"Nicht ohne den Mut zum Wagnis ..."

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In der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus geschulte Köpfe wie H. Aufderbeck53 schienen die Strategie der Kommunisten bereits früh zu erahnen.54 Er war den neuen Machthabern gegenüber sehr skeptisch und distanzierte sich von anderenorts praktizierten Versuchen, die eine Mitgliedschaft katholischer Vertreter in den Leitungsorganen staatlicher Organisationen einschloss. Katholiken waren in der Leitungsebene der FDJ im Bereich der Bistümer Meißen und Berlin vertreten. In Meißen wurden die katholischen Jugendlichen anfangs sogar ermuntert, aktiv in der FDJ mitzuarbeiten.55 Im Unterschied zum Kommissariat Magdeburg gab es in diesen beiden Ordinariaten einen hauptamtlichen Vertreter der katholischen Kirche, der zugleich auch Sekretär der FDJ war. Das staatlicherseits propagierte “brüderliche Verhältnis” zwischen Kirche und FDJ, das darauf abzielte, nicht nur Kleriker, sondern auch Jugendliche zur Mitarbeit in den sozialistischen Einheitsorganisationen zu gewinnen, blieb zwar auch in der Folge offizielles Ziel von SED und FDJ.56 Doch die Strategien, mit denen dieses Ziel verfolgt wurde, waren zweischneidig. Einerseits nahmen sie in den folgenden Jahren immer repressivere Formen an. Schon bald wurden die ersten unliebsamen katholischen Jugendführer verhaftet.57 Andererseits wurde noch lange Zeit später nach außen hin demonstriert, dass die von der SED geführte Regierung versuche, „unter den Anhängern aller Religionsgemeinschaften ... eine feste Massenbasis für den Kampf um die Erhaltung und Sicherung des Friedens ... für die aktive Teilnahme an der friedlichen Aufbauarbeit in der Deutschen Demokratischen Republik” zu schaffen.58 Mit den Jahren aber sollten die Skeptiker wie H. Aufderbeck Recht behalten. Grundsätzlich war unter den Bedingungen der „sozialistischen Gesellschaft“ keine gemeinsame Basis für ein konstruktives Miteinander von Kirche und Staat vorhanden. Das galt auch für die Jugendorganisation. Die nicht nur für die SBZ als Auffangbecken aller Strömungen der Jugendarbeit konzipierte „Freie“ Deutsche Jugend war von staatlicher Seite von Anfang an als gelenkte sozialistische Einheitsjugendorganisation konzipiert, mit dem Ziel der Gleichschaltung unter einem Dach. Die Verantwortungsträger der neuen Regierung hatten offensichtlich aus den Erfahrungen mit der Hitlerjugend gelernt, welche systemtragenden Wirkungen eine zentralistische Jugendorganisation haben konnte.
Bereits auf der konstituierenden Tagung der neuen Einheitsorganisation für die Jugend, dem I. Parlament der FDJ, 1946 in Brandenburg, kam es zu einem Vorfall,59 bei dem infolge einer Unachtsamkeit kommunistische Interna zum Umgang mit den katholischen Jugendvertretern eben jenen zu Ohren kamen, weshalb es fast zum Scheitern der Gründungsversammlung der FDJ gekommen wäre.60 Dieser Vorfall zeigte, dass der Einflussbereich der Kirchen in der SBZ bereits sehr begrenzt war und mehr und mehr beschnitten werden sollte. Außerdem legte er die unüberbrückbaren Gegensätze zwischen kommunistischen und kirchlichen Erwartungen an die Jugendarbeit offen.61 Im Bereich der Jugendarbeit scheiterte bereits in Brandenburg der Versuch der FDJ, auch die christliche Jugend zu vertreten. Es war der Anfang vom Ende des „Miteinanders” von katholischer und kommunistischer Jugendarbeit. Die orthodoxen Kommunisten sprachen aus, was sich im Hinterkopf der Strategen der FDJ in ähnlicher Form wiederfand, obwohl die kirchlichen Vertreter durch ihre formale Mitarbeit noch einige Zeit versuchten, zu retten, was noch zu retten war. Es wurde deutlich: Die Entscheidungsträger in der SBZ waren die kommunistischen Vertreter. Die katholischen Vertreter M. Klein und R. Lange konnten in der FDJ-Leitung nicht konstruktiv im Sinne katholischer Interessen wirksam werden. Lediglich eine Schadensbegrenzung blieb in der Folgezeit das Ziel ihrer Bemühungen.
Der Zwischenfall auf dem I. Parlament der FDJ in Brandenburg zeigte weiterhin: Bei dem bisher eingeräumten Spielraum stand über aller „Freiheit” des Handelns politischer Organisationen das Votum der SMAD. Diese war die entscheidende Instanz, die den Rahmen vorgab. Nur durch das Einschreiten der SMAD konnte verhindert werden, dass bereits 1946 die katholische Kirche ihre Mitarbeit in der FDJ beendete. Daneben wurde deutlich, dass die Absicht der kommunistischen Seite, mit der Kirche zusammenzuarbeiten, nur taktischer Natur war. Auch in den Länderverfassungen und danach in der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik wurde diese Strategie der SED den Kirchen deutlich vor Augen geführt. Der Schutz der Glaubens- und Gewissensfreiheit wurde zwar dem Wort nach gewährt, ja sogar in der Verfassung garantiert. Das gleichzeitig ausgesprochene Verbot eines Missbrauches der Kirche oder des Glaubens für politische Zwecke jedoch ließ den staatlichen Organen einen breiten Interpretationsspielraum offen, wie die verschiedenen Formen der Behinderungen kirchlicher Arbeit zeigten.62 Später sollte sowohl von der Kirche als auch vom Staat auf je eigene Art immer wieder auf die in der Verfassung verbrieften Rechte zurückgegriffen werden, um das jeweils eigene Vorgehen abzusichern. Dennoch hätte nicht erst mit der ersten Verfassung der DDR die Hoffnung aufgegeben werden müssen, dass die alten Verhältnisse aus der Zeit vor dem Nationalsozialismus wieder hergestellt werden könnten. Wäre dies geschehen, hätte sich die katholische Kirche vielleicht zu einem früheren Zeitpunkt neuen pastoralen Akzentsetzungen zuwenden können.63 Der offiziell Bruch hinsichtlich der nur scheinbaren Zusammenarbeit in der Frage der Jugendarbeit erfolgte auf dem III. Parlament der FDJ und mit dem Ausscheiden der kirchlichen Vertreter aus dem Zentralrat der FDJ. Damit sollte die Phase des Taktierens zwischen staatlichen und kirchlichen Jugendvertretern zu Ende gehen.
Mit dem Ausschalten der kirchlichen und anderer nichtkommunistischer Vertreter wurde die FDJ zur sozialistischen Massenorganisation der Jugend in der SBZ. Für ihr Ziel, möglichst alle Jugendlichen zu gewinnen, griff die FDJ neben den vorhandenen Machtstrukturen auf traditionelle Jugendrituale aus der Zeit der Jugendbewegung und des Nationalsozialismus zurück. Im Ringen um die Jugend wurden vertraute Elemente wie Heimabende, Medien, Musik, Literatur angeboten und diese gegebenenfalls mit neuen Inhalten versehen.64 Wenn aber in gleicher Weise die Kirchen diese Elemente in ihrer pfarrlichen Jugendseelsorge weiterhin einsetzten, wurde das Konfliktpotenzial offenbar. Deshalb war die FDJ auch sehr darum bemüht, dass die kirchliche Arbeit mit und an der Jugend auf den innerkirchlichen Raum und ausschließlich auf die religiöse Erbauung beschränkt blieb und jede öffentliche Betätigung und damit Konkurrenz unterließ. Denn der absolute Anspruch der FDJ, als die einzige Organisation die Interessen aller Jugendlichen zu vertreten, wurde durch jede organisierte Jugendarbeit außerhalb der FDJ infrage gestellt.65 Da aber die Kirchen immer wieder Formen fanden, die Jugendlichen anzusprechen und zu begeistern, zeigte sich, dass der Absolutheitsanspruch der FDJ nicht wie beabsichtigt umgesetzt werden konnte. Dieses Unvermögen einzugestehen, passte nicht zum Selbstverständnis der FDJ. Deshalb wurde zunehmend, vor allem in der späteren Phase der kämpferischen Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche, vor der Gefahr der kirchlichen Jugendarbeit gewarnt. Wobei von den staatlichen Stellen katholische und evangelische Formen der Jugendseelsorge unter dem Begriff der „Jungen Gemeinde“ zusammengefasst worden sind.66 Die Jugend in der SBZ und später in der DDR würde durch die Junge Gemeinde „irregeführt”67 und „die wirkliche Aufgabe der Jungen Gemeinde, nämlich die Zersplitterung der Jugend und die Störung einer planmäßigen Kaderentwicklung“ würde von den Kirchen nur verschleiert.68 Solchen Ausführungen machten deutlich, wie sich die Fronten zwischen den beiden Seiten bereits verhärtet hatten. Die Strategie der DDR-Führung lief darauf hinaus, „das Aussterben der Religion aktiv zu fördern.“69
2 Erste pastorale Bestandsaufnahme der Ordinarienkonferenz-Ost
Für die neu entstandenen Ordinariatsbezirke auf dem Gebiet der SBZ ergab sich in der Nachkriegszeit eine ganz ungewohnte Situation. Mit Erfurt, Görlitz, Magdeburg, Meinigen und Schwerin entstanden in Folge der Aufteilung des Deutschen Reiches in Zonen fünf neue Kommissariate, aus denen sich im Laufe der Jahre (relativ) eigenständige bischöfliche Verwaltungseinheiten bildeten. Die für diese fünf Teilbereiche jeweils verantwortlichen Bischöfe residierten in einer der Westzonen. Demzufolge waren deren kirchenpolitische Kompetenzen für den Bereich der SBZ sehr beschränkt. Aus diesem Grunde wurden die Kommissare vor Ort mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet und nach und nach zu Weihbischöfen ernannt. Die beiden übrigen Ordinariatsbezirke, Berlin und Meißen, wurden durch den Verlust der Ostgebiete ebenfalls in ihrer Struktur mehr oder weniger stark verändert.70 Auf Grund der Teilung Deutschlands war der politische Ansprechpartner der neuen kirchlichen Sprengel zunächst in der sowjetischen Besatzungsmacht bzw. den von ihr eingesetzten Behörden gegeben. Bis sich für den Bereich der SBZ die Ostdeutsche Ordinarienkonferenz herausgebildet hatte,71 war vor allem der Vorsitzende des Deutschen Caritasverbandes und zeitgleich als Kommissar der Fuldaer Bischofskonferenz fungierende H. Wienken,72 in vielen Fällen der erste Ansprechpartner der neuen Regierungsgewalt in der SBZ, ohne dass er dafür mit konkreten Kompetenzen ausgestattet worden war. Gegenüber dem konfrontativen Kurs Kardinal Preysings73 scheint Bischof Wienken wohl der angenehmere, weil diplomatischere Verhandlungspartner für die sowjetischen Stellen gewesen zu sein. In Anerkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse in der SBZ entwickelte sich ziemlich schnell ein Konsens unter den katholischen Leitungsträgern der ostdeutschen Ordinariate. Dem gegenüber war der in Westberlin residierende K. Preysing stärker westorientiert und damit konfrontativer dem sozialistischen System gegenüber eingestellt.74
Zusätzlich zur politischen Neuorientierung in der Nachkriegszeit ergaben sich für die katholische Kirche in der SBZ auch neue pastorale Herausforderungen und Notwendigkeiten im Bereich der Seelsorge, auf die sich die Ordinarien einzustellen hatten. Etwa aufkeimende Hoffnungen, durch den zahlenmäßigen Zugewinn die Gesellschaft christlich durchdringen zu können, waren durch den engen politischen Rahmen zunichte gemacht worden. Die Arbeit der Seelsorger musste sich nach einem kurzen Intermezzo wieder auf den Bereich der Pfarrei beschränken. Folglich war auch die Situation der Jugendseelsorger in der SBZ ähnlich der in der Zeit des Nationalsozialismus. In diesem Sinne verwirklichte sich die Jugendseelsorge vor allem im Gottesdienst bzw. in der Hinführung der Jugendlichen zur Liturgie und der Katechese. Das primäre pastorale Anliegen der Bischöfe in der SBZ im Blick auf die junge Generation war vor allem die moralische Erneuerung der, durch die nationalsozialistische Ideologie beeinflussten und nun enttäuschten Jugend,75 nicht nur der katholischen, mit dem Ziel, diese aus ihrer Lethargie herauszuführen.76 Das sollte vor allem durch die verstärkte katholische Jugenderziehung gewährleistet werden.77 Damit griffen die Ordinarien im November 1945 die Richtlinien von 1936 auf und bestätigten den deduktiven Ansatz einer Pastoral, auf die sich das christliche Erziehungsrecht der Kirche berief. Christus habe der Kirche die Aufgabe anvertraut, durch die christliche Jugenderziehung den ganzen Menschen auf sein ewiges Ziel hinzuordnen.78 Der vor allem innerkirchlich ausgerichteten Jugendseelsorge wurde weiterhin ein sehr hoher Stellenwert beigemessen. Als Teil der ordentlichen Seelsorge sei es die Aufgabe aller Priester und der gesamten Pfarrgemeinde unter der Mitwirkung von Jugendlichen, die katholischen Jugendlichen „zu einer lebendigen inneren Einheit einer Jugend der Kirche wachsen zu lassen.“79 Die politischen Verhältnisse ließen die Reorganisation der Jugendseelsorge allerdings ganz unterschiedlich verlaufen.
Weniger eine umfassende Jugendseelsorge als vielmehr die religiöse Erziehung im Sinne der Vermittlung kirchlich definierter Kenntnisse und Fertigkeiten stand für die Bischöfe in der SBZ im Blickpunkt. Um die Umerziehung der Jugend auch im öffentlichen Bereich, in den staatlichen Einrichtungen, umsetzen zu können, wurden die jugendseelsorglichen Aktivitäten der Ordinarien zunächst zu einer Sache der Jugendpolitik. Das Engagement der Bischöfe bündelte sich diesbezüglich in dem Bemühen um die Durchführung von Religionsunterricht und die Wiederzulassung konfessioneller Schulen. Die inhaltliche Ausgestaltung der Jugendseelsorge wurde an die Jugendseelsorger delegiert bzw. mit dem Rückgriff auf die Verlautbarungen zur Jugendseelsorge von 1936 beantwortet.80
Die Jugendseelsorge im Nachkriegsdeutschland konnte auf die Erfahrungen von circa zehn Jahren zwischen 1936 und 1945 zurückgreifen. Während dieser Zeit des Nationalsozialismus erfolgte die Seelsorge zunehmend begrenzt und nur unter erschwerten Bedingungen auf der Pfarrebene. In den ersten Monaten nach dem Krieg wurde es eher als Einschränkung der Arbeit mit der Jugend denn als Chance für die Zukunft empfunden, erneut auf den Bereich der Pfarrseelsorge verwiesen zu sein.81 Aber es sollte und musste nach Kriegsende für den Bereich der SBZ am Prinzip der Pfarrjugendseelsorge festgehalten werden.82 Sich an die Ausführungen von G. Puchowski anschließend, bestätigte die Ordinarienkonferenz das Prinzip der Pfarrjugendseelsorge.83 Folglich wurde im Raum der SBZ zunächst unausgesprochen an den pastoralen Ansätzen der Jugendseelsorge während des Krieges angeknüpft.84 Die Sorge um die Jugend lag allerdings nicht allein in der Verantwortung des Priesters bzw. des Jugendseelsorgers. Dieses Anliegen wurde der gesamten Pfarrei anheim gestellt. Auch besonders engagierte Jugendliche sollten in die Arbeit der Pfarrei eingebunden werden. Die Laien konnten ihre Fähigkeiten nun in Verbindung mit dem „Kernschargedanken“ als Gruppe in der Pfarrjugend und für die Pfarrjugend einbringen: als „Auslese aus der Masse für die Masse“85 und nicht als Laienführer in besonderen Bünden wie in den westlichen Besatzungszonen. Die unterstützende Mitarbeit von ehrenamtlichen Jugendhelfern war dabei überlebensnotwendig. Die Pfarrjugendgruppen waren bzw. wurden lokal organisiert. Damit hatte die Bischofskonferenz im Nachhinein nur noch einmal bestätigt, was ohnehin schon von den Jugendseelsorgern praktiziert wurde. Wie aber später zu sehen sein wird, gab es anfangs weder eine gemeinsame Strategie der Jugendseelsorgeämter,86 noch war eine umfassende Jugendpastoral im weiteren Sinn das eigentliche Ziel der Jugendseelsorge. Vielmehr lag auf der Katechese als Glaubensvermittlung in dieser Zeit das Hauptaugenmerk der Jugendseelsorger und deren Mitarbeiter.
Die Richtlinien zur Jugendseelsorge von 1936 und 1945 setzten die Seelsorge an der Jugend in erster Linie mit Jugenderziehung, gleich. Die Begriffe „Jugendarbeit“, „Jugendseelsorge“ und „Jugenderziehung“ wurden nicht klar voneinander abgegrenzt.87 In der SBZ etablierte sich schon bald der Begriff der Jugendseelsorge, da in der DDR die Jugenderziehung dem staatlichen Bildungsmonopol und die Jugendarbeit allein der FDJ vorbehalten waren. Für die Aktivitäten der Jugendseelsorge war in der „sozialistischen Gesellschaft“ kein Platz. Als der anfänglich größere Spielraum der Kirchen, sich in der außerkirchlichen Öffentlichkeit betätigen zu können, zunehmend eingeschränkt wurde, reduzierten sich die Aktivitäten der Jugendlichen überwiegend auf den innerkirchlichen Bereich.88
Die Nichtzulassung einer vielgestaltigen katholischen Jugendverbandsarbeit wurde zunächst von den Jugendseelsorgern bedauert. Sie verhinderte aber auch, dass die wenigen katholischen Jugendgruppen der mitteldeutschen Diaspora noch mehr zersplittert wurden. So hatten die Einschränkungen der kirchlichen Arbeit unter den Jugendlichen auch den Effekt, dass die gesamte Jugend der Pfarrei oder des Bistums im Rahmen der Pfarrjugendprinzips erfasst werden konnte.89 Die Auseinandersetzungen zwischen Verbands- und Pfarrjugendarbeit, wie sie es schon bald in den westlichen Bistümern gab, sind der Jugendseelsorge in der SBZ und später der DDR erspart geblieben.90 Doch erst viel später sollten die Vorteile dieser Notsituation der Pfarrjugendseelsorge erkannt und gewürdigt werden,91 um nach 1990, sich vielleicht vorschnell an die westdeutsche Struktur der verbandlichen Jugendarbeit anschließend, umgehend wieder vergessen zu werden. Weitermachen oder neu anfangen war im Gegensatz zum „Westen“ folglich für die Nachkriegsseelsorge in der SBZ keine Frage.92 Die aus der NS-Zeit eingewöhnte Pfarrjugendseelsorge setzte sich schon bald wieder fort und weitete sich auf die Jugend unter den Vertriebenen aus den Ostgebieten und das Bemühen um deren Beheimatung aus. Mit viel Improvisationsgeschick wurde neue Infrastruktur geschaffen und die Arbeit an der Jugend mit neuen Elementen wie den Wallfahrten oder den Helferschulungen ergänzt, auch wenn die sich ausweitenden Behinderungen und Verbote, die mitunter lähmende Gewissheit nährten, die doppelten Verlierer der deutschen Geschichte zu sein.
In den ersten Jahren nach Kriegsende konzentrierte sich die Jugendseelsorge in Mitteldeutschland wie bereits während des Krieges vor allem auf die Stadtgemeinden. Mit der hinzukommenden Jugend aus den Ostgebieten ergab sich für die Jugendseelsorge eine grundsätzlich neue Situation. Die ursprünglich relativ kleinen Gruppen, die bei Vorträgen und anderen Veranstaltungen oft nicht mehr als 10-20 Jugendliche zählten,93 wurden durch die Vertriebenen bald in andere Größenordnungen gehoben. Dies hatte zu Folge, dass die katholische Jugend, soweit möglich wieder in verschiedene Altersgruppen unterteilt, meist von älteren Jugendlichen geleitet wurde. Angesichts der entstandenen Zahlenverhältnisse war es notwendig, die Pfarrjugend neu, das heißt flächendeckend, zu organisieren.94 Aber auch auf dem Lande entstanden schon bald überall eigene katholische Jugendgruppen in den Gemeinden. Der Austausch zwischen den einzelnen Gruppen war meist der Eigeninitiative der Jugendlichen überlassen und musste trotz fehlender Jugendseelsorger weiter ausgeweitet werden. Gerade in der Diasporasituation war ein überpfarrlicher Austausch dringend geboten, und noch mehr später, als die Zahl der beteiligten Jugendlichen wieder zurückging. Das war der eigentliche organisatorische Neuaufbau der Nachkriegszeit: Die bis dahin vorwiegend in den Städten existierende Jugendseelsorge auf alle Gemeinden auszuweiten, und die geflüchtete oder vertriebene Jugendlichen aus den Ostgebieten zu integrieren bzw. zu beheimaten.95
3 Die Arbeitsgemeinschaft der Jugendseelsorger in der SBZ gründet sich
Als Beginn einer eigenständigen Jugendseelsorge für die SBZ kann die Zusammenkunft der Jugendseelsorger am ersten Dezemberwochenende 1946 angesehen werden.96 Auf diesem ersten Treffen in Alt-Buchhorst wurde aufgrund der politischen Nachkriegssituation der Aufbau der Jugendseelsorge für die SBZ konzipiert. Die sich daraus entwickelnde Arbeitsgemeinschaft der Jugendseelsorger war aufgrund der Interventionen von K. Preyssing und H. Wienken im Rahmen der DBK von Anfang an unabhängig von der westdeutschen verbandlichen Jugendarbeit zu sehen und somit nicht als Zweigstelle von „Altenberg“97 zu verstehen, auch wenn G. Moschner98 auf dieser konstituierenden Sitzung anwesend war und mit seiner Präsenz die gesamtdeutsche Sicht ins Spiel brachte. Vielmehr bestand die Aufgabe der neu entstandenen Arbeitsgemeinschaft darin, in der SBZ eine selbständige Jugendseelsorge aufzubauen. K. Schenke wurde zugleich als Priester für die überregionale Jugendseelsorge in der gesamten SBZ freigestellt.99 Mit diesen Entscheidungen wurde die Grundlage dafür gelegt, dass die Jugendseelsorge der SBZ einen eigenen Weg gehen konnte. K. Schenke, bei diesem ersten Treffen selbst nicht anwesend, traf sich unmittelbar danach mit dem Berliner Jugendseelsorger R. Lange am Krankenbett des Prälaten Puchowski, um konzeptionelle Details zu besprechen. Die ersten Weichen für die Jugendseelsorge der SBZ wurden gestellt. Obwohl K. Schenke aus pragmatischen Gründen seine Arbeit lieber weiterhin von Leipzig aus führen wollte, entschied man sich, aus politischen Gründen, für Ost-Berlin als den Ausgangspunkt seiner Arbeit.100 Außerdem stand in Berlin das einzige intakte Jugendseelsorgeamt in der SBZ zur Verfügung. In den übrigen Ordinariaten im Bereich der SBZ war die eigenständige Jugendseelsorge erst noch im Aufbau begriffen. Mit K. Schollmeier in Erfurt und H. Theissing101 in Görlitz gab es ab 1946 in zwei anderen Ordinariaten der SBZ bereits hauptamtliche Jugendseelsorger.102 In den anderen Bistümern war die Jugendseelsorge noch größtenteils dezentralisiert auf die Städte beschränkt (Dresden, Leipzig,103 Rostock), während für das Kommissariat Magdeburg der Paderborner Jugendseelsorger A. Reineke zuständig war. Ihm zur Unterstützung wurden am 1. Dezember 1945 zwei nebenamtliche Jugendseelsorger, für Mannes- und Frauenjugend getrennt, für das Kommissariat Magdeburg ernannt.104 Daneben wurden noch Dekanatsjugendseelsorger berufen.105
Am dritten Märzwochenende 1947 fand ein erstes Interzonen-Treffen von Jugendseelsorgern aus den Westzonen und aus der SBZ statt. Bereits in den Tagen zuvor hatten sich die Jugendführer der SBZ in Berlin versammelt und wurden u. a. von Prälat Puchowski auf die Verantwortung der Laien in der katholischen Jugendseelsorge eingeschworen. Selbst wenn es vor allem der Priestermangel war, der zur betonten Mobilisierung der Laien veranlasste, sollten sich die Jugendführer nicht als „Notnagel“ verstehen, auf den in der Umbruchszeit zurückgegriffen würde. Sie, die Laien, seien durch Christus befähigt, mitverantwortlich als Kirche und in der Kirche zu arbeiten.106 Am gemeinsamen Wochenende mit den Jugendseelsorgern aus allen vier Zonen hatte vor allen das CAJ-Konzept des Sehen - Urteilen - Handelns begeisterten Anklang gefunden. Dieses Konzept, obwohl auf den religiösen Bereich konzentriert, verbunden mit bündischen Elementen und einem großen Ausmaß an Improvisation, bildete inhaltlich einen wichtigen Ausgangspunkt für die spätere Jugendseelsorge in der SBZ. In einem weiteren Referat hob G. Moschner wieder den bündischen Ansatz ins Bewusstsein der Jugendlichen und Seelsorger. Die von Priestern geprägte Pfarrjugendseelsorge hätte in der Zeit des Krieges nur einem „Klerikalismus“ Vorschub geleistet und die berufenen Jugendführer seien zwar schon „halbe Kapläne“ gewesen, aber diese Art der Jugendseelsorge in der Zeit des Nationalsozialismus hätte auch als Arbeit im Verborgenen enggeführt. Die katholische Jugend solle in der Gesellschaft wieder präsenter sein und müsse daher von der Jugend geführt werden.107
Die erste Konferenz der späteren Arbeitsgemeinschaft der Jugendseelsorger der SBZ fand im Herbst 1947 in Alt-Buchhorst statt.108 Dort stand neben der liturgischen und religiösen Erziehung der Jugend109 angesichts der Personalsituation in der Jugendseelsorge auch das Anliegen im Vordergrund, verstärkt Jugendhelfer zu schulen und somit mehr Laien zu aktivieren.110 Die Umsetzung dieser ersten konzeptionellen Anregungen wurde durch die katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse erschwert. Sobald solche Helferschulungen den Pfarroder Dekanatsrahmen überschritten, behinderte die desolate Infrastruktur der Nachkriegszeit eine Umsetzung. Nur wenige der Jugendlichen erfuhren von den stattfindenden Helferschulungen und noch weniger konnten den Reiseaufwand bewerkstelligen. Daher waren bei vielen Schulungen der Anfangszeit Klagen über die geringen Teilnehmerzahlen zu hören. Das in solchen Kursen vermittelte Handwerkszeug war vor allem auf eine die religiöse Erziehung betreffende Helferarbeit in den Jugendgruppen ausgerichtet. Dazu zählten die moralische Erziehung der Jugend, die Vermittlung von religiösem Wissen und das Erlernen liturgischer Grundkenntnisse. Auch wenn auf den überregionalen Treffen der Jugendseelsorge schon früh erste zentrale konzeptuelle Ansätze entwickelt worden waren, behielt sich nicht nur Magdeburg vor, diese regional zu interpretieren. Das führte dazu, dass von einer einheitlichen Umsetzung einer zentralen Jugendseelsorge in der SBZ wie auch später in der DDR nicht gesprochen werden kann.111 Dazu waren die Partikularinteressen der leitenden Seelsorger in den einzelnen Ordinariatsbezirken und die der Ordinarien doch zu stark ausgeprägt. Davon abgesehen waren die ersten Treffen der Jugendseelsorger noch nicht zu vergleichen mit der Organisation der späteren Sitzungen. Sie lebten noch viel mehr vom Charisma112 der anwesenden Seelsorger als von etwaigen Konzeptionen.113








