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Die andere Möglichkeit wäre, sich zurückzulehnen und so zu tun, als wäre das alles eine Illusion oder, schlimmer noch, ein Traum, aus dem wir alle irgendwann aufwachen. Oder man macht es wie die größten Oberärsche und stolziert herum, als wäre mit diesem Land alles in schönster Ordnung, als gäbe es kein Privileg weißer Männer, keine brutale Polizeigewalt, keinen Krieg zwischen den Klassen, und wir können uns gemütlich aufs Sofa setzen und uns die x-te Folge von Matlock oder Mord ist ihr Hobby in der x-ten Wiederholung angucken. Keine Ahnung, wieso mir gerade diese beiden Serien einfallen – ich liebe Matlock, und Angela Lansbury ist einfach klasse. Aber ihr versteht schon, was ich meine. Nichtstun ist auch ein Statement, und manchmal hat auch das seine Wirkung. Das wäre wie ein Sit-In, bei dem ihr allerdings überhaupt kein Interesse an dem Problem hättet, gegen das ihr protestiert.
Aber das ist euer gutes Recht, so wie es mein gutes Recht als Amerikaner ist, darüber meine Sprüche abzulassen. Wie ich schon gesagt habe, das hier wird kein Spaß, es gibt vielleicht kein Happy-End, und vielleicht sind wir am Ende dieser Schwarte hier nicht mal mehr Freunde oder nette Bekannte. Das Risiko gehe ich jedes Mal ein, wenn ich meine ungefilterte Meinung auf virtuelles Papier bringe: dass man mich zitiert und auseinandernimmt. Mir ist scheißegal, ob ihr meiner Meinung seid oder nicht, da bin ich ganz ernst. Auch, wenn ich nicht Ernst heiße, haha. So denke ich eben. Und das werde ich wahrscheinlich auch immer tun. Vielleicht macht euch das Buch zum Riesen-Scheiß-Spielverderber im Zusammenleben mit anderen. Aber wenn ihr zu unserer gemeinsamen Reise bereit seid, dann lehnt euch zurück, setzt euch den rotweißblauen Motorradhelm auf und drückt auf die Tube, ihr Easy Rider.
Vergesst nicht, nach dem Einatmen die Luft anzuhalten.
Nieder mit den Faschisten.

Als Kind glaubte ich wirklich an Superhelden. Ich weiß, das war bekloppt, oder? Ich war damals noch klein, aber das war wirklich so. Ich habe an Superhelden geglaubt. Für mich waren sie so real wie die Menschen um mich herum: Spider Man, der sich von einem Gebäude zum nächsten schwang, Batman, der mit seinem Verstand und seinen Fäusten gegen Clowns antrat, Iron Man, der mit Superman und Hawkman durch die Wolken zischte, der Hulk, der durch die Landschaft stapfte, um gegen Aliens zu kämpfen – das alles war in meinen Augen nicht frei erfunden. Das waren für mich nicht nur Geschichten, sondern echte Nachrichten! Dass man sie immer nur gezeichnet sah, lag meiner Meinung nach daran, dass sie sich zu schnell bewegten, um sie fotografieren zu können, und bei bei den ganzen Explosionen und verrückten Schlachten hätte man ja auch keine scharfe Einstellung bekommen. Also mussten wir uns mit Skizzen und Illustrationen zufriedengeben. Immerhin gab es doch auch von Gerichtsverhandlungen solche Zeichnungen. Wieso sollten dann also meine Comics nicht ebenso relevant und real sein wie die Sunday Times?
Vielleicht war es kindliche Naivität, Wunschdenken, Elternneid … Ihr müsst wissen, der Verfasser dieses Werks wurde nicht gerade mit einem silbernen Löffel im Mund geboren. Aber eine ganze Weile glaubte ich mit ganzem Herzen, wenn ich nur richtig hinsehen würde, könnte ich meine Helden am Himmel entdecken. Mit ihren Superkräften oder ohne, mit Mantel oder ohne, lächelnd, grinsend, zwinkernd, grimmig dreinschauend, nachdenkend – wie auch immer man sie sich vorstellen wollte, sie waren irgendwo da draußen, kämpften für das Gute, beschützten die Unschuldigen, sorgten für Gerechtigkeit, rächten böse Taten und passten auf jene auf, um die sich sonst nie jemand kümmerte. Die mussten einfach echt sein! Was taugte denn eine Welt, in denen allen egal war, ob das Gute das Böse besiegen konnte? Was taugte eine Welt, in der die Anständigkeit von außergewöhnlichem Chaos überwunden werden konnte? All diese Überlegungen konnte ich nur ertragen, weil ich mir vorstellte, nein, weil ich überzeugt davon war, dass draußen in der Dunkelheit Wesen mit größerer Macht und mehr Verantwortungsgefühl unterwegs waren, die Verbrechen sühnten und Menschen retteten. Unwissenheit ist nicht immer nur ein Segen, sondern kann auch dazu dienen, die geistige Gesundheit zu bewahren.
Als ich älter wurde und man mich immer weiter quälte, ohne das mir jemand zuhilfe kam, verblassten diese Vorstellungen und Bilder allmählich, bis ich sie ganz aus meinem Leben verbannte. Es ist ein kalter Pakt, den man in einer solchen Lage mit sich selbst abschließt, aber er ist nötig. Ich lernte schon vor langer Zeit die Lektion vieler Überlebender: Hoffnung verstärkt den Schmerz manchmal nur, vor allem, wenn man irgendwann begreift, dass der Ritter in schimmernder Rüstung in Wirklichkeit eine zweidimensionale Figur ist, die dich niemals erreichen wird. Comics können kein Leben retten. Männer und Frauen in Kostümen gibt es in Wirklichkeit nicht, nicht einmal heute, wo die so genannten Superhelden des Alltags in Strumpfhosen durch die Gegend rennen, Kätzchen von Bäumen holen oder alten Omis über die Straße helfen. Das ist ja alles schön und gut, aber ein YouTube-Video kann dreißig Jahre aufgestauten Zynismus und Zorn nicht wirklich auslöschen. Ich bin mir sicher, in den Innenstädten der USA und den raueren Vorstädten könnte man ganz bestimmt ein paar Superhelden brauchen, die mal die Einkäufe nach Hause tragen.
Tschuldigung. Ich weiß, normalerweise bin ich eigentlich optimistischer unterwegs, aber zu kapieren, dass keines dieser phantastischen Wesen jemals zur Stelle sein wird, um mich oder sonst jemanden zu retten, war eine ziemlich bittere Pille. Gleichzeitig geschah aber auch etwas ziemlich Faszinierendes: Nachdem ich mich erst mal mit der Realität abgefunden hatte, beschloss ich, auf mich selbst aufzupassen. Von diesem Augenblick an war ich damit beschäftigt, mich selbst zu verteidigen, mir selbst etwas beizubringen, zu kämpfen, zu arbeiten und alles dranzusetzen, dass ich dieser Angst nie wieder würde in die Augen sehen müssen. Ich schwor, dass ich mit aller Kraft für meine Sicherheit sorgen würde, und wenn ich einmal eine Familie haben sollte, dann wollte ich für sie dasselbe tun. Ich würde stärker werden und Verantwortung übernehmen. Ich würde allein lernen und allein zurechtkommen. Und mir war bewusst, dass ich ein hartes Leben vor mir hatte, von dem ich nicht wusste, ob ich es wirklich stemmen konnte. Zunächst einmal musste ich so tun, als hätte ich wesentlich mehr Schneid, als dies tatsächlich der Fall war. Und ich musste viele der Lehren vergessen, die mir die Angst eingetrichtert hatte. Es gab Zeiten, da war ich überzeugt, dass ich das nicht schaffen würde. Aber glücklicherweise hatte ich ein bisschen Talent und ein paar Bands, die mir halfen, meine inneren und äußeren Psychosen anzugehen. Trotzdem habe ich jede Menge belastende Erfahrungen gemacht, was mir jetzt erst im Rahmen einer Therapie allmählich bewusst wird. Ich weiß, das hört sich gefährlich an, und das ist es auch. Aber ich kriege das schon hin.
Ich erzähle euch diese Geschichte von enttäuschten Hoffnungen und der daraus folgenden Konzentration auf die ausschließlich eigene Kraft, weil man so ziemlich gut erklären kann, wieso Ronald Reagan zum Schutzheiligen der Republikaner wurde, wobei sich da die zeitliche Abfolge der Ereignisse umkehrte.
Dazu müsst ihr euch vergegenwärtigen, wie es in den USA Mitte der Siebzigerjahre aussah. Das Land hatte richtig viel Scheiße hinter sich: Morde an führenden Politikern, Arbeitslosigkeit, Ölkrise, Undercover-Aktionen der CIA im eigenen Land, bei denen riesige Mengen von Drogen in die Gemeinden von Schwarzen und Hispaniern geschwemmt wurden, Watergate und den Kalten Krieg – und das war ja nur die Spitze des Eisbergs, von Disco und Schlaghosen will ich gar nicht erst reden. Mit Vietnam hatten die USA ihre Unschuld verloren, und seit dem Ende des Krieges war noch keine Zeit gewesen, um das eigene Selbstbewusstsein wieder aufzubauen. Stattdessen wurde das Land nun innerlich von Hass und posttraumatischen Belastungsstörungen zerfressen. Und als dann ein wirklich guter Mann wie Jimmy Carter zum Präsidenten gewählt wurde, musste er sich mit einem riesigen Problemberg aus Schulden, Inflation und Hoffnungslosigkeit auseinandersetzen. Die Lage war so trist, dass sich selbst der Sieg des amerikanischen Eishockeyteams über die Russen bei den Olympischen Winterspielen nur so kurz bemerkbar machte wie ein Piepen auf dem Radarschirm bei einer UFO-Sichtung. Die Menschen sehnten sich verzweifelt nach irgendeinem Hoffnungsschimmer. Sie wollten die Leichtigkeit früherer Jahre zurück, als sich das Leben zumindest optimistischer angefühlt hatte. Sie sehnten sich nach einem Helden.
Die Republikaner sehnten sich nicht nur danach, sie hatten ihn auch bitter nötig. Die Nachwirkungen von Watergate und die tollpatschige, ungelenke Art von Gerald Ford hatten die GOP gründlich beschädigt. Korruption auf höchster Ebene zerfraß die konservative Grundidee. Der alte Schlachtruf nach „weniger Staat“ klang zudem nach reiner Heuchelei aus dem Mund einer Partei, die verdeckte Einbrüche und Bespitzelungen veranlasst, sich eigene Vorteile verschafft und Überwachungsaktionen gestartet hatte, die nicht im Einklang mit der Verfassung standen. Seit Jahren hatten die Rechten keinen so üblen Kinnhaken mehr bekommen. Niemand wollte ihre Predigten von „Eigenverantwortung“ mehr hören. In der allgemein tristen Lage interessierte sich kaum jemand für Themen wie die Rechte der Bundesstaaten und wie sie ihre Finanzmittel einsetzten. Den Leuten erschienen die Republikaner genauso schlimm wie die Demokraten: Politiker, die keine anderen Interessen verfolgten als ihre eigenen.
Dabei war auch nicht gerade hilfreich, dass niemand eine klare Vorstellung oder eine Vision für die Identität der USA zu haben schien. Die Menschen fühlten sich eher mit den Regionen verbunden, in denen sie lebten. Es gab kein großes, einigendes Konzept für das gesamte Land, nichts, was uns stolz gemacht hätte, Amerikaner zu sein. Wir lagen eher im Clinch mit den Vorstellungen, die wir von uns selbst zu haben glaubten. Unsere Verbündeten ging es da besser: In Großbritannien gab es das Königshaus, Frankreich galt als Land der Künste und der feinen Lebensart, Japan hatte Kultur und Geschichte. Selbst bei unseren Feinden sah es besser aus: Die UdSSR (oder, in russischer Schreibweise, die CCCP) hatte den Kommunismus, und im Nahen Osten gab es Öl und Allah. Amerika hatte eine zerrissene Flagge und gebrochene Versprechen. Was ein eigenes nationales Konzept anging, steckten wir noch in den Kinderschuhen. Auch in denen hätten wir natürlich laufen können – aber wohin?
Und dann betrat der Gouverneur von Kalifornien die Bühne.
Bei den Republikanern galt Ronald Reagan schon eine Weile als ein echter Star. Dabei hatte er ursprünglich den Demokraten angehört, bevor er 1962 zum anderen Lager überlief – wenig überraschend, wenn man bedenkt, dass er in den goldenen Zeiten Hollywoods zum großen Filmstar aufgestiegen war, und die Filmhauptstadt ist bekanntlich eine demokratische Hochburg. Ron und seine Frau Nancy galten in den besten Kreisen von La La Land als Vorzeigepaar mit Stil und Klasse, und als es mit seiner Karriere vor der Kamera bergab ging, stellte er fest, dass er ein Naturtalent auf der Politbühne war. Er hatte offenbar kein Problem mit der Kommunistenhetze, der sich die meisten Republikaner in den Sechzigern bedienten, und indem er eine solche Haltung mit seinem Charme und seinem Megawatt-Strahlerlächeln verknüpfte, gelang ihm ein ziemlich schneller Aufstieg. Die GOP bot ihm in ihrem damaligen Zustand genügend Raum, um einen riesigen Schatten zu werfen. Mit Leichtigkeit gewann er die Gouverneurswahl in Kalifornien, und anschließend machte er sich sofort daran, den Grundstein für eine Kandidatur im Weißen Haus zu legen. Mit der Unterstützung einiger visionärer Parteifreunde wurde er zum Sinnbild für den Look und die Botschaft der neuen Republikanischen Partei, die geprägt waren von der Flagge mit den Stars & Stripes, Country & Western-Musik, Patriotismus, den Adlern als Wappentier und der Vorstellung vom zupackenden, bodenständigen amerikanischen Arbeiter. Unser Bild der modernen Vereinigten Staaten entstand in den Jahren der Reagan-Administration.
Nachdem er sich zuvor schon zweimal um den Einzug ins Oval Office bemüht hatte, gelang ihm 1980 ein Erdrutschsieg. Wenn man die Umstände genauer betrachtet, ist es offensichtlich, wieso es klassischerweise nach zwei Schüssen in den Ofen beim dritten Mal klappte – ein besserer Trailer, ein erfolgreicherer Film. Amerika brauchte einen Helden, und Reagan war John Wayne mit einem schicken Anzug und einer Portion Pomade. Sein Spitzname lautete Dutch, und neben seiner Bleibe in Washington hatte er auch noch eine echte Ranch – ich kann gar nicht mehr sagen, wie oft ich Fotos vom alten Ronnie sah, auf denen er in Jeans und Hemd im Sattel saß und in Camp David durchs Gelände ritt. Er wirkte freundlich und jovial, und gleichzeitig vermittelten sein kantiges Kinn und die leicht zusammengekniffenen Augen auch eine gewisse Härte. Offenbar waren die Jahre vor der Kamera die perfekte Vorbereitung gewesen – er war für diese Rolle wie geboren. Verdammt, er sah einfach genau so aus, wie man sich den ersten Mann im Staat vorstellt. Das mit der perfekten Optik war dabei ja kein neues Konzept: Allgemein gilt Kennedy als der erste US-Präsident, der aufgrund seines Sahneschnittenfaktors die Wahl gewann. Bei Reagan kam noch eine weitere Komponente mit ins Spiel, und ich weiß nicht, ob darauf schon einmal jemand hingewiesen hat – Amerika suchte nicht nur einen Helden, es brauchte auch eine Vaterfigur.
Die Hippies und die Yippies und die Leute wie du und ich wurden nun erwachsen und ließen den Nebel des Krieges und der drogengeschwängerten Siebziger hinter sich. Männer und Frauen, die eigentlich gar nicht damit gerechnet hatten, diese verrückte Zeit überhaupt lebend zu überstehen, mussten sich plötzlich ihren Lebensunterhalt verdienen und Verantwortung übernehmen. Mit ihren eigenen Eltern hatten sie gebrochen, als sie gegen die strengen Gesellschaftsnormen der Fünfzigerjahre aufbegehrt hatten, und jetzt konnten sie sich an nichts mehr erinnern, was länger zurücklag als ihr erster Joint. Und da tauchte ein Mann auf, der so aussah, als könnte er ein paar Richtlinien bieten, um den Alltag zu bewältigen, und einem außerdem noch einen echten Rüffel verpassen, wenn man zu sehr aus der Reihe tanzte. Reagan hatte das Zeug, Amerikas Dad zu sein, wobei er auch schon als Großvater hätte durchgehen können, denn schließlich war er der älteste Präsident, der je ins Amt gewählt worden war. Und weil er genau dem Ideal entsprach, das sich die Menschen damals wünschten, stellte niemand infrage, ob auf der Haben-Seite auch eine wasserdichte Wirtschaftspolitik stand. Die es, wie sich herausstellen sollte, nicht gab. Das sogenannte Reaganomics-Modell sah beispielsweise Steuererleichterungen für die Reichen vor, weil man glaubte, die würden dann mehr Geld ausgeben und damit die Wirtschaft ankurbeln, was über Umwege letztlich auch den weniger Wohlhabenden zugutekommen würde. Das klappte nicht; tatsächlich hat sich bisher erwiesen, dass diese Politik, wenn überhaupt, nur auf Mikro-Ebene funktioniert, beispielsweise innerhalb einer kleinen Stadt, aber nicht landesweit. Kansas hat heute immer noch mit den Auswirkungen dieser Art von Deregulierung zu kämpfen.
Randbemerkung: Ich glaube, der Ausdruck Obamacare ist die Rache dafür, dass die damalige Wirtschaftspolitik als Reaganomics bezeichnet wurde. Dabei war das Krankenversicherungsmodell ACA ursprünglich sogar ein Konzept der Republikaner.
Jedenfalls ging bei Onkel Ronnies Regierung einiges in die Hose – die verfehlte Wirtschaftspolitik, der Kampf gegen Drogen, die Kürzung sämtlicher Staatsausgaben (abgesehen von der Rüstung), die Stellenstreichungen im Öffentlichen Dienst, die Iran-Contra-Affäre, die Bombardierung Libyens, das Wettrüsten mit den Sowjets und die Verschärfung des Kalten Krieges standen wenigen positiven Entwicklungen gegenüber, beispielsweise der Senkung der Inflationsrate und einem recht gesunden Wachstum des Bruttoinlandprodukts. Reagan gelang es außerdem, nicht als doppelzüngig zu gelten, obwohl er am Brandenburger Tor in Berlin den berühmten Spruch aufgesagt hatte: „Mr. Gorbachev, tear down this wall.“ Ausgerechnet der Kerl, der jahrelang zur Abschreckung einen Atomsprengkopf auf den nächsten gestapelt hatte, konnte sich den Fall der Berliner Mauer auf die Fahne schreiben – keine üble Leistung, wenn man bedenkt, dass seine Partei stets wortreich vor dem Feind im Osten gewarnt hatte. Ronald Reagan und David Hasselhoff, vereint in ihrem Kampf für das Gute – also, das wäre jetzt mal echt was gewesen, woran man hätte glauben können.
Schwierig wurde die Sache, weil Reagan ja nicht ewig Präsident bleiben konnte. Selbst Leute wie wir, die nicht gerade große Fans gewesen waren, hatten ihn nie wirklich so richtig gehasst. Klar, meine liebsten Hardcore-Punker und Metal-Bands trugen damals alle T-Shirts, auf denen Reagan irgendwie entstellt oder beleidigt wurde. Für sie war der alte Dutch der Feind, das Gesicht der wachsenden Macht der Rechten und der Faschisten, die eine Generation zum Gehorsam zwingen wollten, die sich nicht zähmen oder bestechen ließ. Als sozial benachteiligtes Kind identifizierte ich mich eher mit diesen Bands als mit dem guten alten Dutch. Und so wurde Amerikas Dad der nörgelnde Vater, den ich von Anfang an nicht gehabt hatte und jetzt auch nicht mehr wollte. Dazu kam noch der Eindruck, den Terry Branstad hinterließ, der republikanische Gouverneur von Iowa, der keine Anstalten machte, aus dem Amt zu scheiden (und der schockierenderweise kürzlich noch einmal gewählt worden ist) – und für mich stand fest, dass ich mit der GOP nichts am Hut hatte.
Aber dessen ungeachtet sollte man die Macht guter PR nie unterschätzen, wenn sie mit dem ganzen Arsenal aus Laserstrahlen, Mythen und Pyrotechnik zu Werke geht. Reagan räumte zwar den Sessel neben dem roten Knopf, aber die Republikaner blieben an der Macht. George Bush Senior rückte vom Vizepräsidenten zum echten Präsidenten auf und wurde Bush der Erste. Er hatte das Knowhow, die Erfahrung und ein Gespür für Menschenführung. Mehr noch, er hatte es als echter Texaner auch super drauf, uns gleich als erstes in einen Krieg zu verwickeln (eine Tradition, die Johnson mit dem Vietnamkrieg begründet hatte). Der erste Golfkrieg begann. Aber Bush fehlte Reagans Feuer. Der gute alte Ronnie hätte es mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln geschafft, die ganze Nation hinter sich zu versammeln und umgeben von Flaggen und Feuerwerk und flankiert von Seeadlern und Berglöwen loszumarschieren, um Amerika wieder ganz nach vorne zu bringen. Weil ihm der richtige Biss fehlte, schaffte Bush nur eine Amtszeit und musste in den Neunzigern den Platz für Clinton räumen. Acht Jahre später nahm dann Bush Junior die Fahne wieder auf und versuchte, den Drachen zu erschlagen, wobei ihm aber der ganze Scheiß in die Quere kam, mit dem die GOP inzwischen in Verbindung gebracht wurde.
Das war schließlich der Punkt, als das Selbstbewusstsein der Republikaner gründlich erschüttert wurde. Längst war immer deutlicher zu erkennen, dass Botschaft und Realität bei ihnen nicht mehr übereinstimmten. Vielmehr handelte es sich offenkundig um eine konservative Partei, die versuchte, die Wähler aus der Mittel- und Arbeiterklasse für sich zu gewinnen, obwohl sie gerade dadurch, dass sie den Einfluss und das Geld milliardenschwerer Unternehmen zur Deregulierung des Staates benutzte, genau diese Wählermilieus an den Rand des Existenzminimums brachte. Trotzdem hielten die Leute der Partei die Treue. Meiner Meinung nach hat das verschiedene Gründe: Zum einen haben die Republikaner es verdammt gut drauf, ein ordentliches Special-Effects-Feuerwerk abzubrennen und völlig ironiefrei „AMERIKA! SCHEISSE, WARUM NICHT!“ zu brüllen. Zum anderen gibt es bei ihnen weniger offensichtliche Herablassung durch, ich zitiere, „Eliten, Liberale und progressive Intellektuelle“, und dann haben sie auch keinerlei Hemmungen, ordentlich auf die Kacke zu hauen und Stärke zu zeigen, was dann letztlich auch zu den ekligen Einschüchterungsversuchen der Trump-Fanatiker führte. Dazu später mehr. Aber das sind offenbar gute Gründe, um eine Partei zu unterstützen, die auf alles scheißt, wofür der ehrliche amerikanische Arbeiter einsteht. Manchmal hat man im Trailer wirklich schon alle guten Szenen gesehen, und der Film an sich ist dann eine echte Enttäuschung und rausgeschmissenes Geld.
Spulen wir mal ein bisschen vor. Jetzt sehen wir uns in einer Welt, in der die GOP schwer angeschlagen dasteht, nachdem sie zuließ, dass ein verzogener quietschorangener Wichser das Ruder übernahm, der sich vielleicht – man weiß es ja nicht genau – überhaupt nur deswegen als Präsident aufstellen ließ, um Werbung für seinen neuen Fernsehsender zu machen, und sich dabei eigentlich die ganze Zeit sicher war, dass er diese Wahl verlieren würde. Das jedenfalls denken die linken Verschwörungstheoretiker. Die Rechten schütteln einfach nur den Kopf. Und die noch weiter am rechten Rand stehenden (nein, ich werde diesen neuen Begriff, den die Nazis so geil finden, nicht benutzen), die schütteln allerdings nicht mehr den Kopf, die freuen sich alle auf eine neue Zeit weißer Vorherrschaft. Dazu aber später mehr, es kommt noch ein ganzes Kapitel über Donald Trump (daran kann man wohl erkennen, wie sehr er uns in die Scheiße geritten hat); erst einmal ging es mir um ein klares Bild der Situation nach Reagan. Heute, 36 Jahre später, ist nicht nur die Amerika-Vision befleckt, die Lincoln einmal hatte, sondern wir erleben auch, was dabei rauskommt, wenn man sich seinen Präsidenten nach der Optik und nicht nach seiner Politik aussucht und wenn man, um unbedingt zu gewinnen, seine Werte hintenan stellt.
Lasst euch von diesem Kapitel nicht in die Irre führen: Die Schuld liegt nicht nur bei den Reagans und Trumps. Da ist auch noch ein so ein Ex-Präsident aus Arkansas. Denn es war ja so: Wenn Ronnie das Gottesgeschenk für die GOP war, dann wurde William Jefferson Clinton zum großen Star der Demokraten. Ich ließ mich auch total davon blenden. Zuerst wurde ja allgemein befürchtet, dass Bill Jeff, weil er nun mal aus Arkansas war, sich entweder als Südstaaten-Rassistensau entpuppen würde oder dass man ihn neutralisieren würde wie Carter, auch wenn inzwischen alle wussten, dass Jimmy ein verdammter Heiliger gewesen war. Aber Bill Clinton – oder, wie ich immer sage, Clinton I., wobei Hillary dann natürlich Clinton II. ist – wickelte uns alle ein, indem er Bürger jeder Hautfarbe ansprach und dann noch über einen Charme verfügte, den man Carter nur hätte wünschen mögen. Außerdem KONNTE ER AUCH NOCH SAXOFON SPIELEN. Sowas hatte die Welt noch nicht gesehen. Der konnte echt Saxofon spielen! Wie konnte das denn angehen? Eigentlich geht man bei Präsidenten doch immer davon aus, dass sie gar nichts können!
Also sprang ich nur zu gern auf den Clinton-Zug auf, wie zuvor die vielen Konservativen auf den Reagan-Zug, und es wurde eine tolle Fahrt! Es gab Rockmusik und MTV und Arbeitsplätze und das Internet und jede Menge anderer cooler Sachen. Clinton war der perfekte Präsident für die Neunziger: jung, rebellisch, witzig und, ich muss es mal sagen, cool. Er tat sein Bestes, für uns das Beste zu tun. Wir erlebten einen Wirtschaftsboom, wie es ihn zu meinen Lebzeiten noch nie gegeben hatte. Die Menschen waren glücklich – zumindest die Demokraten. Und diese Zeit war der überzeugende Beweis dafür, dass man die ganze Flaggenschwenkerei, die Adler und den ganzen anderen patriotischen Quatsch überhaupt nicht brauchte. Wir konnten auch einfach so Amerika sein, weil unser Land schlicht das beste der ganzen Welt war. Das mussten wir den anderen auch nicht dauernd unter die Nase reiben, schließlich waren wir vollauf damit beschäftigt, in diesem tollen Land zu leben.
Und dann platzte die verdammte Blase, im wörtlichen wie auch im übertragenen Sinn. Die Dotcom-Blase machte die Leute fast im gleichen Augenblick reich und arm. Die Republikaner fanden die Außenpolitik von Clinton I. nicht so klasse, vor allem seine Krisenbewältigung bei der Somalia-Mission, und nachdem sie 1994 im Kongress wieder die Mehrheit erlangt hatten, begannen sie mit einer Blockadepolitik, die Clintons Regierung zweimal völlig lahmlegte. Dann folgten eine Zigarre, ein Geständnis und ein fleckiges Kleid – die verdammte Lewinsky-Affäre. Zwar kam es nicht zu einer Amtsenthebung, aber Clintons Glaubwürdigkeit war danach komplett hinüber. Sein Vermächtnis bestand hauptsächlich darin, dass er den Demokraten die Wiederwahl erheblich erschwerte. Das fand ich besonders enttäuschend, weil er meiner Meinung nach ein ebenso guter Präsident gewesen war wie Reagan. Unter Clinton I. gab es für kurze Zeit sogar einen Haushaltsüberschuss – das hatte es in den USA zuletzt in den Sechzigern gegeben. Clinton I. war, ganz ähnlich wie Reagan, ein passendes Symbol seiner Zeit: entspannt und locker, wohlmeinend, aber letztlich eben doch nur menschlich und alles andere als fehlerlos. Eine Erkenntnis und eine Frage drängen sich mir deshalb auf. Die Erkenntnis, dass wir keine Partei wählen, sondern eine Person. Sagt, was ihr wollt, es stimmt doch. Es gewinnt der, den die Leute am liebsten mögen. Und wenn das stimmt, dann frage ich mich: Wozu brauchen wir eigentlich überhaupt politische Parteien?