger weniger Arbeitnehmer mit Aufräum- oder Abwicklungsarbeiten steht der Annahme einer Stilllegung nicht entgegen.[74] Das gilt auch dann, wenn wegen technischer Besonderheiten, z.B. aufgrund komplizierter Abbauarbeiten, eine größere Zahl von Mitarbeitern erforderlich ist.[75] Hierdurch wird der Stilllegungsentschluss nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil: gerade in dem Abbau der Anlagen und Erledigung der Restarbeiten, die an Stelle der früheren Betriebstätigkeit getreten sind, findet die Auflösung der Produktions- und Betriebsgemeinschaft ihren Ausdruck.
49
Eine Betriebsstilllegung liegt ferner auch dann vor, wenn die Auflösung der Betriebs- und Produktionsgemeinschaft unter Aufgabe des Betriebszwecks zwar nicht von unbestimmter Dauer ist, sondern für eine im Voraus festgelegte, aber relativ lange Zeit erfolgt.[76] Entscheidend ist, ob die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft ihre Veranlassung und zugleich ihren sichtbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Weiterverfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Bauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne aufzugeben.[77] Dem steht die kurzfristige Weiterbeschäftigung einiger weniger Arbeitnehmer mit Abwicklungs- oder Aufräumungsarbeiten nicht entgegen.[78]
50
Andererseits spricht nach der Rechtsprechung des BAG bei „alsbaldiger Wiedereröffnung“ des Betriebes eine tatsächliche Vermutung gegen eine ernsthafte Stilllegungsabsicht.[79] Ob eine – ggf. nur vorübergehende – Betriebsstillegung oder eine unerhebliche Betriebsunterbrechung vorliegt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen.
51
Beispiel:
Nach der Rechtsprechung können etwa Zeiträume von zehn Monaten[80] bzw. neun Monaten[81] je nach Lage des Einzelfalles als erheblich erachtet werden.
52
Bei einer von vornherein zeitlich begrenzten Arbeitsaufgabe (z.B. aufgrund von Umbauarbeiten, Saisonbetriebe) liegt ebenfalls keine Betriebsänderung vor.[82] Hierdurch wird die betriebliche Organisation und Produktionsgemeinschaft in ihrem Fortbestand nicht berührt.
53
Die Veräußerung des Betriebs allein ist keine Betriebsstillegung, weil die Identität des Betriebes gewahrt bleibt und lediglich ein Betriebsinhaberwechsel stattfindet. Führt der Erwerber den Betrieb nicht fort, wozu er auch nicht verpflichtet ist, so liegt erst in diesem Entschluss und nicht schon in der Betriebsveräußerung die Stilllegung. Eine Betriebsstilllegung und ein Betriebsübergang nach § 613a BGB schließen sich gegenseitig aus (vgl. dazu auch Rn. 104).[83]
b) Stilllegung wesentlicher Betriebsteile
54
Die Stilllegung oder Einschränkung eines Betriebsteils ist dann eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, wenn ein wesentlicher Betriebsteil betroffen ist. Unter Betriebsteil ist keine Betriebsabteilung i.S.d. § 4 BetrVG, § 15 Abs. 5 KSchG zu verstehen, so dass kein eigenständiger oder abgeschlossener Bereich betroffen sein muss. Als erforderlich, aber auch ausreichend wird vielmehr eine räumlich oder organisatorisch abgrenzbare Einheit in der Betriebsorganisation angesehen.[84]
55
Diese muss für den ganzen Betrieb „wesentlich“ sein, wobei ebenso wie für den Begriff „erhebliche Teile der Belegschaft“ (s. Rn. 28) auch für den Begriff „wesentlicher Betriebsteil“ grundsätzlich auf die Zahlenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG abzustellen ist.[85] Ein Betriebsteil ist danach grundsätzlich nur dann ein wesentlicher i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, wenn in ihm auch eine erhebliche Zahl (i.S. v. § 17 Abs. 1 KSchG) der Arbeitnehmer des Betriebes beschäftigt wird.[86] Bei größeren Betrieben wird zudem verlangt, dass in dem betreffenden Betriebsteil mindestens 5 % der Belegschaft beschäftigt sind.[87] Auch hier werden die Zahlenwerte des § 17 KSchG aber als Richtwerte und nicht als absolute Zahlengrenzen verstanden, so dass bei geringfügigen Abweichungen eine Gesamtbetrachtung erforderlich ist, die auch die wirtschaftliche Bedeutung für den Gesamtbetrieb berücksichtigt.[88]
56
Ob ein Betriebsteil unabhängig von dem Überschreiten der Schwellenwerte unter Berücksichtigung anderer Umstände, insbesondere seiner Bedeutung für den Gesamtbetrieb in der Gesamtschau als wesentlicher Betriebsteil angesehen werden kann und damit die wirtschaftliche oder sonstige Bedeutung eines Betriebsteils mit in die Prüfung einbezogen werden kann (qualitative Betrachtung), hat das BAG bisher offen gelassen.[89]
57
Abgelehnt hat das BAG in den bisher entschiedenen Fällen jedoch die Möglichkeit, einen Betriebsteil ausschließlich auf andere Umstände zu stützen.[90] Danach ist ein Betriebsteil insbesondere nicht allein deswegen ein wesentlicher Betriebsteil, weil in ihm ein notwendiges Vorprodukt gefertigt wird.[91] Unabhängig von seiner Größe ist nach Ansicht des BAG zudem auch die Auflösung einer betriebseigenen Reinigungsabteilung einer Druckerei und die Übertragung der Reinigungsarbeiten auf eine Fremdfirma keine Stilllegung eines wesentlichen Betriebsteiles, wenn in der Reinigungsabteilung nicht ein erheblicher Teil der Belegschaft beschäftigt wird.[92] Es bleibt jedoch stets zu prüfen, ob nicht eine andere Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG vorliegt.
58
Abzugrenzen ist die Betriebsstillegung auch zum Fall einer Verlegung des Betriebs. Bleibt die Belegschaft erhalten, d.h. wird der wesentliche Teil der bisherigen Belegschaft am neuen Standort weiterbeschäftigt, handelt es sich um eine bloße Verlegung.[93] Etwas anderes gilt allerdings dann, wenn eine nicht unerhebliche räumliche Verlegung des Betriebes vorgenommen, die alte Betriebsgemeinschaft tatsächlich und rechtsbeständig aufgelöst und der Betrieb an dem neuen Ort mit einer im wesentlichen neuen Belegschaft fortgeführt wird, die dort neu eingestellt wird. Dann kann es sich um eine Stilllegung und anschließende Neuerrichtung handeln.[94] Die Abgrenzung ist von Bedeutung für die Beendigung des Betriebsratsamtes und den Kündigungsschutz der Betriebsräte.
c) Einschränkung des Betriebs oder eines wesentlichen Betriebsteils
59
Eine Einschränkung des Betriebs liegt vor, wenn der Betriebszweck zwar weiterverfolgt wird, dies jedoch unter einer nicht nur vorübergehenden Herabsetzung der Betriebsleistung geschieht. Nach der Rechtsprechung des BAG kann dies sowohl durch eine Verringerung der sächlichen Betriebsmittel als auch durch eine Einschränkung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und damit der personellen Leistungsfähigkeit des Betriebes bedingt sein.[95] Hierunter kann die Stilllegung von größeren Maschinen oder die Verringerung der Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer fallen.[96] Eine nur vorübergehende geringere Auslastung der Betriebsanlagen ohne nennenswerte Verminderung des Personals genügt jedoch nicht,[97] ebenso wenig genügt eine betriebstypische Schwankung (Winterpause, Sommerloch).[98]
d) Betriebseinschränkung durch bloßen Personalabbau
60
Eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG kann auch in einem bloßen Personalabbau liegen. Dies zeigt die Regelung in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Voraussetzung für die Annahme einer Einschränkung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG ist, dass der Personalabbau eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfasst. Maßgebend sind dafür die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG; in größeren Betrieben mit mehr als 600 Arbeitnehmern müssen allerdings mindestens 5 % der Belegschaft betroffen sein.[99] In Kleinbetrieben mit bis zu 20 Arbeitnehmern müssen für eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG durch alleinigen Personalabbau nach der Rechtsprechung des BAG mindestens sechs Arbeitnehmer betroffen sein.[100]
61
Damit sind bei der Beantwortung der Frage, ob ein bloßer Personalabbau zugleich eine Betriebseinschränkung darstellt, als Orientierungsgrößen folgende Schwellenwerte zu berücksichtigen:
Betriebsgröße Umfang des Personalabbaus 21 bis 59 Arbeitnehmer mindestens 6 Arbeitnehmer 60 bis 499 Arbeitnehmer 10 % der Belegschaft oder mehr als 25 Arbeitnehmer 500 bis 599 Arbeitnehmer mindestens 30 Arbeitnehmer mehr als 600 Arbeitnehmer mindestens 5 % er Belegschaft62
Werden die vorstehenden genannten Zahlengrenzen erreicht, oder nur geringfügig unterschritten,[101] kann auch der bloße Personalabbau als Einschränkung des ganzen Betriebes oder von wesentlichen Betriebsteilen einzustufen sein. Die in § 112a Abs. 1 Satz 1 BetrVG genannten höheren Zahlengrenzen sind für das Vorliegen einer Betriebsänderung nicht relevant. Die Regelung des § 112a BetrVG ist nur maßgeblich für die Frage, ob beim bloßen Personalabbau ein Sozialplan über die Einigungsstelle erzwungen werden kann.[102]
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Dies gilt auch dann, wenn für den Abschluss des Interessenausgleichs gem. § 50 Abs. 1 BetrVG der Gesamtbetriebsrat zuständig ist.[103]Ob Änderungskündigungen bei der Ermittlung des Umfangs des Personalabbaus zu mitzuzählen sind, ist umstritten.[104] Zum Teil wird danach differenziert, ob die Änderungskündigung zumindest unter Vorbehalt angenommen wurde (dann zählt der betreffende Arbeitnehmer nicht mit) oder das Änderungsangebot abgelehnt wird, so dass die Änderungskündigung zur Beendigungskündigung wird (dann ist die Änderungskündigung mitzuzählen).[105] Die höhere Planungssicherheit spricht indes dafür, jede Änderungskündigung zu berücksichtigen. Für die Praxis wird man zudem nicht unberücksichtigt lassen können, dass das BAG den Streit im Rahmen des § 17 Abs. 1 KSchG am 20.2.2014 entschieden hat und Änderungskündigungen danach unabhängig davon zu den anzeigepflichtigen „Entlassungen“ gehören, ob sie unter Vorbehalt angenommen werden.[106] Durch die Annahmeerklärung fällt – so das BAG – weder die Anzeigepflicht rückwirkend weg, noch wird eine erfolgte Anzeige gegenstandslos. Geht man davon aus, dass Kündigungen den Zeitpunkt der Umsetzung einer Betriebsänderung markieren und – schon zur Vermeidung von Nachteilsausgleichsansprüchen – vorher zu klären ist, ob eine Betriebsänderung vorliegt, wird man entsprechendes in der Praxis auch für die Bestimmung der Schwellenwerte im Rahmen des § 111 BetrVG anzunehmen haben.