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Bei der praktischen Umsetzung von Umstrukturierungen spielt die Beteiligung des Betriebsrats aus arbeitsrechtlicher Sicht regelmäßig eine zentrale Rolle. Das gilt sowohl mit Blick auf die strategische Ausgestaltung der geplanten Maßnahmen als auch mit Blick auf die zeitlichen Verzögerungen, die durch eine Beteiligung des Betriebsrates eintreten können. Allerdings stellt nicht jede Umstrukturierung im Konzern oder Unternehmen eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 BetrVG dar, die Beteiligungsrechte der Betriebsverfassungsorgane auslöst (vgl. dazu Rn. 108). Damit lässt sich ein reiner Wechsel des Rechtsinhabers (Share Deal, Verschmelzung), aber auch ein reiner Betriebsübergang (etwa aufgrund eines Asset Deals oder infolge des Übergangs des nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Personals) entgegen der in der Praxis nicht selten bestehenden Befürchtung der Unternehmen oft ganz ohne oder zumindest ohne langwierige Verhandlungen über Interessenausgleichsvereinbarungen und Sozialpläne durchführen.
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Ob dies so ist und sich die neuen Strukturen damit schnell und mit kleinem Aufwand umsetzen lassen, gilt es rechtzeitig, d.h. in der Analyse- und Planungsphase herauszufinden, um etwaige Alternativen auch unter diesem arbeitsrechtlichen Aspekt sinnvoll miteinander vergleichen zu können. Zudem gilt es in der Praxis, durch eine rechtzeitige Analyse und Vorbereitung die richtigen „Stellhebel“ für eine schnelle und effektive Umsetzung der unternehmerischen Ziele zu identifizieren und die hier bestehenden Gestaltungsmöglichkeiten zu nutzen. Auch etwaige im Unternehmen bzw. Konzern des neuen Arbeitgebers erforderliche Integrationsmaßnahmen müssen rechtzeitig identifiziert werden, um die Integration arbeitsrechtlich so reibungslos wie möglich zu gestalten. Das gilt sowohl bei einem Unternehmenskauf in Form eines Asset Deals als auch bei Anteilkäufen (sog. Share Deals). Hier kommt der rechtzeitigen Vorbereitung etwaiger Integrationsmaßnahmen für die Zeit nach dem Erwerb des Unternehmens in der Praxis (sog. „Post Merger Integration“) des zu erwerbenden Unternehmens (Zielunternehmen) zunehmend eine wichtige praktische Bedeutung zu. Der Prozess der wird im Idealfall bereits im Rahmen des Erwerbsprozesses und der hierbei durchgeführten Due Diligence kritisch reflektiert und berücksichtigt, ob die im Zielunternehmen bestehenden tariflichen und betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen und Vereinbarungen (u.a. in Bezug auf betriebliche Altersversorgung) die erhoffte zeitnahe und kostengünstige Integration in den Konzern des Erwerbers ermöglichen.
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Handelt es sich bei den geplanten Umstrukturierungsmaßnahmen um eine Betriebsänderung i.S.d. §§ 111 ff. BetrVG und besteht ein Betriebsrat, bestehen gegenüber den Organen der Betriebsverfassung (insbesondere Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss) regelmäßig Unterrichtungspflichten, die „rechtzeitig“ zu wahren sind (vgl. § 106 BetrVG), d.h. vor Umsetzung der angedachten Maßnahmen (vgl. Rn. 110). Bei der Planung des Entscheidungs- und Kommunikationsprozesses ist daher regelmäßig Sorge dafür zu tragen, dass die zuständigen Arbeitnehmervertretungen vor einer abschließenden Entscheidung und Umsetzung einzubinden sind (vgl. Rn. 110).
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Umstrukturierungen in Form von Betriebsänderungen führen zugleich zu der Verpflichtung, einen Interessenausgleich zumindest zu versuchen sowie einen Sozialplan abzuschließen (§ 112 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 BetrVG). Während der Interessenausgleich (anders als seine Bezeichnung nahe legt) das Ob, Wann und Wie der geplanten Maßnahmen zum Gegenstand hat, dient der Sozialplan dem Ausgleich und der Abmilderung der mit der Betriebsänderung einhergehenden Nachteile. Kommt über ihn keine Einigung mit dem Betriebsrat zustande, entscheidet die Einigungsstelle mit bindender Wirkung (§ 112 Abs. 4 BetrVG), soweit nicht ein Fall des § 112a BetrVG vorliegt (Privilegierung von reinen Personalabbaumaßnahmen unterhalb einer bestimmten Schwelle bzw. von Betriebsänderungen in neu gegründeten Unternehmen). Gemäß § 112 Abs. 5 BetrVG hat die Einigungsstelle dabei sowohl die sozialen Belange der Arbeitnehmer als auch die wirtschaftliche Vertretbarkeit der Entscheidung für das Unternehmen zu beachten, für beides enthalten die Regelungen in § 112 Abs. 5 Nrn. 1 bis 3 BetrVG Kriterien (vgl. dazu Rn 165 ff.).
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Die Rechtsprechung des BAG verlangt zur Ausschöpfung des Interessenausgleichsverfahrens die Anrufung der Einigungsstelle, um den Nachteilsausgleichsanspruch des § 113 BetrVG vermeiden zu können. Auch ein Abweichen vom Interessenausgleich kann zur Folge haben, dass der betroffene Arbeitnehmer einen individualrechtlichen Nachteilsausgleichsanspruch erhält, wenn für die Abweichung kein zwingender Grund vorliegt (§ 113 Abs. 1 BetrVG).
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Sofern die Schwellenwerte des § 17 KSchG überschritten werden, hat der Arbeitgeber vor dem Ausspruch von Kündigungen den Betriebsrat nach § 17 KSchG zu informieren und mit ihm über die Vermeidung von Entlassungen sowie die Milderung der mit ihnen verbundenen Nachteile zu beraten (Konsultationsverfahren, vgl. dazu Rn. 305). Nach Abschluss der Beratungen, zu der auch die Stellungnahme des Betriebsrates nach § 17 Abs. 3 KSchG gehört, ist die Massenentlassungsanzeige zu erstatten. Vor Erstattung der Massenentlassungsanzeige ausgesprochene Kündigungen sind unwirksam (vgl. dazu Rn. 323).
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Bei sämtlichen Umstrukturierungen im Konzern bzw. Unternehmen ist stets auch zu prüfen, welche Auswirkungen die Maßnahmen für die betriebsverfassungsrechtlichen Strukturen der betroffenen Unternehmen haben. So kann es als Folge der Umstrukturierungen zur Beendigung des Betriebsratsamtes kommen und es können Rest- oder Übergangsmandate ausgelöst werden, die zu einer vorübergehenden Zuständigkeit für andere Betriebe führen können. Hier eröffnen sich zugleich weitere Gestaltungsmöglichkeiten, denn durch arbeitsrechtliche Umstrukturierungen und die damit einhergehenden Strukturveränderungen im Konzern bzw. den betreffenden Unternehmen kann die Zuständigkeit von betriebsverfassungsrechtlichen Organen herbeigeführt, aber auch beendet werden. Entsprechendes gilt für die Bildung von Gesamt- oder Konzernbetriebsräten. Hinsichtlich des bestehenden Betriebsrates ist insoweit das Kriterium der Betriebsidentität maßgeblich. Bleibt diese erhalten, bleibt der bisherige Betriebsrat auch bei einem Betriebsinhaberwechsel im Amt. Entsprechendes gilt bei der Verlagerung von Betrieben; führt die Verlagerung letztlich auch aufgrund der weiten räumlichen Entfernung zu einer Stilllegung und zum Verlust der bisherigen Betriebsidentität, endet das Amt des Betriebsrates (vgl. dazu ausführlich Rn. 349 ff.).
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Besonderheiten gelten auch mit Blick auf durch bzw. aufgrund des § 3 BetrVG geschaffene abweichende Betriebsstrukturen wie einen gemeinsamen Betrieb sowie in Tendenzunternehmen i.S.d. § 118 BetrVG (vgl. dazu ausführlich Rn. 42).
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Gemäß § 130 BetrVG finden die Regelungen des BetrVG einschließlich der §§ 111 ff BetrVG keine Anwendung auf Verwaltungen und Betriebe des Bundes, der Länder und der sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts. Hier gelten die Sonderregelungen des Bundes- bzw. Landespersonalvertretungsrechts (s. hierzu Kap. 5 Rn. 40 ff.).
2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG
II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG
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In Unternehmen mit „in der Regel“ mehr als zwanzig wahlberechtigten Arbeitnehmern hat der Unternehmer den Betriebsrat über geplante Betriebsänderungen, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und die geplanten Betriebsänderungen mit dem Betriebsrat zu beraten (§ 111 Satz 1 BetrVG). Als Betriebsänderungen i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG gelten die Einschränkung und Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (Nr. 1), die Verlegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (Nr. 2), der Zusammenschluss mit anderen Betrieben oder die Spaltung von Betrieben (Nr. 3), grundlegende Änderungen der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen (Nr. 4) sowie die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren (Nr. 5).
2. Kapitel Umstrukturierung durch Betriebsänderungen › II. Betriebsänderungen i.S.d. § 111 BetrVG › 1. Allgemeine Voraussetzungen einer Betriebsänderung
a) Größe des Unternehmens
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Bei der Ermittlung der im Unternehmen regelmäßig Beschäftigten ist auf die normale Beschäftigtenzahl, d.h. diejenige Personalstärke abzustellen, die für das Unternehmen im Allgemeinen kennzeichnend ist.[1] Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes am 28.7.2001[2] ist für die Ermittlung dieses Schwellenwerts nicht die Betriebsgröße entscheidend, sondern die Gesamtzahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer. Damit ist auch in kleineren Betrieben stets zu prüfen, ob die geplanten Maßnahmen Beteiligungsrechte nach §§ 111 ff. BetrVG auslösen, sofern im Unternehmen insgesamt mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt werden.[3] Relativiert wird diese Regelung in der Praxis aber regelmäßig dadurch, dass es hinsichtlich der Folgen der beabsichtigten Maßnahmen und der Anzahl der hiervon betroffenen Arbeitnehmer auf den Betrieb ankommt, so etwa bei der Stilllegung oder Einschränkung von wesentlichen Betriebsteilen i.S.d. § 111 Satz 3 Nr. 2 bzw. Nr. 3 BetrVG (vgl. dazu Rn. 59). Nach der Rechtsprechung des BAG ist zur Ermittlung der regelmäßig Beschäftigten auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Beteiligungsrechte des Betriebsrates entstehen, so dass es auf die jeweilige, auf eine Betriebsänderung abzielende Entscheidung des Unternehmers ankommt.[4] Das ist im Fall der Betriebsstilllegung der Stilllegungsbeschluss.[5] Zur Feststellung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl bedarf es dabei eines Rückblicks auf die bisherige personelle Stärke und auch einer Einschätzung der künftigen Entwicklung,[6] wobei letzteres dahingehend zu verstehen ist, dass es darauf ankommen soll, ob mit einer Beschäftigung einer entsprechenden Anzahl von Arbeitnehmern auch in Zukunft gerechnet werden kann.[7] Etwas anderes gilt im Falle einer Betriebsstilllegung bzw. immer dann, wenn die Maßnahme mit einem Personalabbau verbunden ist. Hier kann nur ein Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke in Frage kommen.[8] Ebenso sind Zeiten außergewöhnlich hohen oder niedrigen Geschäftsanfalls bzw. entsprechende Arbeitnehmerzahlen nicht zu berücksichtigen.[9]
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Geht der Stilllegung eines Betriebes ein Personalabbau voraus, der sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, richtet sich die Zahl der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer danach, wie sich der Personalabbau in der Gesamtschau darstellt. Bildet er rückblickend eine Vorstufe der Betriebsstilllegung, die damit in der Form eines gleitenden Überganges eingeleitet wurde, so bleibt er außer Betracht; maßgebend ist dann die ursprüngliche Beschäftigtenzahl.[10] Die Rechtsprechung des BAG stellt insofern darauf ab, ob der Betriebsstillegung ein „kontinuierlicher Abbau der Belegschaft“ in kurz aufeinander folgenden Schritten „unmittelbar vorangegangen“ ist.[11] In diesem Fall muss dieser Personalabbau aus Sicht des BAG für den Rückblick auf die bisherige Belegschaftsstärke unbeachtlich sein, weil er lediglich als „gleitender Übergang“ von der normalen Arbeitnehmerzahl zur Stilllegung zu betrachten ist.[12] Richtigerweise ist daher auch bei Bestimmung der Unternehmensgröße konkretisierend darauf abzustellen, ob die Maßnahmen sich letztlich als einheitliche Maßnahme darstellen.[13]
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Sollte die Personalverminderung hingegen nach der ursprünglichen Planung eine Fortführung des Betriebs ermöglichen und hat sie für eine nicht unerhebliche Zeit zu einer Absenkung der Anzahl der Arbeitnehmer auf niedrigerem Niveau geführt, so ergibt sich daraus eine neue, den Betrieb kennzeichnende regelmäßige Personalstärke und diese ist in der Folge für die Ermittlung der Zahl der in der Regel Beschäftigten maßgeblich, wenn später dann doch weitere Einschränkungen des Betriebs oder sogar die völlige Schließung erforderlich werden, weil sich die an die Rationalisierung geknüpften Erwartungen nicht erfüllt haben.[14] Als die zur Zeit eines Stilllegungsbeschlusses maßgebliche Zahl der regelmäßig Beschäftigten kann in der Folge beispielsweise auch eine erst zwei Monate vorher erreichte Anzahl von Arbeitnehmern anzusehen sein, wenn diese Reduzierung das Ergebnis einer längerfristigen personalwirtschaftlichen Entscheidung des Arbeitgebers war.[15]
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Werden Arbeitnehmer nicht ständig, sondern lediglich zeitweilig beschäftigt, kommt es für die Frage der regelmäßigen Beschäftigung darauf an, ob sie normalerweise während des größten Teils des Jahres beschäftigt werden, d.h. länger als sechs Monate.[16] Dies gilt auch bei Saisonbetrieben, die jeweils für einige Wochen oder Monate im Jahr einen erhöhten Arbeitskräftebedarf haben. Die für diese Zeit vorübergehend eingestellten Arbeitnehmer zählen nicht zu den in der Regel Beschäftigten. Etwas anderes gilt lediglich für reine Kampagnebetriebe, die überhaupt nur während eines Teils des Jahres arbeiten. In diesem Fall ist die Beschäftigtenzahl während der Kampagne maßgebend.[17] Auf den Umfang der Beschäftigung kommt es hingegen nicht an, sondern auf die Kopfzahl, so dass unerheblich ist, ob die betreffenden Mitarbeiter in Teilzeit oder Vollzeit tätig sind.[18]
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Auch Leiharbeitnehmer können bei der Ermittlung der maßgeblichen Unternehmensgröße in § 111 Satz 1 BetrVG mitzuzählen sein, wenn sie im Zeitpunkt der Betriebsänderung länger als drei Monate im Unternehmen eingesetzt sind.[19] Allerdings müssen sie zugleich zu den „in der Regel“ Beschäftigten gehören,[20] d.h. insgesamt länger als 6 Monate für das Unternehmen tätig sein, um zufällige Ergebnisse zu vermeiden.[21] Nicht zu den regelmäßig Beschäftigten gehören hingegen echte sog. freie Mitarbeiter und Mitarbeiter von Fremdfirmen, ferner die in § 5 Abs. 2 BetrVG genannten Personen wie insbesondere die leitenden Angestellten (§ 5 Abs. 3 BetrVG); diese gelten nicht als Arbeitnehmer i.S.d. BetrVG.[22]
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Betrifft die beabsichtigte Umstrukturierung einen gemeinsamen Betrieb mehrerer Unternehmen, die jeweils nicht mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigen, ist die Bestimmung der Schwellenwerte umstritten. Problematisch ist dabei insbesondere die Situation, dass nur eines der beteiligten Unternehmen die erforderliche Größe hat, die Mitarbeiterzahlen der anderen jedoch unterhalb des Schwellenwertes liegen.
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Für die frühere Regelung des § 111 BetrVG a.F., die insoweit noch auf die Größe des „Betriebs“ abstellte, hat das BAG die Auffassung vertreten, dass für die Bestimmung der regelmäßig Beschäftigten auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen sei.[23] Auch sollte dann, wenn eine Betriebsänderung Kleinbetriebe i.S.d. § 111 Satz 1 BetrVG betraf, die einem größeren Unternehmen angehörten, dann ein Mitbestimmungsrecht gemäß §§ 111 ff. BetrVG a.F. bestehen, wenn sich die wirtschaftliche Maßnahme betriebsübergreifend auf mehrere Betriebe des Unternehmens erstreckte und sie in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fiel.[24]
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Nach der Änderung des Wortlauts des § 111 BetrVG von „Betrieb“ zu „Unternehmen“ durch das Gesetz zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes am 28.7.2001[25] ist für diese Ansicht an sich kein Raum mehr.
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In der Literatur wird daher zum Teil davon ausgegangen, dass es stets ausschließlich auf die jeweilige Unternehmensgröße ankommt.[26] Erreicht kein Unternehmen für sich genommen den Schwellenwert, scheidet danach eine Mitbestimmung nach § 111 BetrVG aus.[27] Darauf, ob der Schwellenwert insgesamt überschritten wird, kommt es dann nicht an. Überschreitet nur ein Unternehmen den Schwellenwert, besteht nur diesem gegenüber das Beteiligungsrecht des Betriebsrats.[28]
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Das LAG Berlin und das LAG Düsseldorf[29] sowie ein Teil der Literatur wollen es für eine Anwendung der §§ 111 ff. BetrVG hingegen genügen lassen, dass der Schwellenwert nur bei einer Zusammenrechnung der Beschäftigtenzahlen der an dem gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen erreicht wird. Zur Begründung verweisen die Befürworter dieser Ansicht u.a. darauf, dass der Gesetzgeber keine Schlechterstellung der Arbeitnehmer gewollt habe.[30]
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Das BAG hat diese Frage bislang offen gelassen. In der Entscheidung vom 12.11.2002[31], in der es um die Reichweite der Haftung aus einem im gemeinsamen Betrieb abgeschlossenen Sozialplans ging, hat das BAG allerdings festgehalten, dass mehrere einen Gemeinschaftsbetrieb führende Unternehmen in Sozialplänen freiwillig die gesamtschuldnerische Haftung für Abfindungsansprüche der in dem Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer vereinbaren „können“. Sie sind hierzu nach Ansicht des Gerichts nicht verpflichtet. Zugleich hat das Gericht ausgeführt, es „liege die Annahme nahe“, dass im Falle einer die gesamte Belegschaft eines Gemeinschaftsbetriebs betreffenden Betriebsänderung jedenfalls über einen Interessenausgleich regelmäßig sinnvoll nur mit der Gemeinschaft der den Betrieb führenden Unternehmen verhandelt werden könne. Es gehe insoweit um das Schicksal des gesamten Betriebs. Es möge – so das BAG – auch manches dafür sprechen, dass sich in einem solchen Fall beim Unterbleiben des Versuchs eines Interessenausgleichs der durch § 113 Abs. 3, Abs. 1 BetrVG zwingend vorgeschriebene Anspruch der betroffenen Arbeitnehmer auf den Nachteilsausgleich nicht nur gegen ihren Vertragsarbeitgeber, sondern gegen alle den Betrieb gemeinschaftlich führenden und daher für den Interessenausgleich verantwortlichen Unternehmen richte. Da dies jedoch nicht entscheidungserheblich war, hatte das Gericht hierüber nicht abschließend zu befinden.
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Die seitens des Gerichts vorgenommene Unterscheidung zwischen der Verpflichtung der am gemeinsamen Betrieb beteiligten Unternehmen, gemeinsam einen Interessenausgleich zu versuchen und der Verpflichtung des Vertragsarbeitgebers, der den Schwellenwert überschreitet, einen Sozialplan abzuschließen, wird von einer starken Ansicht im Schrifttum befürwortet. Dabei wird die Pflicht, einen Interessenausgleich zu versuchen, bereits dann bejaht, wenn der Schwellenwert von „in der Regel“ 20 beschäftigen Arbeitnehmern im gemeinsamen Betrieb überschritten wird.[32] Hierfür spricht, dass im gemeinsamen Betrieb alle Arbeitgeber gemeinsam verpflichtet sind, im Rahmen der einheitlichen Leitung auch die Beteiligungsrechte des Betriebsrats zu wahren.[33]
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In der Praxis dürfte es sich – auch zur Vermeidung etwaiger Nachteilsausgleichsansprüche – bis zu einer abschließenden Entscheidung des BAG empfehlen, diese Ansicht zugrunde zu legen. Dann genügt es für die Pflicht, einen Interessenausgleich zu „versuchen“, wenn die Gesamtzahl der regelmäßig Beschäftigten im gemeinsamen Betrieb insgesamt über 20 liegt.
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In Bezug auf den Abschluss des Sozialplans sprechen allerdings gute Gründe dafür, nach der Anzahl der Arbeitnehmer des jeweils betroffenen Unternehmens zu differenzieren,[34] und zwar insbesondere der gesetzgeberisch verfolgte Zweck, kleinere Unternehmen vor den finanziellen Belastungen des Sozialplans zu schützen.[35] Eine Schlechterstellung der Arbeitnehmer kleinerer Trägerunternehmen kann hierin nicht gesehen werden. Sie werden insoweit nicht anders behandelt als andere Arbeitnehmer, die in Unternehmen mit regelmäßig weniger als 21 Arbeitnehmern beschäftigt sind. Kommt es hier zu Maßnahmen i.S.d. § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 5 BetrVG scheitert ein Mitbestimmungsrecht auch in diesen Fällen an dem Schwellenwert gem. § 111 Satz 1 BetrVG. Auch das BAG hat in der Entscheidung vom 12.11.2002 deutlich gemacht, dass etwaige Sozialplanansprüche sich grundsätzlich nur gegen den vertraglichen Arbeitgeber richten, soweit nicht ausnahmsweise eine gesamtschuldnerische Inanspruchnahme vereinbart ist.[36] Vor diesem Hintergrund sprechen gute Gründe dafür, dass insoweit allein die Beschäftigtenzahl des Vertragsarbeitgebers maßgeblich ist.
b) Wesentliche Nachteile für die Arbeitnehmer
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Das Vorliegen einer beteiligungspflichten Betriebsänderung setzt nach dem Wortlaut des § 111 Satz 1 BetrVG voraus, dass wesentliche Nachteile für die oder zumindest erhebliche Teile der Belegschaft entstehen können.
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Soweit eine Betriebsänderung i.S.d. § 111 Satz 3 BetrVG vorliegt, wird der Eintritt solcher Nachteile indes fingiert, ist also nicht gesondert zu prüfen. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift, wonach Satz 3 nicht den Begriff der „Betriebsänderung“ schlechthin definiert, sondern den der „Betriebsänderung i.S.d. Satzes 1“.[37] Es gilt damit die unwiderlegliche Vermutung, dass die im Katalog des Satzes 3 genannten Fälle wesentliche Nachteile für die Belegschaft mit sich bringen. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates bei einer Betriebsänderung entfallen daher nicht deshalb, weil im Einzelfalle solche wesentlichen Nachteile nicht zu befürchten sind.[38] Ob ausgleichs- oder milderungswürdige Nachteile entstehen oder entstanden sind, ist bei der Aufstellung des Sozialplans zu prüfen und notfalls von der Einigungsstelle nach billigem Ermessen zu entscheiden (vgl. dazu Rn. 165 ff.).
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Der Relativsatz in § 111 Satz 1 BetrVG hat nach der Rechtsprechung des BAG jedoch insoweit eine Bedeutung, als er bei der Auslegung der im Katalog des § 111 Satzes 3 BetrVG enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe wie „wesentliche“ Betriebsteile in den Nrn. 1 und 2 oder „grundlegend“ in den Nrn. 4 und 5 heranzuziehen ist und bei der Prüfung, ob eine Betriebsänderung i.S. dieses Kataloges vorliegt, in Zweifelfällen als „ein Stück Gesetzesbegründung“ das Anliegen des Gesetzgebers deutlich macht.[39]
c) Belegschaft oder erheblicher Teil der Belegschaft
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Gemäß § 111 Satz 1 BetrVG ist weitere Voraussetzung der Mitbestimmung, dass von einer geplanten Betriebsänderung „die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft“ betroffen sind.
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Ob ein erheblicher Teil der Belegschaft betroffen ist, richtet sich nach der Anzahl der von der Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer.[40] Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG sind hierbei die Schwellenwerte des § 17 Abs. 1 KSchG als Richtschnur heranzuziehen, allerdings mit der Maßgabe, dass in größeren Betrieben mindestens 5 % der Gesamtbelegschaft betroffen sein müssen.[41]
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Eine starre Frist für die Berechnung der maßgeblichen Arbeitnehmerzahl nach den Vorgaben des § 17 KSchG existiert nicht. Nach der Rechtsprechung des BAG sollen geringfügige Unterschreitungen der „Richtzahlen“ des § 17 KSchG unbeachtlich sein, wobei eine Unterschreitung von 50 % als jedenfalls nicht mehr geringfügig bewertet wurde.[42]