Steuerstrafrechtliche Risiken in Krise und Insolvenz

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Für die Vergütung des Insolvenzverwalters gilt:
„Leistungszeitpunkt bei Leistungen eines Insolvenzverwalters: Die Leistung eines Insolvenzverwalters ist dann ausgeführt, wenn der seiner Leistung zugrunde liegende Auftrag (letzte Vollzugshandlung) erledigt ist. Die Leistung eines Insolvenzverwalters ist nach der Rechtsprechung des BFH (Urt. v. 2.12.2015, V R 15/15, BStBl. 2016 II, S. 486) erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 Abs. 1 InsO erbracht, soweit keine anderen Beendigungsgründe vorliegen. Aus Vereinfachungsgründen wird es nicht beanstandet, wenn für die Bestimmung des Leistungszeitpunkts auf den Vollzug der Schlussverteilung abgestellt wird. Im Restschuldbefreiungsverfahren bestimmt sich der Leistungszeitpunkt nach dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Erteilung der Restschuldbefreiung nach § 300 InsO.“17
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Die Tabaksteuer ist davon unberührt. Für den Zeitraum vom 1.7.2020 bis 31.12.2020 gilt für die Zwecke der Berechnung des Mindeststeuersatzes weiterhin der zum 1.1.2020 gültige Umsatzsteuersatz nach § 12 UStG (§ 2 Abs. 3a TabStG).
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Die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungsvorschriften wurden gelockert.
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Eine Regelung zum Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung (§ 375a AO) soll helfen, die drohende Verjährung bei der Verfolgung von Cum/Ex-Fällen zu vermeiden. Die Erlangung von Forschungszulagen wird erleichtert. Zudem wird im Kindergeldgesetz für jedes Kind, für das für den Monat September 2020 ein Anspruch auf Kindergeld besteht, ein Einmalbetrag von 200,00 € (für September 2020) und 100,00 € (für Oktober 2020) eingeführt. Die Änderung des Finanzausgleichgesetzes betrifft die Steuerverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden.
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Durch das Dritte Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 10. März 202118 (Corona-Steuerhilfegesetz III) wurde die Gewährung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes i.H.v. 7 % für erbrachte Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken über den 30.6.2021 hinaus bis zum 31.12.2022 verlängert (§ 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG). Darüber hinaus wird für jedes im Jahre 2021 kindergeldberechtigte Kind ein Kindergeldbonus von 150,00 € gewährt (§ 6 Abs. 3 BKGG).
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Der steuerliche Verlustrücktrag wird für die Jahre 2020 und 2021 nochmals erweitert und auf 10 Mio. € (bei Einzelveranlagung) bzw. 20 Mio. € (bei Zusammenveranlagung) angehoben (§ 10d Abs. 1 EStG i.V.m. § 52 Abs. 18b EStG).
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Ein Blick auf diese Regelungen zeigt, dass für Steuerpflichtige und ihre Berater die Änderungen nicht nur schwer nachvollziehbar sind, sondern auch ein erhebliches Haftungsrisiko mit sich bringen. Allein die Differenzierung in gastronomischen Betrieben zwischen Speisen und Getränken ist komplex und birgt Haftungsrisiko, z.B. bei der Aufteilung der Bemessungsgrundlage bei einem gemischten Umsatz, z.B. bei einem Tiramisu mit Espresso für 5,00 €.
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Gerade bei Unternehmen in der Krise werden häufig ohnehin schon buchhalterische Defizite vorliegen. Diese werden durch die komplexe und teilweise nicht mehr durchschaubare Rechtslage noch deutlich erschwert. Damit einher geht das Risiko, Steuerstraftatbestände zu verwirklichen.
2. Wirtschaftliche Bedeutung
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Die Zahl der Insolvenzverfahren ist in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen. Gleichwohl ist die wirtschaftliche Bedeutung nach wie vor hoch.
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Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes insgesamt rückläufig. Nachdem im Jahre 2003 mit 36.320 Unternehmensinsolvenzverfahren der Höchstwert der Unternehmensinsolvenzverfahren seit Einführung der Insolvenzordnung erreicht war, sind die Insolvenzverfahren insgesamt deutlich zurückgegangen. Im Jahre 2013 wurden insgesamt 129.269 Insolvenzverfahren eröffnet, worunter allerdings lediglich 25.995 Unternehmensinsolvenzverfahren zu finden waren. Die Zahlen gingen massiv zurück, sodass in den Jahren 2015, 2016 und 2017 lediglich noch 23.101, 21.518 und 20.093 Unternehmensinsolvenzverfahren eröffnet wurden. In den Jahren 2018 und 2019 ging die Zahl der Unternehmensinsolvenzverfahren auf 19.302 und 18.749 Verfahren zurück.19 Im Jahre 2020 verzeichnete das Statistische Bundesamt lediglich 15.841 Unternehmensinsolvenzverfahren.20 Die Gesamtzahl der Insolvenzverfahren ging in den Jahren 2015, 2016 und 2017 auf 115.847, 111.197 und 104.287 Verfahren zurück. In den Jahren 2018, 2019 und 2020 lag sie bei 98.409, 93.558 und 65.795 Verfahren.21
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Aufgrund der weitreichenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht durch das COVInsAG sowie staatlichen Beihilfen sind die Insolvenzzahlen im Jahre deutlich zurückgegangen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Dezember 2020 nur 875 Insolvenzverfahren eröffnet; im Dezember 2019 waren es noch 1363.22
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Auch die volkswirtschaftliche Bedeutung von Insolvenzverfahren hat sich gewandelt. Während im Jahre 2013 von den eröffneten Insolvenzverfahren noch 173.541 Arbeitnehmer betroffen waren, ging die Zahl der betroffenen Arbeitnehmer im Gesamtjahr 2014 auf 126.861 zurück. Das voraussichtliche Forderungsvolumen (Gläubigerforderungen) ging vom Jahr 2013 zum Jahr 2014 von 37,8 Mrd. € auf 35,2 Mrd. € zurück. Im Jahre 2019 waren von den eröffneten Insolvenzverfahren 143.666 Arbeitnehmer betroffen und das Forderungsvolumen (Gläubigerforderungen) belief sich auf 37,1 Mrd. €. Im Jahre 2020 wurden 65.795 Insolvenzverfahren eröffnet, von den 187.895 Arbeitnehmer betroffen waren. Das voraussichtliche Forderungsvolumen (Gläubigerforderungen) beträgt 50,1 Mrd. €.23
1 Vgl. Bitter, ZIP 2020, 685ff.; Fritz, ZRI 2020, 217ff.; Schmittmann, ZRI 2020, 234ff.; Thole, ZIP 2020, 650ff. 2 Vgl. zur Freigabe in der Gesellschaftsinsolvenz: Ganter, ZRI 2021, 113ff. 3 Vgl. zur historischen Entwicklung des Konkurs- und Insolvenzrechts in Deutschland: Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 3. 4 So BGH, Beschl. v. 17.12.2020 – IX ZB 4/18, ZRI 2021, 131ff. = WM 2021, 310ff. Rn. 66. 5 Vgl. Bork, ZIP 2006, 58ff.; Frind, DRiZ 2006, 199ff.; ders., NZI 2010, 705ff.; Gaier, ZInsO 2006, 1177ff.; Graeber, NZI 2002, 345ff.; Henssler, ZIP 2002, 1053ff.; Höfling, ZIP 2015, 1568ff.; Lambrecht, DZWIR 2010, 22ff.; Lüke, ZIP 2000, 1574ff.; Pape, ZInsO 2015, 1650ff.; Paulus, NZI 2008, 705ff.; Preuß, KTS 2005, 155ff.; Rein, NJW-Spezial 2015, 213f.; Seagon, NZI 10/2015, S. V (Editorial); Siemon, ZInsO 2010, 401ff.; ders., INDat-Report 2/2015, 26ff.; Wieland, ZIP 2005, 233ff. 6 Vgl. Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 497. 7 Vgl. dazu BMF, Schreiben v. 20.5.2015 – IV A 3 – S 0550/10/10020-05, BStBl. I 2015, S. 476ff.; Busch/Büker, Teil 1, InsbürO 2015, 124ff. und Teil 2, InsbürO 2015, 333ff.; Nowak, ZInsO 2015, 1189ff.; Schmittmann, StuB 2015, 748ff.; Schmittmann, ZRI 2020, 649ff. 8 Vgl. Schmittmann, ZInsO 2021, 211ff. 9 Vgl. Bork/Gehrlein, Aktuelle Probleme der Insolvenzanfechtung; Haarmeyer/Huber/Schmittmann, Praxis der Insolvenzanfechtung; Waza/Uhländer/Schmittmann, Insolvenzen und Steuern, Rn. 165/1ff. und 314ff. 10 Vgl. Schmittmann, DZWIR 2021, 86ff. 11 Vgl. Vallender, ZIP 2015, 1513ff. 12 Vgl. Schmittmann, in: Fritz, COVInsAG, Anhang Steuerrecht. 13 BGBl. I 2020, S. 1385. 14 BGBl. I 2020, S. 1512. 15 Vgl. Stadler/Sotta, BB 2020, 860ff. 16 Vgl. dazu BMF, Schreiben vom 30.6.2020 – III C 2 – S 7030/20/10009:004 DOK 2020/0610691, BStBl. I 2020, S. 584; BMF, Schreiben vom 4.11.2020 – III C 2 – S 7030/20/10009:016 DOK 2020/1074476, BStBl. I 2020, S. 1129; Waza, BB 2020, 2007ff. 17 BMF, Schreiben vom 4.11.2020 – III C 2 – S 7030/20/10009:016 DOK 2020/1074476, BStBl. I 2020, S. 1129, Rn. 19. 18 BGBl. I 2021, S. 330f. 19 Vgl. Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Unternehmen/Gewerbemeldungen-Insolvenzen/Tabellen/lrins01.html. 20 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2020, S. 3. 21 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2020, S. 3; Schmittmann, Haftung von Organen in Krise und Insolvenz, Rn. 34. 22 Vgl. Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1, Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2020, S. 5. 23 Siehe Statistisches Bundesamt, Fachserie 2 Reihe 4.1: Unternehmen und Arbeitsstätten – Insolvenzverfahren, Dezember 2019, S. 11, und Dezember 2020, S. 11.
II. Akteure
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Krisen und Insolvenzen betreffen nicht lediglich den Schuldner selbst, sondern auch eine Vielzahl weiterer Beteiligter. Dabei handelt es sich zum einen um die vom Insolvenzgericht im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren bestellten Personen, die nachstehend im Einzelnen unter Berücksichtigung ihrer verfahrensrechtlichen Stellung erörtert werden, und zum anderen um die sonstigen Beteiligten, also insbesondere die Gläubiger, die anderen Marktteilnehmer, die Presse sowie ggf. sonstige Interessengruppen, auf die hier im Einzelnen nicht eingegangen wird.
1. Gutachter
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Das Insolvenzgericht bestellt nach Eingang eines zulässigen Insolvenzantrags gem. § 5 Abs. 1 InsO regelmäßig einen Gutachter, der beauftragt wird, die nach der Rechtsform des Schuldners maßgeblichen Insolvenzgründe zu prüfen, Stellung zur Fortführungsfähigkeit des Unternehmens zu nehmen sowie festzustellen, ob eine kostendeckende Masse vorhanden ist. Bei dem vom Gericht bestellten Gutachter handelt es sich verfahrensrechtlich um einen Sachverständigen.
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Der Gutachter wird lediglich im Innenverhältnis zum Gericht tätig und ist daher nicht Vertreter des Schuldners.
2. Vorläufiger Sachwalter
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Durch das ESUG ist u.a. die vorläufige Eigenverwaltung eingeführt und das Eigenverwaltungsverfahren modifizert worden, um Schuldner zu einer früheren Insolvenzantragstellung zu bewegen.24
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Durch das SanInsFoG erfolgten weitere Änderungen, z.B. ist eine Eigenverwaltungsplanung vorzulegen. Ist die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners (§ 270a InsO) vollständig und schlüssig und sind keine Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Punkten beruht, ordnet das Gericht die vorläufige Eigenverwaltung an und bestellt gemäß § 270b InsO einen vorläufigen Sachwalter. Dies bedeutet zugleich, dass regelmäßig ein vorläufiger Insolvenzverwalter nicht bestellt wird. Bestellt das Gericht gleichwohl einen vorläufigen Insolvenzverwalter, sind die Gründe hierfür nach § 270b Abs. 4 InsO schriftlich niederzulegen.
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Einem vorläufigen Gläubigerausschuss ist Gelegenheit zur Äußerung zu geben (§ 270b Abs. 3 InsO), wenn die Kosten der Eigenverwaltung und die Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebes nicht gedeckt sind oder Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber Pensionszusagen, dem Steuerschuldverhältnis, gegenüber Sozialversicherungsträgern oder Lieferanten bestehen oder in den letzten drei Jahren Vollstreckungs- oder Verwertungssperren angeordnet worden sind sowie der Schuldner gegen Offenlegungsverpflichtungen nach dem HGB verstoßen hat. In diesen Fällen erfolgt gem. § 270b Abs. 2 InsO die Bestellung des vorläufigen Sachwalters nur, wenn zu erwarten ist, dass der Schuldner bereit und in der Lage ist, seine Geschäftsführung an den Interessen der Gläubiger auszurichten.
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Ein vorläufiger Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO.25 Der vorläufige Sachwalter hat somit nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.26
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Die Regelung des § 55 Abs. 4 InsO ist im Rahmen einer vorläufigen Eigenverwaltung gem. Art. 8 SanInsFoG erst in Insolvenzverfahren anwendbar, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind. Auch im Rahmen der Übergangsregelung des § 5 COVInsAG zur Eigenverwaltung und des § 6 COVInsAG zum Schutzschirmverfahren ist bereits die Neufassung des § 55 Abs. 4 InsO anzuwenden.
3. Vorläufiger Insolvenzverwalter
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Das Insolvenzgericht hat gemäß § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Zu den Sicherungsmaßnahmen gehört insbesondere die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 InsO) und die Anordnung eines allgemeinen Verfügungsverbots oder eines Zustimmungsvorbehalts (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InsO).
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Ordnet das Insolvenzgericht ein allgemeines Verfügungsverbot an, wird ein sog. „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. Ein „starker“ vorläufiger Insolvenzverwalter hat die gleichen Rechte und Pflichten wie ein Insolvenzverwalter im eröffneten Insolvenzverfahren.27
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Wird kein allgemeines Verfügungsverbot angeordnet, sondern lediglich ein Zustimmungsvorbehalt, so handelt es sich um einen „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter.28
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Die Vermögensverwaltung steht einem „schwachen“ vorläufigen Insolvenzverwalter nicht zu, sodass kein Fall von § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO vorliegt. Der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter ist daher weder berechtigt noch verpflichtet, die steuerlichen Angelegenheiten des Schuldners zu regeln.29
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Auch wenn § 55 Abs. 4 InsO regelt, dass Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten, wird der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter dadurch nicht zum Vertreter i.S.v. § 34 Abs. 3 und Abs. 1 AO.30
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Nur soweit der „schwache“ vorläufige Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht ausdrücklich ermächtigt wurde, Masseverbindlichkeiten einzugehen, obliegt ihm insoweit eine Steuererklärungspflicht.31
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Ein „schwacher“ vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt wird selbst dann nicht zum Vermögensverwalter i.S.v. 34 Abs. 3 AO oder zum Verfügungsberechtigten i.S.v. § 35 AO, wenn er die ihm vom Insolvenzgericht übertragenen Verfügungsbefugnisse überschreitet und tatsächlich über Gelder des noch verfügungsberechtigten Schuldners verfügt.32
4. Insolvenzverwalter
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Der vom Insolvenzgericht mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ernannte Insolvenzverwalter ist verfahrensrechtlich Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO und hat daher gemäß § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.33
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Der Insolvenzverwalter ist kein Vertreter des Schuldners, sondern sog. „Partei kraft Amtes“.34
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Der Insolvenzschuldner bleibt selbst steuerrechtsfähig, sodass die Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters den Schuldner persönlich berechtigen und verpflichten.35
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Der Schuldner bleibt verfahrensrechtlich Beteiligter i.S.v. § 78 AO. Der Schuldner verliert allerdings mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens die nach § 79 AO erforderliche Handlungsfähigkeit in Bezug auf die Insolvenzmasse, sodass der Insolvenzverwalter die sich aus den §§ 90, 93ff., 137ff., 140ff. und 149ff. AO ergebenden Pflichten zu erfüllen hat.36
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Die weiteren Aufgaben des Insolvenzverwalters ergeben sich insbesondere aus §§ 103ff. und §§ 148ff. InsO (vgl. Rn. 48).
5. Sachwalter
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Gemäß § 270 Abs. 1 Satz 1 InsO ist der Schuldner im Falle der Eigenverwaltung berechtigt, unter Aufsicht eines Sachwalters die Insolvenzmasse zu verwalten und über sie zu verfügen, wenn das Insolvenzgericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung anordnet. Bei Anordnung der Eigenverwaltung wird gemäß § 270f Abs. 2 Satz 1 InsO anstelle des Insolvenzverwalters ein Sachwalter bestellt.
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Für die Bestellung des Sachwalters, für die Aufsicht des Insolvenzgerichts sowie für die Haftung und die Vergütung des Sachwalters gelten §§ 27 Abs. 2 Nr. 4, 54 Nr. 2 und 56 bis 60, 62 bis 65 InsO und 274 Abs. 1 InsO entsprechend.
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Ein Sachwalter ist nicht Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO.37 Der Sachwalter hat nicht die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.38
6. Treuhänder
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Sofern es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person handelt, kann er gemäß §§ 287 bis 303 InsO von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit werden (Restschuldbefreiung, vgl. § 1 Satz 2 InsO).
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In diesen Fällen wird ein Treuhänder bestellt. Sofern noch keine Entscheidung über die Restschuldbefreiung ergangen ist, bestellt das Insolvenzgericht durch den Rechtspfleger gemäß § 288 Satz 2 InsO den Treuhänder, auf den die pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 InsO übergehen.39
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Die Aufgabe des Treuhänders im Restschuldbefreiungsverfahren beschränkt sich auf den Einzug der pfändbaren Bezüge des Schuldners nach Maßgabe der Abtretungserklärung, § 292 InsO. Der Treuhänder in der Wohlverhaltensphase ist daher nicht Verwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO.40
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Nach früherem Recht (bis zum 30.6.2014) wurden im vereinfachten Insolvenzverfahren die Aufgaben des Insolvenzverwalters vom Treuhänder wahrgenommen (§ 313 Abs. 1 Satz 1 InsO). Durch Gesetz vom 15.7.2013 (BGBl. I 2013, S. 2379) wurden u.a. §§ 312ff. InsO aufgehoben.
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Der Treuhänder gemäß § 313 Abs. 1 Satz 1 InsO a.F. war Vermögensverwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO, da die §§ 56 bis 66 InsO gemäß § 313 Abs. 3 Satz 1 InsO entsprechend galten.41
7. Restrukturierungsbeauftragter
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Gem. § 73 Abs. 1 StaRUG bestellt das Restrukturierungsgericht von Amts wegen einen Restrukturierungsbeauftragten, wenn
– im Rahmen der Restrukturierung die Rechte von Verbrauchern oder mittleren, kleinen oder Kleinstunternehmen berührt werden sollen (§ 73 Abs. 1 Nr. 1 StaRUG);
– der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung erwirkt, welche sich mit Ausnahme der nach § 4 StaRUG ausgenommenen Forderung gegen alle oder im Wesentlichen alle Gläubiger richtet (§ 73 Abs. 1 Nr. 2 StaRUG);
– der Restrukturierungsplan eine Überwachung der Erfüllung der den Gläubigern zustehenden Ansprüche vorsieht (§ 73 Abs. 1 Nr. 3 StaRUG).
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Gem. § 73 Abs. 2 StaRUG erfolgt eine Bestellung auch, wenn absehbar ist, dass das Restrukturierungsziel nur gegen den Willen von Inhabern von Restrukturierungsforderungen oder Absonderungsanwartschaften erreichbar ist, ohne deren Zustimmung zum Restrukturierungsplan eine Planbestätigung allein unter den Voraussetzungen des § 26 StaRUG möglich ist.
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Bei der amtswegigen Bestellung ist zum Restrukturierungsbeauftragten gem. § 74 StaRUG ein für den Einzelfall geeigneter, in Restrukturierungs- und Insolvenzsachen erfahrener Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Rechtsanwalt oder eine sonstige Person mit vergleichbarer Qualifikation zu bestellen, die von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängig ist und die aus dem Kreis aller zur Übernahme des Amtes bereiten Personen auszuwählen ist.
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Die Rechtsstellung des von Amts wegen bestellten Restrukturierungsbeauftragten ist Gegenstand von § 75 StaRUG. Seine Aufgaben ergeben sich aus § 76 StaRUG.
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Der Restrukturierungsbeauftragte steht gem. § 75 Abs. 1 Satz 1 StaRUG unter der Aufsicht des Restrukturierungsgerichts. Das Gericht kann gem. § 75 Abs. 1 Satz 2 StaRUG jederzeit einzelne Auskünfte oder einen Bericht über den Sachstand verlangen. Die Entlassung aus wichtigem Grund ist in § 75 Abs. 2 und Abs. 3 StaRUG geregelt.
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Der Restrukturierungsbeauftragte erfüllt gem. § 75 Abs. 4 StaRUG seine Aufgaben mit der gebotenen Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit. Er nimmt seine Aufgaben unparteiisch im Interesse aller Beteiligten sowie der Gesamtheit der Gläubiger war. Verletzt er die ihm obliegenden Pflichten in schuldhafter Weise, ist er den Betroffenen zum Schadensersatz verpflichtet.
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Bei Bestellung des Restrukturierungsbeauftragten auf Antrag des Schuldners („fakultativer Restrukturierungsbeauftragter“) besteht seine Aufgabe in der Förderung der Verhandlungen zwischen den Beteiligten, § 77 Abs. 1 StaRUG. Dem Restrukturierungsbeauftragten können weitere Aufgaben zugewiesen werden, § 77 Abs. 2 StaRUG.
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Auf die Bestellung des fakultativen Restrukturierungsbeauftragten findet gem. § 78 Abs. 1 StaRUG die Regelung des § 74 Abs. 1 StaRUG entsprechende Anwendung.
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Das Gericht berücksichtigt bei der Auswahl Vorschläge der Gläubiger, § 78 Abs. 2 StaRUG. Das Gericht kann vom Vorschlag der Gläubiger nur abweichen, wenn die vorgeschlagene Person offensichtlich ungeeignet ist.
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Der Restrukturierungsbeauftragte (§§ 73ff. StaRUG), der einem der Katalogberufe des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG angehört, erzielt auch mit der Tätigkeit als Restrukturierungsbeauftragter Einkünfte aus selbstständiger Arbeit. Gehört er keinem Katalogberuf an, kommen ggf. Einkünfte nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG in Betracht. Auch wenn der Restrukturierungsbeauftragte gerade kein fremdes Vermögen verwaltet, so kann er doch mit einem Aufsichtsrat verglichen werden, da bei seiner Tätigkeit zumindest der Bezug zur Vermögenssorge besteht. Ob ein eigenständiges Berufsbild des Restrukturierungsbeauftragten entstehen wird, das eine anderweitige Beurteilung erfordert, wird sich erst in Zukunft zeigen, wenn eine größere Anzahl von Verfahren bearbeitet worden ist.
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Der Restrukturierungsbeauftragte soll lediglich die Beratungen fördern und ist nicht Verwalter i.S.v. § 34 Abs. 3 AO.42
8. Sanierungsmoderator
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Die Bestellung eines Sanierungsmoderators erfolgt auf Antrag eines restrukturierungsfähigen Schuldners. Es handelt sich dabei um eine geeignete, insbesondere geschäftskundige und von den Gläubigern und dem Schuldner unabhängige, natürliche Person, § 94 Abs. 1 Satz 1 StaRUG. Die Sanierungsmoderation scheidet gem. § 94 Abs. 1 Satz 2 StaRUG aus, wenn der Schuldner offensichtlich zahlungsunfähig ist, oder es sich um einen antragspflichtigen Rechtsträger handelt, der offensichtlich überschuldet ist, § 94 Abs. 1 Satz 3 StaRUG.
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Der Sanierungsmoderator wird gem. § 95 Abs. 1 StaRUG zunächst für drei Monate bestellt, wobei eine Verlängerung unter bestimmten Umständen um bis zu drei weiteren Monaten möglich ist. Die Bestellung eines Sanierungsmoderators wird gem. § 95 Abs. 2 StaRUG nicht öffentlich bekannt gemacht.
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Aufgabe des Sanierungsmoderators ist gem. § 96 Abs. 1 StaRUG die Vermittlung zwischen dem Schuldner und seinen Gläubigern bei der Herbeiführung einer Lösung zur Überwindung der wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten, wozu der Schuldner dem Moderator Einblick in seine Bücher und Geschäftsunterlagen gibt und ihm die angeforderten zweckmäßigen Auskünfte erteilt, § 96 Abs. 2 StaRUG.
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Der Sanierungsmoderator erstattet gem. § 96 Abs. 3 StaRUG gegenüber dem Gericht Bericht über den Fortgang der Sanierungsmoderation. Zudem ist er nach § 96 Abs. 4 StaRUG verpflichtet, dem Gericht eine ihm bekannt gewordene Zahlungsunfähigkeit des Schuldners anzuzeigen.