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135
Beispiele:
Der Gesamtbetriebsrat ist demzufolge z.B. in den folgenden Fällen der zuständige Verhandlungspartner:
– Einführung eines unternehmenseinheitlichen EDV-Systems[246], sofern darin eine Betriebsänderung gem. § 111 Satz 3 Nr. 4 oder 5 BetrVG zu sehen ist, – betriebsübergreifende Entlassung aller Außendienstmitarbeiter mit dem Ziel, deren Aufgaben nun (freien) Handelsvertretern zuzuweisen[247] oder aller Arbeitnehmer nach Maßgabe eines einheitlichen Kriteriums (z.B. einer Altersgrenze)[248], – Stilllegung[249], Zusammenschluss[250] oder Spaltung[251] mehrerer oder aller Betriebe eines Unternehmens. Das gilt auch, wenn bei Beginn der Verhandlungen noch nicht feststeht, welche konkreten Betriebe betroffen sein werden.[252]Der Konzernbetriebsrat ist demgegenüber u.a. in den folgenden Situationen für die Verhandlungen zuständig:
– Stilllegung von Konzernbetrieben oder -unternehmen mit anschließender Übernahme der vormaligen Belegschaft durch andere Konzernunternehmen, – ggf. auch die Einführung eines konzernweit einheitlichen EDV-Systems, – Zusammenschluss mehrerer Konzernunternehmen zu einem einheitlichen Betrieb.[253]136
Erfassen die im Interessenausgleich vereinbarten Betriebsänderungen mehrere oder sogar sämtliche Betriebe des Unternehmens und ist die Durchführung des Interessenausgleichs abhängig von betriebsübergreifend einheitlichen Kompensationsregelungen in dem noch abzuschließenden Sozialplan, so kann diese Aufgabe von den Betriebsräten der einzelnen Betriebe nicht mehr wahrgenommen werden; sie ist dem Gesamtbetriebsrat zugewiesen.[254]
137
Der Interessenausgleich mit Namensliste ersetzt die abschließende Stellungnahme des Betriebsrats unabhängig davon, ob dieser mit dem Betriebsrat oder dem Gesamtbetriebsrat zustande gekommen ist.[255]
138
Verhandlungen mit dem „falschen“ Betriebsrat genügen grundsätzlich nicht, um der Sanktion des § 113 Abs. 3 BetrVG zu entgehen und die Beratungspflicht zu erfüllen. Auf ein Verschulden des Unternehmers kommt es dabei nicht an. Entscheidend ist allein das objektiv betriebsverfassungswidrige Verhalten.[256]
d) Hinzuziehung eines Beraters
139
Nach § 111 Satz 2 BetrVG kann der Betriebsrat in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern einen Berater zu seiner Unterstützung hinzuziehen, um den Interessenausgleich zu beraten. Maßgeblich ist die Anzahl der regelmäßig Beschäftigten; das Fehlen des Zusatzes „in der Regel“ resultiert offenbar aus einem Redaktionsversehen und ist daher unbeachtlich.[257]
140
Da es auf die Anzahl der im Unternehmen (nicht: Betrieb) beschäftigten Arbeitnehmer ankommt, können auch kleinere Betriebe einen Berater hinzuziehen, sofern im Unternehmen der Schwellenwert überschritten wird. Noch nicht abschließend geklärt ist, was in gemeinsamen Betrieben mehrerer Unternehmen gelten soll, die nur zusammen den Schwellenwert überschreiten. Die wohl überwiegende Ansicht in der Literatur bejaht eine entsprechende Anwendung im gemeinsamen Betrieb.[258] Die betroffenen Unternehmen können die entstehenden Kosten aber untereinander aufteilen.[259]
141
Ob es im Einzelfall eines Nachweises der Erforderlichkeit bedarf, wird uneinheitlich beantwortet. Gegen das Erfordernis eines solchen Nachweises spricht der Wortlaut der Regelung, der anders als § 80 Abs. 3 BetrVG keinen entsprechenden Vorbehalt („soweit….“) enthält. Davon, dass der Gesetzgeber die Erforderlichkeit generell unterstellt hat, wird man jedoch nicht ausgehen können. Mit Blick auf Sinn und Zweck der Regelung sprechen daher die besseren Gründe dafür, dass der Betriebsrat stets zu prüfen hat, ob die Hinzuziehung des Beraters auch unter Berücksichtigung der dem Arbeitgeber hierdurch entstehenden Kosten erforderlich ist und keine unverhältnismäßigen Kosten verursacht.[260] Nach dem Urteil des BGH vom 25.10.2012[261] ist davon auszugehen, dass der Betriebsratsvorsitzende dem beauftragten Berater nach den Regeln des Vertreters ohne Vertretungsmacht (§ 179 Abs. 1 und Abs. 2 BGB) haftet, wenn der Betriebsrat die Beauftragung nicht für erforderlich halten durfte.
142
Überschreitet die im Vertrag mit dem Berater vereinbarte Vergütungshöhe schon im Ansatz die Vorgaben des RVG (bei Rechtsanwälten) bzw. den marktüblichen Tarif und ist sie daher von vornherein im Rahmen des § 40 Abs. 1 BetrVG nicht voll erstattungsfähig[262], haftet danach für den Differenzbetrag – vorbehaltlich der Bestimmungen in § 179 Abs. 2 und 3 BGB – dasjenige Betriebsratsmitglied, welches den Vertrag im Namen des Betriebsrats geschlossen hat. Soweit die Erforderlichkeitsgrenze nicht bereits durch den Vertragsschluss als solchen, sondern im Zuge der Vertragsausführung durch einen das erforderliche Maß übersteigenden Beratungs- und Zeitaufwand des Beraters überschritten wird, hat für den Mehraufwand derjenige entsprechend § 179 BGB einzustehen, der die konkrete Leistung beim Berater abgerufen hat.[263]
143
Aufgrund der in § 179 Abs. 1 BGB enthaltenen Beweislastregel, wonach der als falsus procurator in Anspruch Genommene das Bestehen der Vertretungsmacht zu beweisen hat, muss im Streitfall das als rechtsgeschäftlich Handelnder in Anspruch genommene Betriebsratsmitglied beweisen, dass die Hinzuziehung des Beraters betriebsverfassungsrechtlich zulässig sowie nach Umfang und Vergütungshöhe erforderlich war, das heißt innerhalb der Grenzen des § 40 Abs. 1 BetrVG liegt.[264]
144
Mehrere Berater können nur ausnahmsweise dann hinzugezogen werden, wenn dies – etwa aufgrund des Fachwissens in verschiedenen (technischen, betriebswirtschaftlichen, arbeitswissenschaftlichen) Bereichen erforderlich ist.[265] Zudem muss der Betriebsrat stets prüfen, ob nicht ebenso geeignete, kostengünstigere Erkenntnismöglichkeiten zur Verfügung stehen.[266] Die zu § 80 Abs. 3 BetrVG entwickelten Grundsätze finden insoweit entsprechende Anwendung. Die nach § 40 BetrVG vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten der Hinzuziehung müssen in Bezug auf die Bedeutung der Angelegenheit und der Finanzlage des Betriebes, insbesondere in der Insolvenz, verhältnismäßig sein.[267]
145
Auf Wunsch des Betriebsrats kann der Berater (z.B. Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer) bei den Verhandlungen anwesend sein und beratend tätig werden. Bei den Verhandlungen über den Sozialplan gilt hingegen nur § 80 Abs. 3 BetrVG.[268]
aa) Gegenstand, Inhalt und Form des Interessenausgleichs
146
Der Interessenausgleich soll das Ob, Wann und Wie der geplanten Betriebsänderung regeln.[269] Ungeachtet des Umstands, dass Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen in der Praxis regelmäßig miteinander verbunden und parallel geführt werden, enthält der Interessenausgleich daher nur die Beschreibung der Maßnahmen und Folgen einschließlich der Termine für die Änderungs- bzw. Beendigungskündigungen und Freistellungen etwaige Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen sowie in besonderen Fällen auch Auswahlrichtlinien für die erforderlichen Kündigungen.
147
Die Vereinbarung einer Namensliste, d.h. eine Nennung der zur Entlassung vorgesehenen Arbeitnehmer ist insbesondere in Fällen der Insolvenz üblich (§ 125 InsO; vgl. dazu Kap. 6 Rn. 478), kommt aber auch losgelöst davon in Betracht (§ 1 Abs. 5 KSchG) und ist aufgrund der damit einher gehenden Vermutungswirkungen ein attraktives Gestaltungsmittel, um die Betriebsänderung und etwaige daran anschließende Kündigungsschutzverfahren zu beschleunigen (zu den Voraussetzungen und Folgen ausführlich Kap. 6 Rn. 478.
148
Der konkrete Inhalt ist von den geplanten Maßnahmen und dem Ergebnis der Verhandlungen abhängig. Der Ausgleich oder die Abmilderung etwaiger Nachteile ist grundsätzlich allein dem Sozialplan vorbehalten.
149
Diese Unterscheidung ist auch deswegen wichtig, weil eine Einigungsstelle dem Arbeitgeber nicht vorschreiben kann, wie er eine Betriebsänderung durchzuführen hat (vgl. dazu Rn. 254 ff.). Der Arbeitgeber muss auch nicht warten, bis ein Sozialplan abgeschlossen wurde oder die Einigung durch einen Spruch der Einigungsstelle ersetzt wurde. Er kann vielmehr mit der Umsetzung beginnen, wenn der „Versuch“ des Interessenausgleichs gescheitert ist. Um Nachteilsausgleichsansprüche zu vermeiden, wird er in der Praxis zwar regelmäßig das Scheitern in der Einigungsstelle abwarten (vgl. dazu Rn. 273), zwingend ist dies jedoch nicht. Die Wirksamkeit der Umsetzung, z.B. der Kündigungen, wird hierdurch nicht beeinträchtigt.
150
Typischerweise werden in der Praxis auch Klauseln in den Interessenausgleich mit aufgenommen, die festhalten, dass der Betriebsrat zugleich eine Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 KSchG abgegeben hat und die Anhörungen nach § 102 BetrVG ordnungsgemäß durchgeführt wurden.
151
Soweit entsprechend verfahren wird, ist entscheidend, dass die erforderlichen Verfahren tatsächlich durchgeführt werden und die Übergabe der erforderlichen Informationen auch dokumentiert wird. So hat das BAG etwa in der Entscheidung vom 26.2.2015 festgehalten, dass eine Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 Satz 2 KSchG nur vorliegt, wenn sich der Erklärung entnehmen lässt, dass der Betriebsrat seine Beteiligungsrechte als gewahrt ansieht und er eine abschließende Meinung zu den vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigungen geäußert hat. Soweit die dem Arbeitgeber obliegenden Pflichten aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG mit denen nach § 111 Satz 1 BetrVG übereinstimmen, kann er sie danach zwar gleichzeitig erfüllen. Dabei muss der Betriebsrat allerdings klar erkennen können, dass die stattfindenden Beratungen und Unterrichtungen (auch) der Erfüllung der Konsultationspflicht des Arbeitgebers aus § 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG dienen sollen. Die – in der Praxis nicht unübliche – gleichzeitige Übergabe sämtlicher Anhörungsbögen muss der Betriebsrat nach Ansicht des BAG jedenfalls dann, wenn hierzu keine (belegbaren) weiteren Erläuterungen erfolgen nur als Einleitung des Verfahrens nach § 102 BetrVG und nicht zugleich auch des Verfahrens nach § 17 Abs. 2 KSchG verstehen.[270]
152
Werden diese Vorgaben nicht beachtet, gefährdet dies die Wirksamkeit der ausgesprochenen Kündigungen, denn die Beifügung der Stellungnahme des Betriebsrats bzw. das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG ist Voraussetzung für die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige.[271] In der Erklärung der Kündigung ohne wirksame Massenentlassungsanzeige liegt danach ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot i.S.v. § 134 BGB.
153
Um etwaige Unklarheiten und anschließende Streitigkeiten zu vermeiden, empfiehlt sich angesichts dessen die Trennung der Verfahren bzw. eine klare Kennzeichnung der an den Betriebsrat übergebenen Informationen. Es sind insbesondere geeignete Maßnahmen (Kennzeichnungen, Hinweise) zu ergreifen, um zu dokumentieren, worüber unterrichtet und beraten wurde (auch § 17 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG) und welche Informationen wann übergeben wurden (insbesondere die Informationen nach § 17 Abs. 2 KSchG). Das gilt auch mit Blick auf das denkbare Vorgehen nach § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG: Der Betriebsrat kann die Umsetzung der Maßnahmen nicht längerfristig durch eine Verweigerung der Stellungnahme verzögern. Verweigert der Betriebsrat eine Stellungnahme oder ist die von ihm abgegebene Erklärung unzureichend, kann der Arbeitgeber (vorsorglich) gemäß § 17 Abs. 3 Satz 3 KSchG verfahren. Er kann – so auch das BAG – zwei Wochen nach vollständiger Unterrichtung des Betriebsrats gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG unter Darlegung des Stands der Beratungen Massenentlassungsanzeige erstatten.[272]
154
Der Interessenausgleich ist schriftlich abzuschließen. Eine mündliche Einigung genügt nicht. Zwar wird in der Literatur zum Teil auch eine elektronische Form für ausreichend gehalten. Das BAG hat in der Entscheidung vom 5.10.2010 jedoch festgehalten, dass die Unterzeichnung eines Einigungsstellenspruchs durch den Vorsitzenden der Einigungsstelle nach dem Rechtsgedanken des § 126 Abs. 3 BGB nicht durch die elektronische Form (§ 126a BGB) und auch nicht durch die Textform (§ 126b BGB) ersetzt werden kann.[273] In der Praxis sollte angesichts dessen stets auf eine schriftliche Ausfertigung bestanden werden.
155
Das Schriftformerfordernis erfasst auch eine etwaige Namensliste (§ 1 Abs. 5 KSchG, § 125 InsO), weshalb sicherzustellen ist, dass diese mit dem Interessenausgleich körperlich fest verbunden ist. Idealerweise sollte ein wechselseitiger Bezug zwischen dem Interessenausgleich und der Namensliste sowie eine Unterzeichnung beider Dokumente sichergestellt werden. So ist der Rechtsprechung des BAG die Schriftform im Falle eines Interessenausgleichs mit Namensliste ohne anfängliche feste körperliche Verbindung von Interessenausgleich und Namensliste nicht gewahrt, wenn zwar der Interessenausgleich auf eine Namensliste verweist, jedoch in der Namensliste eine Rückverweisung auf den Interessenausgleich fehlt.[274]
156
Eine Vereinbarung von Interessenausgleich und Sozialplan in einem Dokument ist denkbar, aus Gründen der größeren Klarheit aber nicht zu empfehlen. Wird hiervon abgewichen oder ist der Interessenausgleich aus anderen Gründen (z.B. Abschluss einer Betriebsvereinbarung für eine bestimmte Gruppe betroffener Mitarbeiter) nicht als solcher bezeichnet, steht dies dem wirksamen Abschluss nicht per se entgegen. Entscheidend ist aber, dass die Betriebspartner Regelungen über die Durchführung der Betriebsänderung getroffen haben. Das BAG hat hierzu in der Entscheidung vom 20.4.1994[275] festgehalten, dass dann, wenn die Betriebsparteien vor der Durchführung einer Betriebsänderung einvernehmlich ohne jeden Vorbehalt den Ausgleich oder die Milderung von wirtschaftlichen Nachteilen regeln, die den Arbeitnehmern infolge einer bestimmten Betriebsänderung entstehen können, darin regelmäßig auch die Einigung darüber zu sehen sein könne, dass eben diese Betriebsänderung auch durchgeführt werden kann. Wer es auf die mit einer solchen Auslegung einhergehenden Unsicherheiten nicht ankommen lassen möchte, ist besser beraten, von Anfang an auf den Abschluss eines – zumindest kurzen – Interessenausgleichs hinzuwirken.
157
Für den Abschluss des Interessenausgleichs zuständig ist in der Regel der Betriebsrat des betroffenen Betriebs. Etwas anderes gilt dann, wenn die Betriebsänderung, etwa ein Zusammenschluss mehrerer Betriebe eines Unternehmens eine unternehmenseinheitliche Regelung erfordert. Es gelten die allgemeinen Regeln der §§ 50, 58 BetrVG (vgl. dazu auch Rn. 132). Der Arbeitgeber hat den richtigen Verhandlungspartner zu ermitteln. Bei unklarer Rechtslage genügt der Arbeitgeber seinen betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten, wenn er in geeigneter Weise versucht, den richtigen Partner für die Verhandlungen um einen Interessenausgleich zu finden. Verbleiben Zweifel darüber, welcher Betriebsrat bzw. Gesamtbetriebsrat zuständig ist, muss der Arbeitgeber die in Betracht kommenden Arbeitnehmervertretungen daher grundsätzlich zur Klärung der Zuständigkeitsfrage auffordern. Weist er ohne Weiteres einen der möglichen Verhandlungspartner zurück, so trägt er das Risiko, dass sein Verhandlungsversuch als unzureichend gewertet wird, wenn dieser zuständig gewesen wäre.[276]
158
Einigen sich die Arbeitnehmervertretungen, wer zuständig sein soll, ist durch Verhandlung mit diesen Gremien regelmäßig der Interessenausgleich „versucht“.[277] Das BAG differenziert insoweit allerdings: Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats, ist dieser danach in der Regel schon deshalb der richtige Verhandlungspartner, weil dann zumindest eine Beauftragung des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 BetrVG anzunehmen ist. Einigen sich Gesamtbetriebsrat und Einzelbetriebsräte auf die Zuständigkeit eines oder mehrerer Einzelbetriebsräte, ist diese Einigung allerdings rechtlich nicht bindend, falls in Wahrheit die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats gegeben wäre; das BAG verweist insoweit darauf, dass das Gesetz eine entsprechende Delegation nicht vor sieht. Verhandelt der Arbeitgeber dennoch mit derjenigen Arbeitnehmervertretung, die ihm gegenüber von den in Betracht kommenden betriebsverfassungsrechtlichen Organen übereinstimmend als zuständig bezeichnet wurde, liegt hierin aber auch aus Sicht des BAG regelmäßig ein dem Sanktionszweck des § 113 Abs. 3 BetrVG genügender Versuch eines Interessenausgleichs. Das Gleiche gilt, wenn sich die Arbeitnehmervertretungen nicht einigen und der Arbeitgeber daraufhin eine Entscheidung trifft, die unter Berücksichtigung der Entscheidungssituation nachvollziehbar erscheint.[278]
159
Das BAG hält dabei je nach Lage des Einzelfalles verschiedene Zuständigkeiten für Interessenausgleich und Sozialplan für möglich:[279] Aus der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrates für den Abschluss eines Interessenausgleichs folgt hiernach nicht per se eine Zuständigkeit auch für den Abschluss eines Sozialplans. Vielmehr ist jeweils gesondert zu prüfen, ob (auch) der Ausgleich oder die Milderung der durch die Betriebsänderung entstehenden Nachteile zwingend unternehmenseinheitlich oder betriebsübergreifend geregelt werden muss.[280]
bb) Die Einigungsstelle
160
Die Einigungsstelle kann die Einigung der Betriebsparteien anders als beim Sozialplan nicht ersetzen. Scheitert der erforderliche „Versuch“ des Interessenausgleichs kann der Betriebsrat dementsprechend auch keine Einigung erzwingen.
161
Um Nachteilsausgleichsansprüche und eine Unterlassungsverfügung zu vermeiden, hat der Arbeitgeber den Abschluss eines Interessenausgleichs aber zumindest zu „versuchen“ (§§ 112 Abs. 3 Satz 2, 113 Abs. 3 BetrVG). Hierfür ist nach der Rechtsprechung des BAG die Anrufung der Einigungsstelle erforderlich.[281] Auf die Durchführung dieses Verfahrens kann nicht bereits dann verzichtet werden, wenn der Vorsitzende des Betriebsrats dem Arbeitgeber formlos mitteilt, dass der Betriebsänderung zugestimmt werde oder dass ein Interessenausgleich überflüssig sei.[282]
162
Die Anrufung der Einigungsstelle setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat (oder umgekehrt) auffordert, sich an der Einigungsstelle beteiligen. Dabei hat er den Gegenstand der Einigungsstelle (Interessenausgleich und/oder Sozialplan) mitzuteilen und die Zahl der Beisitzer vorzuschlagen. Wurde die Einigungsstelle für beide Verfahren eingesetzt, kann sie gleichzeitig zu Interessenausgleich und Sozialplan verhandeln. Dies ist in der Praxis der übliche Weg.
163
Gemäß § 112 Abs. 2 BetrVG kann zuvor jede Seite den Vorstand der Bundesagentur für Arbeit um Vermittlung ersuchen, wenn eine Einigung nicht gelingt. Da die Einschaltung fakultativ ist, hat ihr Unterbleiben keine Rechtsfolgen nach § 113 BetrVG;[283] auch ist die Einbindung keine Voraussetzung für die Durchführung der Einigungsstelle.
164
Die Einigungsstelle hat die Einigung für gescheitert zu erklären, wenn die bestehenden Verhandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Sobald dies erfolgt ist, können die Maßnahmen umgesetzt werden. Die unternehmerische Entscheidungsbefugnis über das „Ob“ und das „Wie“ verbleibt damit beim Arbeitgeber. Nicht abschließend geklärt ist bislang allerdings, ob auch der Arbeitgeber die Verhandlungen für gescheitert erklären kann. Nach zutreffender Ansicht kann es nicht allein ins Ermessen des Einigungsstellenvorsitzenden gestellt sein, das Scheitern zu erklären. Maßgeblich ist vielmehr eine objektive Bewertung. Als „gescheitert“ ist der Versuch danach dann zu bewerten, wenn den Parteien hinreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde und alle Argumente diskutiert wurden. Aufgrund der Bindungswirkung der Gremienentscheidung, die das Einigungsstellenverfahren (anders als die Parteierklärung) zwingend beendet, ist in der Praxis aber regelmäßig eine Entscheidung durch die Einigungsstelle herbeizuführen bzw. abzuwarten. Andernfalls bleibt nur, das Verfahren für gescheitert zu erklären und (ggf. nach Beginn der Betriebsänderung) die Frage des Scheiterns Vorfrage in einem Rechtsstreit geklärt zu klären.[284]
aa) Gegenstand, Erzwingbarkeit, Form
165
Gegenstand des Sozialplans ist gemäß § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG die Einigung über den Ausgleich oder die Milderung der wirtschaftlichen Nachteile, die den Arbeitnehmern infolge einer Betriebsänderung entstehen. In der Praxis werden die Verhandlungen über den Sozialplan regelmäßig mit den Verhandlungen über den Interessenausgleich verknüpft, soweit ein solcher nicht ausnahmsweise (wie in Tendenzbetrieben nach § 118 BetrVG) entbehrlich ist. Abweichungen im Verfahrensverlauf ergeben sich bereits daraus, dass der Sozialplan anders als der Interessenausgleich nicht nur „versucht“, sondern tatsächlich abgeschlossen werden muss.
166
Diese Verbindung macht regelmäßig Sinn, da nur dann näher über die abzumildernden Nachteile verhandelt werden kann, wenn die Einzelheiten der durchzuführenden Maßnahmen konkretisiert werden. Auch macht der Betriebsrat den Abschluss des Interessenausgleichs regelmäßig von dem Abschluss des Sozialplans abhängig. Zwingend ist dies jedoch nicht. Auf diese Weise kann der Betriebsrat die Durchführung zwar verzögern, aber nicht verhindern. Hier gilt in der Praxis letztlich: je eher die Einigungsstelle angerufen wird, desto schneller kann die Umsetzung erfolgen.
167
Abgesehen von den Fällen des § 112a BetrVG (vgl. dazu Rn. 170) ist ein Sozialplan bei jeder Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG abzuschließen und seine Aufstellung über eine Einigungsstelle erzwingbar. Die Erzwingbarkeit betrifft allerdings nur Regelungen über den Ausgleich oder die Abmilderung der durch die konkrete Betriebsänderung entstehenden Nachteile. Die Einigungsstelle ist nicht zuständig für darüber hinausgehende Maßnahmen wie etwa die Aufstellung von Rahmensozialplänen. Entsprechende Rahmenvereinbarungen können freiwillig vereinbart werden, sind aber dem Spruch der Einigungsstelle entzogen.[285]
168
Die Sozialplanpflicht besteht auch dann, wenn der Arbeitgeber einen Interessenausgleich nicht versucht hat oder der Versuch gescheitert ist. Unabhängig von etwaigen Nachteilsausgleichsansprüchen (§ 113 BetrVG) ist der Arbeitgeber damit grundsätzlich auch nach Durchführung der Betriebsänderung, etwa durch Ausspruch der Kündigungen nach Scheitern der Verhandlungen oder in Fällen des § 118 BetrVG (Tendenzschutz), zum Abschluss eines Sozialplans verpflichtet, so dass die Zuständigkeit der Einigungsstelle und damit die Erzwingbarkeit nicht allein deshalb entfällt, weil die Maßnahme umgesetzt wurde.[286]