Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz

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Dem Schuldner ist die Erfüllung der handels- und steuerrechtlichen Rechnungslegungspflichten nach Inbesitznahme der Geschäftsbücher durch den Insolvenzverwalter nicht mehr möglich, sodass es konsequent ist, diese Aufgabe dem Insolvenzverwalter zu übertragen.33
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Handelt es sich bei der Schuldnerin um eine Personenhandelsgesellschaft, so können die Gesellschafter vom Insolvenzverwalter über das Vermögen der Gesellschaft die Vorlage steuerlicher Jahresabschlüsse für die Insolvenzmasse verlangen. Entstehen der Insolvenzmasse dadurch Kosten, die sie allein in fremdem Interesse aufwenden muss, kann der Insolvenzverwalter hierfür von den Gesellschaftern Ersatz und einen entsprechenden Auslagenvorschuss fordern.34
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Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, die bislang nicht aufgestellten Jahresabschlüsse aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzustellen; ihm obliegt auch die Feststellungskompetenz für die von ihm aufgestellten Jahresabschlüsse.35
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Stellt der Insolvenzverwalter fest, dass die vom Schuldner bzw. seinen Organen aufgestellten Jahresabschlüsse hinsichtlich der Zeiträume vor Verfahrenseröffnung Mängel aufweisen, z.B. weil der Schuldner in der Krise die Aktiva zu „optimistisch“ bewertet hat, um dadurch die Überschuldung zu verschleiern oder wertlose Forderungen, die wertmäßig abzuschreiben gewesen wären, weiterhin aktiviert, so sollte der Insolvenzverwalter prüfen, ob die fehlerhaften Jahresabschlüsse zu verwerfen und richtige Jahresabschlüsse aufzustellen sind.36
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Der Insolvenzverwalter ist für Mängel der Buchführung aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung dem Schuldner gegenüber nicht verantwortlich, wenn diese Mängel nach Insolvenzeröffnung nicht mehr korrigiert werden können. Der Insolvenzverwalter muss sich im Rahmen des ihm Zumutbaren aber darum bemühen, eine mangelhafte Buchführung „in Ordnung“ zu bringen.
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Inhalt und Umfang der Pflichten, die der Insolvenzverwalter hat, hängen von den konkreten Umständen, insbesondere von Art und Umfang der Mängel der Buchführung ab. Auch die Belastbarkeit der Masse mit den Kosten solcher Arbeiten, mag sie auch für die Pflichtenstellung des Insolvenzverwalters gegenüber den Finanzbehörden unbeachtlich sein, kann für die Verantwortlichkeit gegenüber dem Schuldner eine Rolle spielen. Der Insolvenzverwalter hat unter Umständen wegen weiterer Klärung mit dem Schuldner Verbindung aufzunehmen; der Insolvenzverwalter kann auch gehalten sein, sich mit der Finanzbehörde zwecks Erleichterungen von den Buchführungspflichten ins Benehmen zu setzen.37
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Gemäß § 256 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AktG ist ein festgestellter Jahresabschluss, außer in den Fällen der §§ 173 Abs. 3, 234 Abs. 3 und 235 Abs. 2 AktG, nichtig, wenn er durch seinen Inhalt Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutz der Gläubiger der Gesellschaft gegeben sind. Aufgrund der Nichtigkeit eines Jahresabschlusses kann der Insolvenzverwalter Zahlungen, die auf der Basis der Jahresabschlüsse geleistet worden sind, insbesondere an Gesellschafter, zurückfordern und damit die Masse mehren.38
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Den Insolvenzverwalter treffen mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens alle Pflichten, die dem Schuldner oblägen, wenn über sein Vermögen nicht das Insolvenzverfahren eröffnet worden wäre. Dazu gehört auch die Steuererklärungspflicht gemäß § 149 Abs. 1 AO und, wenn der Schuldner eine gewerbesteuerpflichtige Personengesellschaft ist, die Verpflichtung zur Buchführung und Bilanzierung. Dies gilt auch für Steuerabschnitte, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens liegen.39
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Die Verpflichtung des Insolvenzverwalters zur Abgabe von Steuererklärungen ist unabhängig davon, ob die dafür erforderlichen Kosten – bei Beauftragung eines Steuerberaters – durch die Insolvenzmasse gedeckt sind. Ebenso wie der Steuerpflichtige selbst kann der Insolvenzverwalter die Erfüllung der Abgabepflichten von Steuererklärungen nicht mit dem Argument zurückweisen, es seien keine hinreichenden finanziellen Mittel vorhanden. Der Insolvenzverwalter hat die ihm auferlegten Pflichten gegenüber der Finanzbehörde im übergeordneten öffentlichen Interesse zu erfüllen. Die Steuererklärungspflicht dient der ordnungsgemäßen Abwicklung des Besteuerungsverfahrens und nicht nur dem fiskalischen Interesse der Finanzverwaltung als Insolvenzgläubiger. Dabei soll nach Auffassung des BFH auch berücksichtigt werden, dass zu Insolvenzverwaltern in der Regel Personen bestellt werden, die aufgrund ihrer Ausbildung oder beruflichen Erfahrung zu dieser Vermögensverwaltung, zu der auch die Abgabe von Steuererklärungen für den Gemeinschuldner gehört, besonders qualifiziert sind. Dem kann der Insolvenzverwalter nicht entgegenhalten, dass er für die damit verbundene Arbeit kein angemessenes Entgelt zu erwarten habe.40
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Der BFH hat offengelassen, ob es für einen Rechtsanwalt als Insolvenzverwalter auch dann zumutbar ist, die Steuererklärungen des Gemeinschuldners selbst zu erstellen, wenn dies mit umfangreichen Buchführungs- und Abschlussarbeiten verbunden ist und die Kosten für die Beauftragung eines Steuerfachmannes aus der Insolvenzmasse nicht gedeckt werden können.41
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Der Insolvenzverwalter muss sich nach der Rechtsprechung des BGH im Rahmen des ihm Zumutbaren auch um die Vervollständigung einer der bei Insolvenzeröffnung mangelhaften Buchführung bemühen, wenn diese mit Blick auf die steuerlichen Anforderungen noch in Ordnung gebracht werden kann.42
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Bei der Nichtaufstellung von Jahresabschlüssen und der damit einhergehenden Nichtabgabe von Feststellungserklärungen bei einer Personenhandelsgesellschaft sind die Gesellschafter schutzlos Steuerschätzungen durch die Finanzverwaltung ausgeliefert. Das gesetzliche Schuldverhältnis zwischen dem Insolvenzverwalter und den Gesellschaftern verlangt, der Insolvenzmasse entsprechend §§ 669, 670 BGB einen Aufwendungsersatzanspruch zuzubilligen, der auch als Vorschuss eingefordert werden kann, um einerseits die Insolvenzmasse nicht mit den Kosten der Erstellung des Jahresabschlusses und der Steuererklärung zu belasten, andererseits aber auch den Gesellschaftern die Möglichkeit zu bieten, ihren steuerrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen.43
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Durch die Kostentragungslast der Gesellschafter werden die Interessen der Gläubiger und Gesellschafter sachgerecht ausgeglichen.44
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Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, unrichtige Steuererklärungen zu korrigieren, wenn solche zuvor vom Schuldner eingereicht worden sind.45
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Die vorstehend umschriebenen Pflichten bestehen auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit fort.46
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Eine Ausnahme ist nur zulässig, wenn es sich um besonders schwierige und umfangreiche Arbeiten handelt.47
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Regelmäßig wird eine Person zum Insolvenzverwalter bestellt, die aufgrund ihrer Ausbildung oder beruflichen Erfahrung zu dieser Vermögensverwaltung besonders geeignet ist. Als Folge daraus ist es ihr zuzumuten, die Erstellung der Buchführung und die Abgabe der Steuererklärungen für den Gemeinschuldner in Fällen der Massearmut ordnungsgemäß vorzunehmen. Die Richter des BFH ziehen aus dieser Ansicht die Konsequenz, dass die Erzwingung der Abgabe von Steuererklärungen von einem dazu verpflichteten Insolvenzverwalter für das Finanzamt Vorrang gegenüber einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen hat.48
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Sofern dem Insolvenzverwalter keine Mittel zur Verfügung stehen, um etwaige aus dieser Verpflichtung entstehenden Honoraransprüche zu erfüllen, muss der Insolvenzverwalter die Einstellung des Verfahrens mangels Masse gemäß der Vorschrift des § 207 InsO beantragen.49
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Als Folge daraus fällt die Erfüllung der versäumten steuerlichen Pflichten durch den Insolvenzverwalter ex nunc weg.50
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Nach der Rechtsprechung des BGH steht dem Verwalter bei gewährter Kostenstundung im eröffneten Insolvenzverfahren ein Anspruch auf Erstattung angemessener Kosten für einen Steuerberater als Auslagen gemäß §§ 4a, 63 InsO, § 4 Abs. 1, 2 InsVV aus staatlichen Mitteln zu, wenn das Finanzamt den Insolvenzverwalter trotz Masseunzulänglichkeit des Verfahrens nachhaltig auffordert, umfangreiche steuerliche Tätigkeiten zu erbringen.51
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Der Verwalter sollte sich darum bemühen, Probleme mit dem Finanzamt einvernehmlich zu lösen. Er kann gemäß § 109 AO Fristverlängerungsanträge für die Abgabe der Steuererklärungen stellen. Sofern Schwierigkeiten bei der Einhaltung der Buchführungspflichten bestehen, kann er Erleichterungen nach § 148 AO beantragen. Der Verwalter kann Erklärungen mit geschätzten Zahlen abgeben, wobei er ausdrücklich auf die Schätzung hinzuweisen hat.52
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Praxistipp:
Der Antrag auf Fristverlängerung zum Zweck der Stundung fälliger Steuerzahlungen bei bereits fertiggestellter Steuererklärung kann eine Steuerhinterziehung darstellen. Der Grund ist darin zu sehen, dass bereits die verspätete Festsetzung oder Beitreibung von Steuerforderungen einen steuerlichen Vorteil darstellt.53
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Für den Insolvenzverwalter entsteht eine aus seiner Position problematische Situation, wenn er anstelle des Schuldners von der Finanzbehörde zur Abgabe von Steuererklärungen aufgefordert wird. Der BFH hat in seiner Entscheidung vom 23.8.1994 erkannt, dass es in der Regel unerheblich sei, ob die Masse über ausreichende Mittel verfüge, um Steuererklärungen durch einen Dritten erstellen zu lassen. Der Konkursverwalter kann danach die Abgabe der Steuererklärung nicht mit der Begründung ablehnen, die Kosten für die Erstellung der Steuererklärung durch einen Steuerberater könnten nicht aus der Masse beglichen werden.54
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Der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Insolvenzrecht“ aus dem Jahr 2001 kam in Verfahren, die masselose, vermögenslose Kleingewerbetreibende betreffen, zu den nachstehenden Feststellungen: Regelmäßig veranlasst die Finanzbehörde im Fall der Nichterfüllung von Steuererklärungspflichten durch den Schuldner für die vergangenen Veranlagungszeiträume Schätzungen. Die Schätzungen bewirken nicht, dass der Schuldner bzw. der Insolvenzverwalter von der Pflicht zur Abgabe von Steuererklärungen befreit ist. Die Befreiung kommt aus den Gründen der Gleichbehandlung mit anderen, nicht in der Insolvenz befindlichen Personen nicht in Betracht. Zudem ist nicht nur die Steuererklärungspflicht, sondern auch das Steuererklärungsrecht zu bedenken. Der Insolvenzverwalter muss bei der Schätzung, die zu hoch ausfällt, das Steuererklärungsrecht in Anspruch nehmen können, um eine niedrigere Steuerfestsetzung zu erreichen. Da auf das Steuererklärungsrecht des Insolvenzverwalters nicht verzichtet werden kann, kommt aus diesem Grund eine einseitige Befreiung von der Steuererklärungspflicht nicht in Betracht.55
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Die Finanzbehörde ist darum bemüht, die Veranlagungszeiträume periodengerecht abzuschließen. Das hat für den Insolvenzverwalter zur Folge, dass er in der Regel die aktuellen Steuererklärungspflichten zu erfüllen hat. Um die Veranlagungsarbeiten abzuschließen, wendet die Finanzbehörde regelmäßig das Instrument der Schätzung an. Sie verzichtet für gewöhnlich auf Zwangsgeldfestsetzungen gegen den Insolvenzverwalter zur Durchsetzung der Steuererklärungspflichten. Daher sind Probleme im Hinblick auf die Steuererklärungspflichten des Insolvenzverwalters im massearmen Verfahren bei Zugrundelegung der dargestellten Schätzungspraxis der Finanzbehörde weitgehend theoretischer Natur. Sollte der Insolvenzverwalter im Einzelfall zur Erfüllung von umfangreichen Steuererklärungspflichten angehalten werden, besteht für ihn die Möglichkeit, Masseunzulänglichkeit anzuzeigen.56
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Praxistipp:
Die Finanzbehörde kann Zwangsgeld gegen den Insolvenzverwalter wegen der Nichtabgabe von Steuererklärungen festsetzen.57
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Nicht ohne Ironie merkt der BFH an, dass die Erstellung von „Null-Erklärungen“ einem Insolvenzverwalter, der auch Rechtsanwalt ist, „keine Schwierigkeiten bereiten sollte“.58
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Das Finanzamt ist berechtigt, zwecks fehlender Beibringung von Steuererklärungen Anordnungsverfügungen und Zwangsgeldandrohungen gegen den Konkursverwalter auszubringen.59
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Das Zwangsgeld ist nicht gegen die Insolvenzmasse, sondern gegen den Insolvenzverwalter persönlich festzusetzen.60
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Bei Personenhandelsgesellschaften hat der Insolvenzverwalter soweit die Steuererklärungen abzugeben, wie es sich um Steuern handelt, die auch von der Gesellschaft geschuldet werden, also z.B. die Umsatzsteuer- und Gewerbesteuererklärung, nicht aber die Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Gewinnfeststellung. Soweit die Gesellschafter Interesse an der Abgabe solcher Steuererklärungen haben, z.B. im Zusammenhang mit der Erhaltung von Verlustvorträgen etc., haben sie die Möglichkeit, der ansonsten durch die Finanzverwaltung drohenden Schätzung zu entgehen, indem sie die Erstellung der Erklärungen durch den Insolvenzverwalter bzw. einen von ihm zu beauftragenden Steuerberater bevorschussen.
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Im Hinblick darauf, dass den Insolvenzverwalter auch die Verpflichtung trifft, rückständige Steuererklärungen zu erstellen, ist hier eine Abgrenzung zur Berichtigung nach § 153 AO vorzunehmen (vgl. dazu Rn. 580ff.).
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Berichtigungen können sich sowohl zugunsten der Insolvenzmasse auswirken, z.B. bei der Ausbuchung von Forderungen und bei Bestandsveränderungen, aber auch zulasten der Insolvenzmasse, z.B. bei der Erfassung bislang nicht erklärter Umsätze sowie der Auflösung von Rückstellungen.
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Die Hinnahme von Schätzungen (§ 162 AO) kann den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllen (vgl. dazu Rn. 634).
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Im Übrigen sollte der Insolvenzverwalter erwägen, ggf. auch eine Aufklärung des Sachverhalts durch Nutzung des Informationsfreiheits- und Transparenzrechts herbeizuführen.61
2. Umsatzsteuer
a) Grundsätze
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Bei der Umsatzsteuer besteht erfahrungsgemäß ein besonders hohes Haftungsrisiko, da die Umsatzsteuer als Verbrauchsteuer unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens ist und daher ausschließlich an die Ausführung von Lieferungen und sonstigen Leistungen anknüpft. Zutreffend hat der BFH zum Sinn der Umsatzsteuer im Jahre 1973 noch konstatiert: „Die meisten Verkehrssteuern einschließlich der Umsatzsteuer haben keinen tieferen Sinn als den, dem Staat Geld zu bringen“.62
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Von besonderer Bedeutung bei der Umsatzsteuer sind Korrekturen, die aufgrund der Rechtsprechungsänderung des BFH in der jüngeren Vergangenheit erforderlich sind.
b) Umsatzsteuerkorrektur bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens
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Der BFH hat im Jahre 2010 zunächst entschieden, dass es durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des leistenden Unternehmers zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile kommt. So ist zwischen der Insolvenzmasse, dem „vorinsolvenzlichen Unternehmensteil“ sowie ggf. dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen zu unterscheiden. Aus dieser Aufteilung schließt der BFH, dass mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine erste Berichtigung gemäß § 17 UStG im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung erforderlich ist, da der Schuldner das Recht verliert, seine gegen Drittschuldner bestehenden Forderungen einzuziehen. Die Forderungen werden daher nach Auffassung des BFH aus Rechtsgründen uneinbringlich. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später die Forderungen, so ist eine weitere Berichtigung gemäß § 17 UStG erforderlich.63
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Der Grundsatz der Berichtigungssequenz gilt auch in der Eigenverwaltung. Vereinnahmt der Insolvenzschuldner im Rahmen der Eigenverwaltung das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet dies eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.64
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In der Praxis bedeutet die Rechtsprechung des BFH schlicht eine „Hochstufung“ von Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO zu Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sodass die Insolvenzmasse durch die Rechtsprechungsänderung in erheblichem Maße belastet wird.65
c) Umsatzsteuerkorrektur bei Anordnung von Sicherungsmaßnahmen
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Diese Rechtsprechung hat der BFH dahin weiter entwickelt, dass für den Fall, dass das Insolvenzgericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit dem Recht zum Forderungseinzug bestellt, Steuerbetrag und Vorsteuerabzug für Leistungen, die der Unternehmer bis zur Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters erbracht oder bezogen hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG zu berichtigen sind. Gleiches gilt für den Steuerbetrag und den Vorsteuerabzug aus Leistungen, die das Unternehmen danach bis zum Abschluss des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht.66
262
Es ist somit Sache des Insolvenzverwalters, die Berichtigung zu erklären und eine zutreffende Zuordnung zu Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten vorzunehmen.67
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Die „erste“ Berichtigung gemäß § 17 UStG erfolgt mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, gleich, ob es sich um einen sog. „starken“ oder „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter handelt. Entscheidend ist lediglich, dass dieser das Recht zum Forderungseinzug hat, was regelmäßig gegeben ist. Eine Berichtigung hat u.E. nicht zu erfolgen, wenn ein vorläufiger Sachwalter bestellt worden ist. Dem Insolvenzschuldner stehen im vorläufigen Eigenverwaltungsverfahren die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnisse über sein Vermögen aus eigenem Recht zu, soweit das Insolvenzgericht keine beschränkenden Anordnungen erlässt. Anders als im eröffneten Verfahren kann nicht durch Verweis auf die allgemeinen Vorschriften in § 270 Abs. 1 Satz 2 InsO abgeleitet werden, dass der Schuldner in der vorläufigen Eigenverwaltung – wie der Eigenverwalter im eröffneten Verfahren – als sein eigener vorläufiger Insolvenzverwalter anzusehen ist.68
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Nichts anderes gilt auch im Schutzschirmverfahren gem. § 270b InsO a.F., das lediglich eine Abwandlung des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens gem. § 270a InsO a.F. darstellt. Zwar hat das Gericht gem. § 270b Abs. 3 Satz 1 InsO a.F. auf Antrag des Schuldners anzuordnen, dass der Schuldner Masseverbindlichkeiten begründet. In diesem Fall gilt § 270b Abs. 3 Satz 2 InsO a.F. § 55 Abs. 2 InsO entsprechend. Sofern das Gericht eine Globalermächtigung anordnet, dient dies in der Regel der Unternehmensfortführung, in der der Schuldner weiter Waren und Dienstleistungen einkaufen muss, um den Geschäftsbetrieb aufrecht zu erhalten. Der Schuldner begründet somit willentlich, nämlich durch das Eingehen zivilrechtlicher Verpflichtungen, Verbindlichkeiten. Die Norm begründet somit einen Vertrauensschutz der Vertragspartner.69
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Zwischen dem Steuerpflichtigen und dem Steuergläubigen besteht keine vertragliche Beziehung, sondern ein kraft Gesetzes bestehendes Steuerschuldverhältnis. Der Staat erbringt für die Steuern auch keine konkreten Gegenleistungen, sodass der Schuldner im Schutzschirmverfahren auch keine Gegenleistung erhält, die es rechtfertigt, die Steuerforderung zu einer Masseverbindlichkeit heraufzustufen. Nach dem Sinn und Zweck der Norm spricht alles dafür, dass § 270b Abs. 3 InsO a.F. lediglich vertragliche, jedoch nicht gesetzlich begründete Verbindlichkeiten regelt.70
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Im Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG besteht bei Anzeige des Restrukturierungsverfahrens gem. § 31 StaRUG keine Veranlassung, eine Berichtigung nach § 17 UStG vorzunehmen, da der Schuldner weiter aus eigenem Recht befugt ist, die Forderungen einzuziehen.71 Nur für den Fall, dass ein Restrukturierungsbeauftragter bestellt wird und dieser mit Zustimmung des Gerichts vom Schuldner gem. § 76 Abs. 2 Nr. 2 b) StaRUG verlangt, dass eingehende Gelder nur von dem Beauftragten entgegengenommen und Zahlungen nur von dem Beauftragten geleistet werden können, ist die „erste“ Berichtigung nach § 17 UStG erforderlich.
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Im Rahmen der „ersten“ Berichtigung gemäß § 17 UStG kommt es zu einem Steuerguthaben des Schuldners.72 Da das schuldnerische Unternehmen allerdings regelmäßig Verbindlichkeiten im Range von Insolvenzforderungen gemäß § 38 InsO gegenüber der Finanzverwaltung hat, wird das Guthaben nicht ausgezahlt, sondern von der Finanzverwaltung mit Steuerverbindlichkeiten aufgerechnet. Ein Aufrechnungsverbot aus § 96 InsO kommt nicht in Betracht.
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Haftungsträchtig ist diese Berichtigung insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Insolvenzverwalter zum einen verpflichtet ist, zu verhindern, dass zu hohe Masseverbindlichkeiten festgestellt werden und zum anderen sicherstellen muss, dass die Masseverbindlichkeiten zutreffend bestimmt werden. Eine Nichtbeachtung dieser Rechtsprechungsänderung führt zu erheblichen Risiken einer Steuerhinterziehung durch den Insolvenzverwalter gemäß § 370 Abs. 1 AO, sofern er die Masseverbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die durch den Forderungseinzug anfallen, später nicht erklärt. Das Entdeckungsrisiko ist hoch, da die Finanzverwaltung im Insolvenzverfahren ohne Weiteres die Möglichkeit hat, durch Einsicht in die Insolvenzakte festzustellen, welche Forderungen der Insolvenzverwalter zu welchem Zeitpunkt erfolgreich eingezogen hat.
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Zugleich besteht die Gefahr einer Schädigung der Gläubiger, wenn der Berichtigungsanspruch gemäß § 17 UStG nicht zutreffend bestimmt wird und sich dadurch zu hohe Insolvenzforderungen der Finanzverwaltung ergeben, die ihrerseits wieder zu einer Minderung der Quotenaussicht der übrigen Gläubiger und einer zivilrechtlichen Haftung des Insolvenzverwalters nach § 60 InsO führen.
3. Ertragsteuern
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Bei der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer und der Gewerbesteuer ist Ausgangspunkt das Einkommen.
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Das Einkommen ist bei der Einkommensteuer gemäß § 2 Abs. 4 EStG der Gesamtbetrag der Einkünfte, vermindert um die Sonderausgaben und die außergewöhnlichen Belastungen. Welche Einkünfte der Einkommensteuer unterliegen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 EStG. Einkünfte sind gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG bei Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit der Gewinn, während gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG bei den anderen Einkunftsarten der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten maßgeblich ist.
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Bei der Körperschaftsteuer ist das zu versteuernde Einkommen gemäß § 7 Abs. 1 KStG maßgebend, während es gemäß § 7 Abs. 2 KStG das Einkommen i.S.d. § 8 Abs. 1 KStG, vermindert um die Freibeträge der §§ 24 und 25 KStG, ist. Was als Einkommen gilt und wie das Einkommen zu ermitteln ist, bestimmt sich gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG nach den Vorschriften des EStG und des KStG.
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Bei der Gewerbesteuer ist gemäß § 7 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuerertrag maßgebend, der den nach den Vorschriften des EStG und des KStG zu ermittelnden Gewinn aus dem Gewerbebetrieb darstellt, wobei insbesondere die Hinzurechnungen gemäß § 8 GewStG und die Kürzungen gemäß § 9 GewStG zu berücksichtigen sind.
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Allein durch die Insolvenzantragstellung ergeben sich bei den Ertragsteuern keine Änderungen. Eine Überprüfungspflicht nach der Richtsatzsammlung erfolgt durch den Gutachter ebenso wenig wie eine Prüfung der Periodenverschiebungen sowie von Korrekturen wegen Insolvenz-/Zwangsverwaltung.
4. Sonstige Steuerarten
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Bei den sonstigen Steuerarten gelten die vorstehenden Grundsätze.
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Insbesondere sind die Berichtigungspflichten, § 153 AO, noch beim Schuldner bzw. seinen Organen. Sie gehen nicht auf den Gutachter über.